Da bei ALS ausgerechnet die Gehirnregion defekt ist, die Bewegungen steuert, behelfen sich die Tübinger Forscher um Leiter Moritz Grosse-Wentrup mit einem Trick. Besonders starke Signale gebe es, wenn die Probanden ihre Gedanken auf sich selbst lenken, erklärt er. Das stehe für Nein. „Bei Ja müssen sie sich auf schwierige Dinge konzentrieren, wie Matheaufgaben zu lösen.“
Was einfach klingt, erfordert viele Stunden Übung, bevor die Software die Hirnmuster richtig interpretiert. Der Vorgang nennt sich maschinelles Lernen, eine Form künstlicher Intelligenz. Experte auf dem Gebiet ist der Mathematiker Klaus-Robert Müller von der Technischen Universität Berlin. Erst vor wenigen Monaten ist es ihm zusammen mit Kollegen aus Südkorea gelungen, ein 45 Kilogramm schweres Exoskelett per Gedankenkraft zu steuern. Diese Art Roboteranzug schnallen sich Gelähmte an, um sich wieder bewegen zu können, oder Arbeiter, um schwere Lasten zu heben.
Der Nutzer konzentriert sich dabei auf eine von fünf verschieden schnell flackernden LEDs in seinem Blickfeld, die jeweils für einen Befehl stehen. Hat er etwa das oberste Lämpchen ins Visier genommen, das besonders schnell blinkt, taucht dessen Flackerfrequenz im EEG auf. Das erkennt die Software und deutet es als Anweisung, das rechte Bein mithilfe von Motoren anzuheben.
Stecker zapft Gedanken an
Doch sind die Nervensignale außerhalb des Kopfs schwach und die EEG-Hauben daher störanfällig. US-Forscher pflanzen deshalb oft Elektroden direkt ins Gehirn. Mit beeindruckenden Resultaten: Gelähmte konnten mit einem gedankengesteuerten Roboterarm aus einer Flasche trinken oder Schokolade essen.
Bei einem Eingriff im Kopf besteht aber das Risiko von Infektionen. „Das Gehirn stößt die Fremdkörper nach einiger Zeit ab, sie verlieren ihre Funktion“, sagt Gernot Müller-Putz, der das Labor für Gehirn-Computer-Schnittstellen an der Technischen Universität im österreichischen Graz leitet. Er arbeitet lieber mit EEG-Hauben. Aus deren Signalen errechnet er Steuersignale für Elektroden. Die wiederum schicken Stromimpulse, etwa in die Nerven im Unterarm von Gelähmten. „Der Muskel zieht sich zusammen, die Hand schließt sich“, so Müller-Putz. Jetzt untersucht er im Rahmen eines EU-Projekts, wie fein sich die Bewegungen steuern lassen. „Eine enorme Hilfe für Betroffene, aber fürs Klavierspielen wird es wohl nie reichen“, sagt er. Derzeit bereitet er Tests mit 15 Patienten vor, die 2017 starten.
So bringen Sie Ihr Gehirn auf Trab
Tragen Sie Ihre Uhr rechts statt links oder machen Sie Tätigkeiten, die Sie sonst nur mit Ihrer bevorzugten Hand ausführen, einfach mal mit der anderen.
Lernen Sie einen neuen Tanz, eine neue Sprache, neue Kochrezepte, lernen Sie ein Gedicht auswendig oder fangen eine neue Sportart an – was, ist eigentlich egal. Hauptsache, das Gehirn bekommt Futter.
Gehen Sie ohne Einkaufszettel in den Supermarkt und überschlagen Sie beim Warten an der Kasse den Gesamtwert der Waren im Kopf. Oder: Versuchen Sie beim Musikhören die verschiedenen Instrumente zu erkennen.
Memory kennt jeder aus seiner Kindheit. Das Merkspiel steigert die Konzentration und das bildhafte Gedächtnis bei Jung und Alt. Sie haben kein Memory-Spiel mehr zu Hause? Dann spielen Sie es online. Auch Schach ist gut für Gehirn.
Kreuzworträtsel sind zwar eine gute Gedächtnisübung, aber nur, wenn sie sehr schwer sind – und nicht jede Antwort gegoogelt wird. Nur selbst raten aktiviert die grauen Zellen.
Es gibt zwar kein Brainfood, das aus einer mentalen Trantüte einen zweiten Einstein macht, aber es gibt durchaus Lebensmittel, die Gehirn und Nerven besser mit den nötigen Nährstoffen versorgen, als Schokolade und Chips. Dazu gehören unter anderem Nüsse, frischer Fisch und Früchte.
Gönnen Sie sich Pausen, in denen sich auch das Gehirn erholen kann. Das funktioniert schon durch bewusstes Atmen und hilft in stressigen Situationen gleichzeitig, einen klaren Kopf zu bewahren.
Um die gelähmte Hand – genauso wie eine Prothese – feinfühlig steuern zu können, müssen Tastsignale zurück ins Gehirn gelangen. Um das zu erreichen, haben US-Wissenschaftler einem 28-jährigen Querschnittsgelähmten Elektroden ins Hirn implantiert, mit deren Hilfe er eine Roboterhand steuert. Diese vermittelt ihm dann zum Beispiel, wie fest er zupackt.
Finanziert hat die Arbeiten die Darpa, der Forschungsarm des US-Verteidigungsministeriums. Sie investiert jährlich dreistellige Millionen-Dollar-Beträge in die Neuroforschung – um behinderten Veteranen zu helfen, womöglich aber auch, um die Technik in Kampfeinsätzen zu nutzen.
Auch der deutsche Mittelständler Otto Bock aus Duderstadt nahe Göttingen, weltweiter Marktführer im Bereich Prothetik, arbeitet an steuerbaren Prothesen etwa für Armamputierte, die aber keinen Eingriff im Gehirn erfordern. Stattdessen werden Nervenreste aus dem Armstumpf in die intakten Brustmuskeln umgeleitet, die natürlicherweise mit dem Gehirn verbunden sind. Nach einigem Üben versteht ein Computer in der Prothese die Signale, die vom Hirn über den Brustmuskel in den Arm gelangen, und übersetzt sie in Bewegungen des Kunstarms. 2010 fand der erste Eingriff statt, seitdem haben etwa 25 Menschen solche Prothesen erhalten.