Immerhin ist es wissenschaftlich tatsächlich belegt, warum sich solche Wucherei verkaufen lässt: Hirnforscher der amerikanischen Universität Yale haben 2008 herausgefunden, dass der Stempel „neurowissenschaftlich erwiesen“ vor allem jene Menschen überzeugt, die sich gar nicht mit Hirnforschung auskennen. Sie glauben: Wo Neuro draufsteht, muss die Wahrheit drin sein. Dazu noch ein paar kompliziert aussehende Abbildungen des Gehirns – fertig ist die Neuro-PowerPoint-Präsentation. Der Vorteil: Was wirklich dahinter steckt, versteht niemand.
Ein Blick in die populärwissenschaftlichen Abteilungen in deutschen Buchhandlungen zeigt, dass kaum ein Forschungszweig vor der Neuromanie sicher ist. Es gibt Literatur über Neuro-Philosophie, Neuro-Epistemologie, Neuro-Ergonomie und Neuro-Kunstgeschichte. Hauptsache irgendwas mit Hirn. Im Bereich Management lässt sich die angeblich heilende Wirkung der Hirnforschung besonders gut zu Geld machen, weil sie verspricht, den nach Fakten gierenden Alphatieren endlich eine objektive und empirisch belegte Anleitung für Führungsverhalten zu geben.
Leider gibt es einen Haken an der Sache: Die Hirnforschung ist ein sehr junger Forschungsbereich und steht ganz am Anfang. „Wir betreiben hauptsächlich Grundlagenforschung“, betont Hirnforscher Mohr. „Es ist momentan unmöglich, durch Wissen über die Funktion des Gehirns das Hirn direkt zu manipulieren. Das wird man wahrscheinlich auch in 20 bis 30 Jahren nicht können. Denn jedes Hirn ist anders und so verschieden wie Gesichter!“
Außerdem haben neurowissenschaftliche Studien ein generelles Glaubwürdigkeitsproblem: In einem viel zitierten Aufsatz stellte die englische Psychologin Katherine Button 2013 fest, dass die meisten Hirnforschungsstudien eine schwache Aussagekraft haben – wegen einer zu geringen Zahl der Probanden.
Peter Mohr glaubt, dass die Hirnforschung trotz aller Kritik einige mögliche Ansätze bieten kann, die sich im Arbeitsalltag anwenden lassen: Eine in vielen Studien belegte Erkenntnis ist etwa, dass ein menschliches Gehirn das ganze Leben lang anpassungsfähig bleibt. Wer sich viel mit intellektuell anspruchsvollen Aufgaben beschäftigt, hält den Geist fit. Auch die physische Verfassung ist wichtig für klares Denken, weil der Körper bei guter Kondition mehr Ressourcen für das Denken einsetzen kann. Das aber ahnte schon der antike Philosoph Juvenal, als er uns seinen berühmtesten Lehrspruch hinterließ: Mens sana in corpore sano. Über gelbe Pullunder schrieb er leider nichts.