Forschungsfälschung Erneut schwere Vorwürfe gegen Stammzellforscher Strauer

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Kritik begleitet Strauers Arbeit seit Jahren

Etwas diplomatischer formulierte Ernst-Ludwig Winnacker, der damalige Chef der Deutschen Forschungsgemeinschaft, seine Kritik: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – es wäre vermessen und unwissenschaftlich, auf der Grundlage eines einzelnen Falles eine Entscheidung für oder gegen embryonale Stammzellen zu treffen.“

Der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler wunderte sich gegenüber der WirtschaftsWoche damals über die schlechte Vorbereitung der Versuche. Hier hätte erst einmal an Mäusen und anschließend an einem größeren Tier gezeigt werden müssen, ob die Zellen tatsächlich im Herzen bleiben, dort auch anwachsen und anschließend mit den Herzmuskelzellen im Takt arbeiten. Sonst könnten nämlich Herzrhythmusstörungen auftreten, fürchtete Hescheler damals.

Der italienische Herz- und Stammzellspezialist Piero Anversa äußerte sich 2004 gegenüber dem renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ geschockt, wie das Laborjournal im Dezember noch einmal zitierte: Strauers Experimente hätten zuvor an mit dem Menschen vergleichbaren Versuchstieren ausprobiert werden müssen. „Science“ sprach daraufhin von "deutschem Draufgängertum", und ein Kommentator des Fachmagazins „Nature“ pochte darauf, man möge derartige Stammzell-Therapien doch erst eingehend an Tieren erproben, ehe man Versuche an Menschen erlaube".

Dass Strauer aber auch in der Fortführung seiner Forschungsarbeit wiederholt gepfuscht haben könnte, diesem Verdacht geht auch die Düsseldorfer Universitätsklinik nach. Sie ermittelt seit Dezember 2012 wegen des Verdachts auf wissenschaftliches Fehlverhalten.

Dabei könnte der Vorwurf sogar noch weit über mögliche Fälschungen hinausgehen. Denn wie die "Süddeutsche Zeitung" im Dezember berichtete, besteht der Verdacht, Strauer habe sich seine Versuche nicht vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) genehmigen lassen – und sich damit möglicherweise strafbar gemacht. Der SZ teilte das PEI auf Anfrage mit: "Zu den Studien liegen keine Unterlagen vor."

Strauer selbst hält die Vorwürfe für „absurd“, wie der 69-Jährige über seinen Medienanwalt der SZ ausrichten ließ. Demnach vermutet er eine Kampagne von Befürwortern der Forschung mit embryonalen Stammzellen, denen er mit seiner Forschung ein Milliardengeschäft verderbe.

Tatsächlich offenbart sich bei diesem Disput allerdings auch ein ganz grundsätzlicher Streit zwischen Medizinern und Naturwissenschaftlern: Die Naturwissenschaftler, zu denen Mediziner im engeren Sinne nicht gehören, werfen den Ärzten seit jeher ein latent unterentwickeltes Verständnis für das korrekte und saubere wissenschaftliche Arbeiten vor.

Mit dem Zusammentrommeln von Journalisten, um einen einzigen geheilten Patienten zu bejubeln, wie Strauer es 2001 praktizierte, hat er dieses Vorurteil par excellence bedient. Und er konnte den Eindruck des unwissenschaftlichen Arbeitens bei vielen Stammzellforschern nie wieder ausräumen. So äußerte der Max-Planck-Stammzellexperte Hans Schöler aus Münster immer wieder öffentlich massive Kritik an Strauers Arbeit. Laut Schöler sei Strauers Ansatz "völlig unwissenschaftlich".

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