Geruchsforschung Eine Nase Frühling

Leicht und frisch – so stellen wir uns den Duft des Frühlings vor. Doch wer die laue Luft schnuppert, bekommt tatsächlich den Geruch von modrigem Laub und feuchter Erde zu riechen, sagen die Geruchsforscher.

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Frühlingsdüfte: Mehr als 30 Millionen Riechzellen mit 350 verschiedenen Sensoren hat der Mensch. Quelle: dpa

Bochum Länger werdende Tage, zweistellige Temperaturen, auch die Winterjacke kann schon mal am Haken bleiben: Es liegt etwas in der Luft. Und dieses Etwas kann man buchstäblich riechen.

Während des Winters war alles, was in der Natur hätte duften können, förmlich eingefroren, erläutert Hanns Hatt, Geruchsforscher von der Ruhr-Universität Bochum. Mit steigenden Temperaturen werden im Frühjahr jedoch immer mehr Duftmoleküle freigesetzt und wirbeln umher.

„Das kennen Sie von eingefrorener Tomatensuppe“, sagt der Biologe. Der Eisblock rieche nach nichts, erst beim Erwärmen auf dem Herd treten immer mehr Aromen aus – „bis die ganze Wohnung duftet“.

So ist das, was die milde Frühlingsluft hierzulande als allererstes an Duftstoffen freigibt, eher ernüchternd: „Mit dem Boden erwärmt sich alles, was der Winter übrig gelassen hat“, sagt Hatt. Was so herrlich nach Frühling duftet, ist also tatsächlich zunächst eine Ahnung von faulem Laub, feuchtem Moss, moderndem Erdreich. Erst später, wenn sich wirklich die Blüten öffnen, steigen dem aufmerksam Riechenden zarte Blütendüfte in die Nase.

Wie die Meteorologen vom Deutschen Wetterdienst (DWD) wissen, hatte besagter Duft in diesem Jahr auch schon vor dem meteorologischen Frühlingsanfang (1. März) Gelegenheit zur Entfaltung: „Scheint die Sonne, verdunstet aus feuchten Böden Wasserdampf, der auch den charakteristischen Geruch nach Erdreich mit sich trägt“, sagt DWD-Meteorologe Franz-Josef Löpmeier. Laut vorsichtiger Jahreszeitenvorhersage deute vieles darauf hin, dass dieses Frühjahr im Durchschnitt sogar besonders warm werden könnte.

Beste Chancen für den Erdreich-Frühblüher-Mix also, der von vielen Menschen als angenehm empfunden wird. Meist schon in der Kindheit geprägt, verknüpft das Gehirn bestimmte Duftbilder mit der Jahreszeit und den oft positiven Empfindungen, wie Hatt sagt. Denn die länger werdenden Tage und milderen Temperaturen ließen auch Glückshormone in Wallung geraten.

„Duftkonditionierung“ nennt das der Experte. „Eine Prise Frühlingsduft kann dann sogar im Herbst Frühlingsgefühle hervorrufen“, sagt Hatt.


Mit offener Nase durch die Welt gehen

Ein Frühlingsduft sei immer eine Mischung aus einer Vielzahl verschiedener, erlernter und individuell geprägter Komponenten, erklärt Hatt. Mit jedem Atemzug nehme die Nase über die Luft winzige Duftmoleküle auf: „Sie werden bis zur obersten Etage unserer Nase transportiert, wo die Riechzellen liegen“, erklärt der Wissenschaftler.

Mehr als 30 Millionen solcher Zellen mit 350 verschiedenen Riechsensoren hat der Mensch. „Er kann damit die gesamte komplexe Duftwelt wahrnehmen“ – von stinkender Buttersäure bis zur Maiglöckchen-Note.

Das machen sich auch Parfümeure zunutze, die versuchen, das duftende Frühlingsgefühl in Flakons zu füllen. Holzige, erdige Duftstoffe mögen zwar eine Grundlage bilden, wie Dirk Linder von der Deutschen Gesellschaft der Parfümeure erklärt, „aber wer möchte so einen Duft tragen oder darin duschen?“.

Nach dem grauen Winter sollen Düfte die Sehnsucht nach klarer Luft und frischem Grün stillen. „In der Herznote würde ich weiße Blüten, Orangenblüten oder Maiglöckchen einsetzen“, erklärt der Parfümeur. Wichtig sei vor allem eine Assoziation von Leichtigkeit.

Holunderblüten, Maiglöckchen und Flieder nennt auch Marc vom Ende, Parfümeur bei Symrise mit Sitz im niedersächsischen Holzminden, einem der weltweit größten Duft- und Aromaproduzenten, als prototypische Frühjahrsdüfte. Diese Gerüche als Raumduft oder Parfüm erlebbar zu machen, betont er, sei jedoch eine sehr komplexe Angelegenheit.

„Maiglöckchenduft beispielsweise lässt sich nicht einfach als Essenz gewinnen.“ Der Parfümeur müsse naturähnliche Stoffe solange zusammenmischen, bis die typische Note entsteht, sagt vom Ende.

Doch auch wer seine Nase nicht zu beruflichen Zwecken nutzt, sollte dann und wann genauer hinriechen, was die Luft um uns herum verrät, empfiehlt der Geruchsprofessor Hatt. Sein Wunsch, nicht nur für den Frühling: „Geht mit offener Nase durch die Welt, riecht euch überall um“.

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