Gehirnforschung Ich weiß, was du denkst

Was lange Science-Fiction war, wird real: Gedanken lesen. Das hilft Kranken, sich zu verständigen – und Gesunden, produktiver zu werden. Auch bei monotonen Jobs soll die Technologie helfen.

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Gehirnforschung: Gedankenlesen hilft Kranken sich zu verständigen. Quelle: TU München

Langsam bewegt sich der Ball auf dem PC-Bildschirm nach oben. Wilfried Leusing signalisiert damit „Ja“ – und kann sich so endlich wieder mitteilen. Der 65-Jährige schafft es schon lange nicht mehr, zu sprechen. Er leidet, wie der berühmte Physiker Stephen Hawking, an der unheilbaren Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS. Sie zerstört bestimmte Nervenzellen, im Endstadium kann ein Betroffener keinen Muskel mehr kontrollieren.

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Die nächste Frage verneint Leusing, der Ball bewegt sich nach unten. All das gelingt ihm allein mit der Kraft seiner Gedanken. Neun Monate lang hat er im Tübinger Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme trainiert, um sich mit dem Rechner zu verständigen. Das Ziel: An ALS Erkrankte sollen elementare Fragen wie „Haben Sie Schmerzen?“ wieder beantworten können. Dazu messen die Forscher mit Elektroden auf dem Kopf die elektrischen Signale, die das Gehirn erzeugt, und werten sie mit lernenden Computerprogrammen aus.

So wie die Neurowissenschaftler in Tübingen arbeiten ihre Kollegen rund um den Globus an nichts Geringerem, als in unseren Kopf zu schauen, unsere Gedanken zu lesen. Noch funktioniert das, auch nach jahrzehntelanger Forschung, nur rudimentär. Doch angesichts enormer Fortschritte bei Rechenleistung der Hardware und Analysefähigkeit der Software könnte das menschliche Gehirn bald zur Glaskugel werden – in die jeder hineinblicken kann, der über die Technik verfügt: Politiker und Polizisten, Vorgesetzte und Werber, Freunde und Bekannte. Geheimnisse, kleine Lügen des Alltags gäbe es nicht mehr – wenn wir nicht Wege für den verantwortungsvollen Umgang mit dieser Fähigkeit finden. Und auch die Leistung des Gehirns, das Denken selbst, wollen Forscher beeinflussen.

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Für Behinderte wie Leusing könnte die Technik eine Befreiung sein. Patienten steuern heute schon mithilfe am Kopf fixierter Elektroden Rollstühle und Prothesen – was ihre Lebensqualität enorm verbessert. Auf diese Art Menschen zu helfen erforschen die Wissenschaftler besonders intensiv. Sie haben aber auch schon erfolgreich Versuchspersonen mit Gedankenkraft Flugzeuge und Autos in Simulatoren kontrollieren lassen. Die Technik soll etwa Piloten künftig bei langen Flügen entlasten. Hinzu kommen immer mehr Produkte aus der Unterhaltungsbranche wie Headsets, mit denen der Anwender PC-Spiele oder, wie es IBM versucht, Roboter steuern kann. Die US-Marktforscher von Allied Market Research erwarten für 2020 schon über 1,4 Milliarden Dollar Umsatz mit diesen Produkten.

Die Anwendungen funktionieren alle ähnlich. Fühler in einer Haube auf dem Kopf messen die Spannungsschwankungen von Milliarden elektrisch aktiver Neuronen im Hirn. Die verstärkten Signale ergeben ein Elektroenzephalogramm (EEG). Es genügt schon, sich nur vorzustellen, den Arm zu bewegen, um die Nervenzellen in der Kommandozentrale für Bewegungen zu aktivieren. Ein Rechner übersetzt das Signalmuster in Steuerbefehle. Im Fall von Leusing: Ball hoch oder runter.

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