In der Charité, die in fünf Jahren aus Sparzwang mehr als 1000 Stellen abbaute, sieht das Bild nicht anders aus. Manchmal sind Schwestern oder Pfleger im Nachtdienst auf normalen Stationen de facto allein für 31 Patienten da. „Wenn davon zehn in Isolierzimmern liegen und dann noch jemand stürzt oder stirbt - in dem Stress hätte ich Verständnis dafür, wenn die Händedesinfektion zu kurz kommt“, sagt Pfleger Stephan Gummert.
Hinter vorgehaltener Hand ist in der Charité zu hören, dass der Sparzwang mitunter zum Kauf von „Billigramsch“ führe - Kittel, die schon beim Anziehen einrissen oder schlecht verschweißte, undichte Katheterbeutel. Hygiene sei wie eine Kette, betont Gummert. Zu ihr gehörten nicht nur Ärzte und Pflegepersonal, sondern auch Reinigungskräfte und Belüftungstechniker. „Wenn da eine Schraube nicht gepflegt wird, bekommt das ganze System ein Problem.“
Gummert ist im Charité-Personalrat. Er liest Patientenbeschwerden. Hygiene-Rügen zögen sich wie ein roter Faden durch die Fragebögen, sagt er. Trotzdem werde immer weiter an jeder Schraube gedreht. Putzfrauen müssten zum Beispiel immer mehr Quadratmeter in immer weniger Zeit reinigen. „Das alles ist ein Risikospiel“, urteilt er. Für ihn endet es in einem Schlüsselwort: Patientensicherheit. Gibt es kein Umdenken? „Die Negativpresse in der letzten Zeit hat die Sinne geschärft“, sagt Gummert. Muss immer erst etwas passieren?
Fachpersonal und Strukturen fehlen
Ein Bewusstsein für Hygiene zu schaffen ist wohl die größte Aufgabe für Hygiene-Experten. Manchmal dauert es Jahre, eine Klinik darauf einzuschwören. Dabei geht es dann nicht allein um Technik und saubere Arbeitsabläufe wie bei der Sterilisation des OP-Bestecks. Es geht vor allem um fähiges Fachpersonal - und Strukturen.
„30 Jahre lang war Hygiene egal, das wird auch an den Unis nur dünn gelehrt“, sagt Karen Hammer, Hygiene-Ärztin in Ausbildung bei Vivantes. „Bei Verstößen gegen Hygiene-Vorschriften fehlt es mir auch an Konsequenzen. Ich habe noch keine Köpfe rollen sehen. Strafzahlungen fände ich auch sinnvoll.“ Hammer findet aber auch, dass sich das Bewusstsein langsam ändert. „Aber als Arzt lernt man von den Kollegen, das hängt also sehr vom Ausbilder ab.“ In der Pflege ist das anders. Hygiene ist in der Ausbildung fest verankert.
Und es gibt noch ein wichtiges Rädchen im Hygiene-Getriebe: die Amtsärzte. Sie gehören zu den kommunalen Gesundheitsämtern und sollen die Kliniken kontrollieren. Kein leichter Job. Wie sollen sie einschätzen, ob eine Klinik bei Infektionszahlen mogelt oder nicht - und ob sie jeden Keim-Ausbruch wie vorgeschrieben meldet?
Wie es besser laufen kann, zeigen seit Jahren die Niederlande. Dort kommt kein Patient in den OP oder auf eine Station, bis er nicht auf multiresistente Keime gecheckt ist. Ein Schnelltest dauert eine Stunde und kostet laut Facharzt Zastrow 20 Euro. In Deutschland gilt diese Vorsichtsmaßnahme nur für „Risikopatienten“. Die Niederlande überwachen außerdem streng die Antibiotika-Verordnungen. Auch das senkt die Resistenzrate.
Auf der Charité-Frühchenstation setzt man auch nach den Fällen im Herbst auf enge Teamarbeit mit den Eltern. „Ein Krankenhaus ist keine Kadettenanstalt“, sagt Arzt Bührer. Neben ihm hat eine zweite junge Mutter ihr Frühgeborenes auf der bloßen Brust liegen - Hautkontakt ist wichtig fürs Baby. Bestenfalls ist eine Klinik eben kein Ort, an dem man krank wird. Patientin Nimmsch hat den Glauben daran verloren. Sie wünscht sich strenge Auflagen bis hin zu Schutzkitteln für alle Besucher. „An Keimen sterben Menschen“, sagt sie.