Gefährliche Keime Mangelnde Klinik-Hygiene kann tödlich enden

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Ein Hierarchieproblem

Keime werden auch über das Berühren von Klinken und Schaltern übertragen. In der Asklepios Klinik Wandsbek werden Kupferoberflächen getestet, die die Übertragung verhindern. Das Bild zeigt eine Keimprobe. Quelle: obs



Nimmsch wirkt nicht wie eine Nörglerin. Sie beobachtet beim Thema Hygiene nur sehr scharf. Reinigungskräfte hätten mit einem Lappen zuerst die Stoßkanten und die Fensterbank des Zimmers gewischt und direkt danach den hölzernen Esstisch für Patienten, sagt sie. Später bittet sie einen Arzt vor einer Untersuchung, sich die Hände zu desinfizieren. Er hatte vorher die Türklinke ihres Zimmers angefasst. „Er wirkte schon ziemlich pikiert“, sagt sie. Erst als sie ihre Dialyse-Erfahrung anführte, habe der Mediziner freundlich eingelenkt.
Es habe viele Ärzte gegeben, die sich wenig um Hygiene kümmerten, sagt Nimmsch. Es sei nicht nur der Zeitdruck gewesen. „Manche wirkten, als hätten sie aufgrund ihrer höheren Stellung automatisch weniger Keimbelastung.“ Ein Hierarchiephänomen, von dem auch Pfleger berichten.
Hat Anja Nimmsch jedes Mal protestiert? „Nein. Ich war in dieser Patientenrolle. Ich wollte auch vertrauen.“ Nach rund zehn Tagen in der Klinik werden bei ihr zwei Darmkeime festgestellt - einer davon multiresistent. Ein Antibiotikum schlägt an - aber Nimmsch muss wegen des Keims länger in der Klinik bleiben als geplant.

Gute Hygiene, höhere Erlöse
Spätestens das ist der Punkt, den Klaus-Dieter Zastrow - neben dem Leid für Patienten - einfach nicht mehr versteht. Denn da geht es ums Geld, Lieblingsthema einer jeden Klinik-Geschäftsführung. Zastrow ist Hygiene-Facharzt für die acht Berliner Vivantes-Kliniken, den größten kommunalen Krankenhauskonzern in Deutschland. „Es ist erstaunlich, dass viele Kliniken das nicht begreifen: Sie haben mit guter Hygiene höhere Erlöse“, sagt Zastrow. Denn für jeden Tag, den ein Patient über die Fallpauschalen hinaus im Krankenhaus bleibe, zahlten die Krankenkassen nicht. Führt mangelnde Hygiene zu einer Infektion, geht die längere Behandlung also in der Regel auf Rechnung der Klinik. „Dabei kostet gute Hygiene kaum Geld. Und die Kassen zahlen dafür. Alles andere sind Märchen“, behauptet Zastrow.

Die hartnäckigsten Gesundheitsmythen
Eine junge Frau putzt sich mit einem Papiertaschentuch die Nase Quelle: dpa
Mann mit Rückenschmerzen sitzt im Büro Quelle: obs
In einer Zahnarztpraxis werden die Zähne eines Jungen untersucht Quelle: dpa
Ein Fieberthermometer liegt auf verschiedenen Arten und Formen von Tabletten Quelle: dpa
Ein Mann zieht an seinem Finger und erzeugt ein Knackgeräusch. Quelle: dpa
Angela Merkel hält ein Schnapsglas in der hand Quelle: AP
Ein Junge steht unter einer Dusche Quelle: dpa


Er ist auch Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und gilt in Fachkreisen manchmal als sehr drastisch. Das könnte daran liegen, dass er sich gern lautstark aus dem Fenster lehnt. Zastrow spricht von 40 000 Toten und einer Million Klinik-Infektionen pro Jahr. Für ihn ließ sich die Hälfte aller Fälle vermeiden. „Die Hauptgründe sind Unsicherheit, mangelnde Ausbildung und menschliches Versagen. Das zusammen ergibt eine tödliche Mischung“, sagt er. „Das sind keine Keime, die im Krankenhaus an der Wand kleben. Sie kommen von uns, vom Arzt, von der Schwester, von Besuchern und vom Patienten selbst.“ Niedrigere Zahlen seien politisch geprägt. „Sie sollen das Problem kleinreden.“
Zastrow kritisiert das Hygiene-Konzept der Charité. Er sagt auch, dass die Uni-Klinik Leipzig völlig unfähig sei, Hygiene zu machen. Er geht so weit, dass ihn die eigene Klinikleitung fragte, ob ein solcher Keimausbruch nicht auch bei Vivantes möglich sei. Dann sagt Zastrow: „Die ersten drei Fälle haben wir auch. Aber nicht noch weitere 20. Wir sind dann sofort auf der Station und machen da eine Riesendesinfektionsnummer.“

Voll verpackt ins Isolierzimmer
Auf der Vivantes-Intensivstation im Stadtteil Spandau sieht Pfleger Mark Ronkowski aus wie ein Mondmensch: Haarnetz, Mundschutz, Einwegkittel, Schuhüberzieher, Handschuhe. Dabei will Ronkowski nur kurz in ein Isolierzimmer, in dem ein Patient mit multiresistentem Keim liegt. Kommt der Pfleger heraus, wandert die Schutzkleidung in den Sondermüll. So sollte es sein. Ist es immer so? Hinter vorgehaltener Hand ist bei Vivantes zu hören, dass dieses System Grenzen hat. Dass die Regeln kaum noch einzuhalten seien, wenn 40 Prozent der Patienten im Isolierzimmer lägen. Weil diese Umkleidezeiten - zwei bis fünf Minuten jedes Mal - in die Dienstpläne nicht eingerechnet seien und man dann einfach mehr Personal brauche.

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