Gen-Therapie erobert Deutschland Die 1-Million-Euro-Spritze

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Forscher nutzen Viren als trojanisches Pferd

Noch vor wenigen Jahren sah das ganz anders aus. Forscher zogen sich scharenweise aus dem Feld zurück. Kaum ein Investor oder Pharmamanager hätte noch einen Cent auf diese in den Neunzigerjahren hochgejubelte Technik gesetzt. Das Problem: In den ersten euphorischen Jahren waren die Genfähren, mit denen die Mediziner das Erbgut in den Kern menschlicher Zellen bugsieren, alles andere als sicher: Sie luden die Gene mitunter an den falschen Stellen ab, aktivierten Krebsgene oder lösten heftigste Abwehrreaktionen des Körpers aus – einige Patienten starben sogar. Zudem gibt es die theoretische Möglichkeit, mit diesem Verfahren Ei- und Spermazellen zu manipulieren und so Designerbabys zu schaffen, mit ganz anderen Erbanlagen als ihre Eltern – was die große Mehrzahl der Forscher und Unternehmer der Branche heute kategorisch ablehnt.

Nach den Pannen waren die Behörden in Europa und Nordamerika extrem vorsichtig geworden. „Die Methode stand vor dem Aus, bevor sie jemand richtig nutzen konnte“, erzählt Wolfgang Uckert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie. Inzwischen haben die Forscher allerdings eine ganze Reihe neuer Viren als Gentransporter rekrutiert, die sehr viel sicherer sind als die ersten Modelle.

Die Entwicklung der Gentherapie

Der Job eines Virus ist es, andere Organismen zu infizieren, sprich Zellen zu entern und das eigene Erbgut in deren Kern zu bringen. Der Grund: Da Viren ihre Gene nicht selbstständig vervielfältigen können, müssen sie die Zellen der von ihren befallenen Menschen dazu bringen, es für sie zu tun. Sonst können sie sich nicht vermehren. Genau diesen Mechanismus nutzen Forscher und schieben den Viren wie einem trojanischen Pferd das heilsame Erbgut unter. Dabei stutzen sie die Viren im Labor aber so zurecht, dass sie nicht mehr krank machen.

Die Entwickler von Uniqure haben in Studien gezeigt: Die neuen Genfähren sind sicher, und die neue Therapie ist wirksam. Damit besteht zum ersten Mal Hoffnung auf Heilung für Menschen, die an der erblichen Fettstoffwechselerkrankung Lipoproteinlipase-Defizienz leiden. Sie müssen sich ihr Leben lang völlig fettfrei ernähren, weil ihr Körper Butter, Öl und Co. nicht abbauen kann. Das Leiden ist extrem selten: Bei einer Million Menschen treten nur ein bis zwei Fälle auf. Das sind gerade einmal 80 bis 160 Menschen in Deutschland.

Nehmen sie versehentlich doch kleinste Mengen Fett zu sich, bekommen sie starke Bauchschmerzen. Langfristig entzündet sich die Bauspeicheldrüse, was lebensbedrohlich sein kann. Geradezu normal können dagegen jene Patienten leben und essen, denen Ärzte in den Glybera-Versuchen einmal eine Dosis der Virusfähre mit dem fehlenden Gen gespritzt haben. Selbst nach sechs Jahren noch.

Für Uniqure-Chef Aldag ist das der unschlagbare Vorteil gegenüber herkömmlichen Therapien: „Einmal gegeben, funktioniert die Gentherapie viele Jahre, möglicherweise sogar ein Leben lang.“ Das ist wunderbar für die Geheilten, macht es aber kompliziert, einen Preis festzusetzen. Denn kassieren kann Uniqure nur einmal.

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