Induktives Laden Endlich Schluss mit dem Kabelsalat

Nie mehr Steckdosen suchen. Nie mehr verhedderte Kabel. Smartphones und Elektroautos bekommen ihre Energie künftig über die Luft. Die Induktionstechnologie erlebt jetzt ihren Durchbruch.

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Kabelloses Laden von Elektrofahrzeugen. Induktionstechnologien machen es möglich. Quelle: Presse

Nicht! Schon! Wieder! Der Akku des Smartphones ist leer. Ausgerechnet jetzt, als wir den Anruf des Chefs erwarten. Als wir die wichtige E-Mail an den Kunden schreiben wollen. Als unser Lieblingsclub um den Sieg kämpft. Die Verwünschungen, die in solchen Momenten lautstark ertönen, sind schlicht nicht druckbar.

Die geringe Ausdauer vieler Handys ist ein Ärgernis, das wir zähneknirschend hinnehmen. Auch, weil es nicht wirklich eine Alternative gibt – und weil sich zur allergrößten Not auf Handy oder Notebook auch mal ein Stündchen verzichten lässt.

Bei Elektroautos dagegen ist die begrenzte Kapazität der Batterien ein massives Verkaufshindernis. Der E-Flitzer i3 von BMW zum Beispiel hat nach Angaben der Münchner eine Reichweite von 160 Kilometern und benötigt sechs bis acht Stunden, um 80 Prozent seines Akkus zu füllen. Da kommt manch potenzieller Kunde ins Grübeln, wie alltagstauglich solch ein Fahrzeug ist.

Doch mit dem Ladefrust wird bald Schluss sein, weil Smartphones, Tabletcomputer und Elektroautos dann schnurlos ihre Energie tanken: anfangs noch in der Nähe spezieller Ladestellen, die in den Schreibtisch eingebaut oder in der Garage installiert sind. In ein paar Jahren sollen die Batterien dann über Meter hinweg kabellos Strom bekommen. Dann lädt das Handy im Vorbeigehen, das Auto auf der Fahrt über die Autobahn.

Setzt sich diese Technik durch, wird sie unseren Umgang mit allen elektrischen Geräten radikal verändern.

Apple, Ikea und Starbucks sind dabei

Das physikalische Prinzip hinter dem schnurlosen Laden ist bereits seit mehr als 100 Jahren bekannt: Ein elektrischer Wechselstrom in einer Spule erzeugt ein pulsierendes Magnetfeld, das in einer anderen, entfernten Spule wiederum Strom fließen lässt. Das funktioniert in jeder elektrischen Zahnbürste. Und auch Nachrüstsysteme für Smartphones sind schon länger auf dem Markt. „2015 scheint nun den Durchbruch für das schnurlose Laden zu bringen“, beobachtet David Green, für die Technik zuständiger Analyst bei der US-Marktforschung IHS. Die weltweiten Umsätze mit dieser Technik sollen dieses Jahr 1,7 Milliarden Dollar erreichen, mehr als drei Mal so viel wie 2014. Und das enorme Wachstum soll weiter anhalten (siehe Grafik unten).

Weltweite Nachfrage nach schnurlosen Ladesystemen

So vergeht kaum ein Monat, in dem nicht ein namhaftes Unternehmen ankündigt, die Technik nutzen zu wollen. Apple lädt seine Uhr schnurlos. Bei Samsungs Spitzen-Smartphone S6 geht das genauso. Ikea bietet seit Kurzem Beistelltische und Lampen mit Ladefeldern für Handys an. Autobauer integrieren das System in der Mittelkonsole.

Wie weit die neue Ladefreiheit schon in den Alltag vorgedrungen ist, zeigt ein Besuch der Starbucks-Filiale am Union Square im Herzen San Franciscos: In diesem Treffpunkt der digitalen Bohème sind auffällig viele Smartphones zu sehen, die ihre Besitzer auf Metallplatten abgelegt haben. Auf denen laden sie ihre Handys kostenlos, so wie sie umsonst per WLAN im Internet surfen dürfen. In vielen weiteren Filialen in den USA geht das auch schon, Europa und Asien sollen folgen. Die Fast-Food-Kette McDonald’s hat schon nachgezogen, und auch die Fluggesellschaft Emirates rüstet Lounges entsprechend aus.

Starbucks als Technikpionier

„Vor knapp 20 Jahren war es vor allem Starbucks, das der WLAN-Technik zum Durchbruch verhalf. Warum sollte es beim drahtlosen Laden anders sein?“, verkündet Scott Eisenstein. Er ist Marketing-Chef der Power Matters Alliance; die Firmeninitiative steckt hinter der PowerMat-Ladetechnik, die die Kaffeekette einsetzt.

Was Eisenstein verschweigt: Nicht nur der von ihm vertretene Standard wirbt um die Gunst der Kunden. Momentan läuft ihm das Konkurrenzverfahren Qi (gesprochen „Chi“) des Wireless Power Consortium, kurz WPC, den Rang ab. Denn es konnte bisher deutlich mehr Handyanbieter als Unterstützer gewinnen; Google mit seinen Nexus-Modellen etwa oder LG aus Korea.

Mit ein wenig Glück müssen sich Nutzer und Hersteller aber bald nicht mehr für eines der Ladeverfahren entscheiden: Im Frühjahr taten sich PowerMat und ein weiterer Mitbewerber zur Alliance for Wireless Power zusammen, an dem auch Chiphersteller Intel beteiligt ist. Qi-Anbieter WPC will dessen Standard in der nächsten Generation seiner Technik integrieren. Dies könnte das Zusammenwachsen der heute noch konkurrierenden Systeme einleiten.

Bis es so weit ist, geht Samsung den teuren Weg und baut in das S6 kurzerhand PowerMat und Qi ein. Auch viele Nachrüst-Kits kommen mit mehreren Standards zurecht. Die gibt es mittlerweile auch zum Einbau in der Mittelkonsole für viele Automodelle, in denen der Fahrer sein Handy auf dem Weg zur Arbeit laden kann. Diesen Komfort wollen nun auch die Fahrzeughersteller selbst ihren Kunden bieten.

So wird Daimler auf der Frankfurter Messe IAA Mitte September eine Lösung für seine Mercedes-Modelle vorstellen. Höchstwahrscheinlich kommt die Technik vom Zulieferer Continental – auch wenn beide Konzerne sich dazu nicht äußern. Conti hatte bereits angekündigt, dass seine Handybox, die mit dem Qi-Standard arbeitet, 2015 erstmals in Serienmodellen auftauchen sollte.

Die kann noch mehr als laden: Sie verbindet das Handy zugleich per Bluetooth mit der Außenantenne des Fahrzeugs und mit der Infotainmentanlage an Bord. Das verbessert die Sprachqualität beim Telefonieren und erlaubt, Musik vom Handy über die Autolautsprecher abzuspielen. Und sollte versehentlich ein in Alufolie verpackter Kaugummi in die Ladeschale geraten, unterbindet die Elektronik sofort den Energiefluss.

Busse laden schon heute schnurlos

Mit welchen Hindernissen Elektroautos kämpfen

Strategisch noch bedeutsamer für die Autohersteller ist das drahtlose Laden von Elektroautos. Denn es könnte auf elegante Weise das Problem der geringen Reichweiten vieler Fahrzeuge lösen. Weil die Besitzer ohne lästige Stecker in der eigenen Garage oder auf dem Firmenparkplatz Strom bunkern.

Da sich dabei relativ große Energiemengen übertragen lassen, ist die Batterie bei einem vom Freiburger Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme (ISE) entwickelten System schon nach einer Stunde wieder zu 80 Prozent gefüllt. Angesichts dieser Leistungsdaten müssen die Sicherheitsanforderungen noch strenger als bei Handys sein. Elektronik und Sensoren müssen sofort erkennen, ob etwa eine Maus in das Magnetfeld zwischen Ladespule im Boden und Empfängerspule an der Autounterseite läuft. Die gesetzlichen Grenzwerte für magnetische Felder sind zudem so streng, dass selbst Träger von Herzschrittmachern ohne Bedenken in ein Elektroauto beim Laden steigen können.

Toyota und Nissan wollen als erste in Serie gehen

Dass das funktioniert, zeigen Praxisversuche schon länger: Bereits 2014 hat zum Beispiel die Braunschweiger Verkehrs-GmbH Haltestellen aufgerüstet, um Elektrobusse per Induktion aufzuladen, während die Fahrgäste aus- und einsteigen. Die Technik stammt von Primove, der Mannheimer Tochter des kanadischen Transportkonzerns Bombardier. Ähnliche Projekte realisiert sie auch an ihrem Stammsitz sowie in Berlin. Und erst vor wenigen Wochen kündigte Primove die Zusammenarbeit mit einem noch ungenannten Autohersteller an.

Daimler und BMW kooperieren ihrerseits mit dem Schweizer Ladetechnikspezialisten Brusa. Die Stuttgarter arbeiten auch mit dem US-Chiphersteller Qualcomm zusammen. Ebenso wie Citroën und Renault.

Schon etwas weiter ist die aus dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausgegründete Firma Witricity. Vor der Zentrale in Watertown nahe Boston stehen jede Menge Toyota Prius, die Elektro- und Benzinantrieb kombinieren, und tanken auf speziellen Parkplätzen Strom. Damit die Ladespulen optimal zueinander ausgerichtet sind, rangiert ein elektronischer Parkassistent die Autos zentimetergenau auf die Tank-Stelle. Schon bald wollen Toyota und Nissan diese Lösung in Serie anbieten. Auch Mercedes arbeitet an solch einem System. Serienstart könnte ab dem Jahr 2017 sein.

Künftig sind sogar spezielle Ladespuren auf Autobahnen denkbar, um Akkus während der Fahrt zu füllen. Technisch ist dies dynamische induktive Laden möglich, erklärt Stefan Reichert, Teamleiter Elektromobilität am Freiburger Fraunhofer Institut ISE. Dazu müssten die Fahrzeuge auf wenige Zentimeter genau über den Stromspuren ausgerichtet werden. „Das klappt wohl am besten mit autonom fahrenden Autos“, erläutert Reichert. Noch sei aber nicht klar, ob solch eine Infrastruktur wirtschaftlich sein könne.

Der Fernseher wird zum Energieversorger

Einen Nachteil haben alle mit Induktion arbeitenden Systeme. Sender und Empfängerspule müssen relativ nah beieinander sein. Daher suchen einige Entwickler nach ganz neuen Verfahren der Energieübertragung. So will das Start-up Energous aus dem kalifornischen San Jose Strom über Radiofrequenzen ins Smartphone pumpen. Bei einem Abstand von anderthalb Metern, so verspricht Energous-Chef Stephen Rizzone, soll das Aufladen nicht länger dauern als an einer konventionellen Steckdose. Er will sein System in Fernseher, Kühlschränke oder WLAN-Router integrieren, die dann als Energiesender dienen. Prototypen gibt es bereits, Ende nächsten Jahres sollen erste Geräte auf den Markt kommen.

Das will auch die 26-jährige Erfinderin Meredith Perry mit ihrer Firma ubeam aus Los Angeles schaffen. Sie nutzt Schallwellen in einem unhörbaren Frequenzbereich, um Energie zu verschicken. Für diese Idee hat Perry bereits 13 Millionen US-Dollar eingesammelt. Die Entwickler von Samsung und Apple nehmen das junge Unternehmen sehr ernst.

Setzen Rizzone und Perry sich durch, bleibt das Handy beim Laden künftig in der Tasche. Über den Zustand des Akkus müssen wir uns dann nie mehr Gedanken machen. Und werden immer für den Chef erreichbar sein.

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