Es war das Jahr 1870, als erstmals Fließbänder in der Produktion anliefen. In den Schlachthöfen von Cincinnati in den USA transportierten sie täglich Tausende Schweine an Hunderten Schlachtern vorbei, die sie in Windeseile Stück für Stück in Koteletts und Schnitzel zerlegten. Schnell und billig – und Ausdruck einer neuen Zeit.
Denn nicht nur Fleisch wurde dank Arbeitsteilung und einer ungeheuren Beschleunigung der Arbeitsprozesse für immer mehr Menschen erschwinglich. Ihm folgten Hemden, Möbel und Medikamente, schließlich die Autos.
Das Fließband gibt seither den Takt des industriellen Fortschritts vor – und der kannte vor allem eine Richtung: immer mehr Massenware immer noch kostengünstiger herstellen. Das Prinzip brachte Wachstum und Wohlstand, den Arbeitern in den Fabriken aber auch ein gerütteltes Maß an Monotonie.
Nun aber steht die industrielle Fertigung selbst vor einem Umbruch. Die Auswirkungen dieses technologischen Wandels und des Innovationsschubs, den er auslöst, werden unser Leben und die Wirtschaft nach Ansicht vieler Experten mindestens so gravierend verändern wie die Erfindung des Fließbands vor gut 140 Jahren.
Es ist eine auf den ersten Blick paradox wirkende Idee, die die Vordenker des Umbruchs fasziniert. Denn nach Jahren eintöniger Massenfertigung kehrt die Industrie zu ihren Wurzeln zurück. In eine Epoche, als Produkte zumeist Einzelanfertigungen waren, hergestellt in Manufakturen. Diese Zeit der Individualität möchten Vordenker wie Henning Kagermann, bis Mai 2009 Chef des größten deutschen Softwarekonzerns SAP, wiederaufleben lassen.
Allerdings mit den Mitteln und Methoden des Internet-Zeitalters. Sie wollen eine hochflexible Fabrikwelt schaffen, in der jeder Kunde Schuhe und Handys, Pumpen und Zahnräder genau in der Ausführung bekommt, die er gerne hätte. Jedoch „zu den Kosten einer Massenproduktion“, sagt Kagermann, heute Präsident der Technikakademien in Deutschland (Acatech).
Wie digitale Fabriken funktionieren
Damit sie sich verständigen können, erhalten Bauteile, Materialien und Transportkisten Minichips und Funkmodule. 2020 werden dadurch weltweit 50 Milliarden Geräte Teil des Internets sein – heute sind es zehn Milliarden.
Bisher wird die Produktion zentral geplant. Künftig steuern Stühle, Handys oder Autos ihre Fertigung selbst – exakt nach Kundenwunsch. Experten rechnen mit Produktivitätssprüngen von 50 Prozent.
Kleine, verteilte Produktionsstätten – teils im transportablen Container-Format – lösen Riesenfabriken ab. Fachleute erwarten Energie- und Ressourceneinsparungen von 20 bis 25 Prozent.
Chips in Produkten speichern alle Bauteile und verwendeten Rohstoffe. Das digitale Gedächtnis erleichtert die Wiederverwertung und spart Milliarden Euro Kosten.
3-D-Drucker fertigen Zahnkronen, Flugzeugteile oder Lampen. Statt Fertiggütern reisen Konstruktionsdaten um den Globus. Die Mikrofabrik für jeden wird Realität.
Produkte, wie etwa Laufschuhe, zeichnen das Nutzerverhalten auf. Die erf1assten Daten sind Grundlage optimierter, personalisierter Folgeprodukte.
Integrierte Chips verbinden alle Produkte mit dem Internet. Bald wird es so etwa möglich sein, dem Auto per Handy-App zu befehlen, autonom vom Parkhaus zum Restaurant vorzufahren.
Bezahlbare Vielfalt für alle, das Einzelstück vom Band – bis vor Kurzem noch bezweifelten Produktionsexperten, dass sie den vermeintlichen Widerspruch auflösen könnten. Doch nun wird genau das Realität – getrieben von einer bisher nicht gekannten Digitalisierung auch der Fabriken.
Büros und unser Privatleben hat die Allgegenwart von Computer, Mobilfunknetzen und Internet schon umgestülpt. Ständige Erreich- und Verfügbarkeit, arbeiten von praktisch jedem Ort der Welt aus, kleine Programme, sogenannte Apps, die Tipps für praktisch jede Lebenslage aufs Handy spielen, sind nur einige Beispiele für den radikalen Wandel unseres Alltags.
Der erfasst nun auch die Maschinenhallen. Glaubt man den Prognosen der Vordenker, waren die Folgen von Web 2.0 und E-Mail-Verkehr harmlos gegenüber dem, was sich in den Fabriken anbahnt. Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zünden Forscher und Unternehmen dort gerade die vierte Stufe der industriellen Revolution: Nach Dampfmaschine, Fließband und Computerisierung der Büros geht es jetzt um die Integration der Internet-Technologien in die Produktion.
Rasanter Wandel
Neben die allgegenwärtige Kommunikation von Menschen mit Menschen tritt die noch viel umfassendere der Maschinen. Es geht um die totale Vernetzung von Bauteilen, Werkzeugen und Transportbehältern zum Internet der Dinge. Und dieser Wandel vollzieht sich rasend schnell: „Schon Ende des Jahrzehnts“, prognostiziert Dave Evans, Chef-Zukunftsplaner beim Netzausrüster Cisco, „werden weltweit 50 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein.“ Heute sind es erst rund zehn Milliarden.
Wie diese neue Wunderwelt der Produktion einmal aussehen kann, lässt sich in Deutschlands derzeit wohl modernster Fabrik schon besichtigen. Sie steht im Nordosten Bremens gleich neben der Universität und ist in einer Halle des Bremer Instituts für Produktion und Logistik (Biba) untergebracht. Hier unterziehen die Protagonisten der autonomen Fabrikation ihre Ideen dem Realitätscheck.
Zwar ist die Fabrik bisher nicht mehr als ein Prototyp – noch dazu einer, der kaum mehr Platz beansprucht als ein Badmintonfeld. Doch die Erwartungen an die kleine Anlage sind riesig: Die Biba-Forscher erproben dort das Konzept einer Fabrik, in der nicht mehr Produktionsplaner, sondern die Produkte selbst ihre Herstellung steuern. Es ist der endgültige Bruch mit dem etablierten, aber starren Konzept der Fließbandfertigung.
Die Forscher simulieren die Herstellung von Autorücklichtern in drei Varianten. Dafür haben sie die Reflektoren mit winzigen Chips bestückt, die an die fünf Montagestationen funken, ob sie mit hellen oder farbigen Birnen, mit weißen oder bunten Blenden ausgerüstet werden sollen.
Was, wo, wie produziert wird, hätte bisher ein Mensch entschieden. Nun aber handeln die Reflektoren im Dialog mit den Maschinen aus, welcher Automat den Zusammenbau übernimmt, weil er gerade frei ist und über die notwendigen Bauteile verfügt. Sind sie sich handelseinig, bringt ein Werkstückträger das Gehäuse zur jeweiligen Station. Veigt ist zufrieden: „Prinzipiell funktioniert die Selbststeuerung, das haben wir hier bewiesen.“
Für die Arbeitswelt bringt das radikale Veränderungen. Denn die Bediener künftiger, autonomer Produktionslinien müssten im Prinzip nicht einmal mehr im Werk anwesend sein, berichtet Biba-Projektleiter Marius Veigt schmunzelnd. „Theoretisch können sie die Produktion genauso gut per Smartphone oder Tablet-PC von zu Hause aus überwachen.“
Acatech-Chef Kagermann hat keine Zweifel, dass sich die Prinzipien der Bremer Modellfabrik auf die gesamte Industrie übertragen lassen. Er erwartet sogar, dass die Selbststeuerung der Produktion je nach Branche Produktivitätssprünge von bis zu 50 Prozent auslösen kann, begleitet von massiven Material- und Energieeinsparungen.
Selbst beim Auto, heute schon Symbol für individualisierte Fließbandfabrikation, sehen Vordenker wie John Rogers noch Potenzial für eine Explosion der Produktvielfalt. Rogers ist Mitgründer von Local Motors (LM) im US-Bundesstaat Arizona und arbeitete zuvor für McKinsey als Unternehmensberater. Er setzt auf einen Trend, der heute schon die Innovationsfähigkeit der Internet-Welt bestimmt: die Idee der Open Innovation, in der die Zusammenarbeit von Kunden, internen Ingenieuren und externen Enthusiasten die Entwicklungsgeschwindigkeit hoch- und die Kosten nach unten treibt.
Wenn aber die Entwicklung eines Autos nurmehr wenige Millionen statt einer Milliarde Dollar kostet wie heute, rechnet Rogers vor, müssen die Hersteller nicht mehr Zehntausende Exemplare von einem Modell verkaufen, um ihre Investition zurückzuverdienen. „Das Geld, das heute in hohe Stückzahlen fließt, kann die Branche dann in die Bandbreite der angebotenen Produkte stecken“, sagt er.
Dass das funktioniert, hat LM bereits bewiesen. Für die US-Regierung entwarf das Startup mit Unterstützung der Netzgemeinde einen leichten Militärtransporter. Nicht einmal sechs Monate brauchten die LM-Techniker dafür und nur einen Bruchteil üblicher Budgets.
Schmuck aus dem Drucker
Die Revolution von Fertigungssteuerung und Innovationsmanagement geht einher mit einem ebenso radikalen Umbruch in den Fertigungstechnologien – allen voran der Verbreitung sogenannter 3-D-Drucker. Sie markieren die Abkehr vom Konzept, Bauteile herzustellen, in dem man nicht benötigtes Material wegfräst oder abschleift. Die neue Technologie lässt Werkstücke nur da entstehen, wo tatsächlich Material benötigt wird. Das senkt den Rohstoff- und Fertigungsaufwand drastisch.
Auswahl von 3D-Druck-Verfahren
Ähnlich der "Heißklebepistole" wird Material aufgetragen, das anschließend aushärtet.
Ähnlich wie beim Tintendrucker wird Material tröpfchenweise aufgebracht und ausgehärtet - zum Beispiel wird Kunststoff durch UV-Strahlung polymerisiert.
Ein Bindematerial wird auf eine Materialschicht (zum Beispiel Sand) aufgebracht - später wird das ungebundene Material abgenommen und die gewünschte Kontur bleibt stehen.
Eine Pulverschicht wird durch Wärme (Laser) verschweißt. Nach dem schichtweisen Aufbau kann das lose Material abgenommen werden und es bleibt die gewünschte Kontur stehen.
Direktes Materialschmelzen - ähnlich dem Pulverbett-Schmelzen, allerdings wird das Material bereits gezielt am gewünschten Ort aufgetragen und verschmolzen.
Lange war das nur im Laboreinsatz und zu immensen Kosten möglich. Nun aber gibt es Maschinen für den Privatgebrauch bereits für weniger als 500 Euro, mit denen jedermann zum Fabrikanten werden und beispielsweise Modeschmuck oder Spielsachen fertigen kann. Daneben erschließen Preisverfall und Leistungsschub der Technik auch in der Industrie neue Einsatzfelder. Dentallabors produzieren Zahnersatz damit, Boeing komplette Flugzeugbauteile. Die US-Weltraumbehörde Nasa testet, ob die 3-D-Drucker Astronautennahrung herstellen könnten.
Und das ist nicht die einzige radikale Neuerung, die gerade die Spielregeln der industriellen Welt durcheinanderwirbelt. Die universelle Vernetzung im Internet der Dinge führt dazu, dass bald jedes Produkt einen Prozessor, einen Funkchip und ein digitales Gedächtnis besitzt. So lassen sich Bauteile orten, aus der Ferne überwachen und per Datennetz mit neuer Software bestücken. Digitalisierung und Erreichbarkeit schaffen so ganz neue attraktive Märkte für internetbasierte Dienstleistungen rund um die Produkte.
Beispiele dafür gibt es bereits. BMW und Audi etwa entwickeln App-Stores, die Autobesitzern Musiktitel, Reiseführer und Navigationskarten zum Herunterladen anbieten. Auch an neuen Reparaturservices arbeiten die Entwickler: Sensoren registrieren, wann die Bremsbeläge abgefahren sind, und melden das via Bordcomputer an eine Werkstatt des Herstellers, die gleich Reparaturtermine anbietet.
Bosch wiederum will Kunden Software verkaufen, die den Energieverbrauch von Maschinen drastisch reduziert. Dazu sammeln und analysieren die Stuttgarter akribisch, welche Betriebsdaten die Anlagen permanent via Internet übermitteln.
Bollwerk gegen Asien
Beide Trends – die individualisierte Produktion und intelligente Produkte – bergen nach Meinung von Frank Riemensperger ein historisch einmaliges Potenzial. Der Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Accenture will es nutzen, um ein Bollwerk gegen die Abwanderung der Fertigung in asiatische Billiglohnländer zu errichten. Riemensperger ist überzeugt davon, dass dies gelingen kann. Denn vor allem deutsche Hersteller und ihre gut ausgebildeten Belegschaften verfügten über die Fähigkeit, die hohe Komplexität der sogenannten iProduction zu beherrschen. „Wir haben ideale Startvoraussetzungen“, betont er. Besonders Schlüsselbranchen wie Auto- und Maschinenbau, Elektro- und Medizintechnik könnten vom Zusammenwachsen von Internet und Produktion profitieren.
Das sieht auch die Bundesregierung so. Sie hat das Projekt Industrie 4.0 zu einem Schwerpunkt ihrer High-Tech-Strategie für Deutschland gemacht und pumpt in den nächsten Jahren 200 Millionen Euro in die Förderung internetbasierter Produktionssysteme und Dienstleistungen. Kanzlerin Angela Merkel fordert die Wirtschaft auf, rasch zu handeln: „Die Menschen lassen sich nicht mehr mit Massenprodukten abspeisen“, mahnt sie.
Wettbewerbsfähigkeit durch industrielles Internet
Das haben auch die drei großen Industrie-Vereinigungen erkannt, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) und das Sprachrohr der IT-Industrie Bitkom. In einer gemeinsamen Geschäftsstelle wollen sie die Verschmelzung von IT- und Produktionswelt vorantreiben, über gemeinsame Projekte oder indem sie einheitliche Standards für die Datenkommunikation entwickeln. Das Ziel skizziert VDMA-Geschäftsführer Hartmut Rauen: „Die neue Weltsprache der Produktion muss aus Deutschland stammen.“
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso würde sie gerne etwas europäischer klingen lassen. Doch auch er sieht im intelligenten Zusammenspiel von Produktion und Service den entscheidenden Hebel, den Industrieanteil an Europas Bruttoinlandsprodukt bis 2020 von heute knapp 16 auf 20 Prozent anzuheben. Das hat die Kommission als Ziel ausgegeben.
Um es zu erreichen und ihre globale Wettbewerbsfähigkeit auszubauen, brauchen Europa und Deutschland aber dringend ein neues Alleinstellungsmerkmal. Das industrielle Internet könnte dazu werden. Seine Entwicklung anzuführen, so sehen es die Brüsseler Kommissare, wird zur Schicksalfrage für den alten Kontinent.
Das wird schwierig genug. Denn auch die USA drängen mit Macht in das neue Geschäft. Ihr Vorteil: Mit Giganten wie Google, Amazon und Facebook dominieren sie das weltumspannende Datennetz, und sie sind besonders erfahren darin, es zu kommerzialisieren. Um mehr industrielle Arbeitsplätze gegen die Jobmisere zu schaffen, fördert Präsident Barack Obama innovative Fertigungsstrategien bis zum Ende seiner Amtszeit gleich mit einer Milliarde Dollar. Wer den Wettlauf gewinnt, ist noch nicht abzusehen.
Das Kräftemessen beginnt gerade erst. Nun geht es darum, wer die neuen Regeln und Prinzipien der Produktion als Erster beherrscht.
Die Bremer Fabrikforscher wollen weiter ganz vorne dabei sein. In einem neuen Projekt wollen sie ihre Erkenntnisse aus der Rücklichterproduktion jetzt auf den realen Fabrikalltag übertragen. Mit dem baden-württembergischen Antriebsspezialisten Wittenstein aus Igersheim in der Nähe von Würzburg bauen sie eine Zahnradproduktion nach den Prinzipien der Selbstorganisation auf. Spätestens 2015 sollen erste Probeläufe stattfinden.
Firmenchef Manfred Wittenstein ist ein überzeugter Pionier der Industrie-4.0-Bewegung. „Hier an der Spitze zu sein ist unabdingbar für die Sicherung des Produktionsstandorts Deutschland.“ Für dieses Ziel wagt er sich immer wieder auf Neuland.
In Zukunft sollen Kunden über Online-Portale direkt den Status ihres Auftrags abrufen können. Und nicht nur das: Dank der durchgängigen Vernetzung können sie die Ausführung der Zahnräder noch während der Produktion spezifizieren, zum Beispiel deren Geometrie ändern.
Auch deutsche Industrieikonen tasten sich in die neue Fertigungsphilosophie vor. Im Bosch-Motorenteilewerk in Homburg an der Saar lotsen kleine Funkchips blaue Kisten und ihren Inhalt präzise durch die Produktion: Gussstücke, Ventile und andere Teile, aus denen Einspritzdüsen für Dieselmotoren werden. Die unscheinbaren Chips führen alle notwendigen Informationen über die Bearbeitung mit.
Ökologisch und preiswert
Erst die Vernetzung hat das Tor zur vierten industriellen Revolution weit aufgestoßen. Am Ende der Entwicklung, glauben Experten wie Acatech-Präsident Kagermann, vergeben Unternehmen Aufträge in globalen Produktionsnetzwerken dorthin, wo gerade Kapazitäten frei sind und das benötigte Material am preiswertesten und zugleich ökologischsten zu beschaffen ist. Außerdem wenden sich die Hersteller von den heutigen Mammutfabriken ab. Stattdessen rücken sie mit kleinen, flexiblen Werken nah an ihre Kunden heran.
Organisieren die Unternehmen ihre Produktion zudem künftig in Kreisläufen, bei denen Materialien und Energie größtenteils zurückgewonnen werden, ist ein weiterer Schritt in eine grüne Wirtschaft getan. Der Leiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Thomas Bauernhansl, ist überzeugt, dass diese Materialwende kommt. „Verschwender riskieren ihre Wettbewerbsfähigkeit, weil ihnen die Kosten davonlaufen.“
Die digitalen Gedächtnisse in den Chips, mit denen alle Produkte künftig ausgestattet sein werden, erleichtern es, ihnen ein zweites Leben einzuhauchen. Denn die darauf gespeicherten Daten verraten, aus welchen Materialien sie bestehen und wie die sich recyceln lassen. Experten der britischen Ellen MacArthur-Stiftung errechneten, dass die Nahrungs-, Verpackungs- und Bekleidungsindustrien jährlich global 500 Milliarden Euro sparen könnten, wenn sie möglichst viele Ausgangsstoffe wiederverwerten.
Acatech-Präsident Kagermann ist sich sicher: Zählt man alle Effizienzgewinne von Industrie 4.0 zusammen, lassen sich Energie- und Ressourceneinsparungen von 20 bis 25 Prozent realisieren.
Dabei ist noch gar nicht ausgemacht, wie die Produktionswelt des Industrie-4.0-Zeitalters genau aussehen wird. Ebenso wenig, was der Totalumbau der Fabriken kostet. Einig sind sich die Fachleute aber darin, dass sich die Arbeitsinhalte der Fabrikbeschäftigten massiv verändern.
Statt für ermüdende Fließbandarbeit würden sie künftig vermehrt für kontrollierende und dirigierende Funktionen gebraucht, sagt Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer voraus. Ob die mit der Selbstorganisation einhergehende weitere Automatisierung der Fertigung Arbeitsplätze kostet oder zusätzliche schafft, darüber streiten die Experten noch.
Ganz Mutige, wie der Chefökonom des US-Industriekonzerns General Electric, Marco Annunziate, glauben sogar an ein neues Wirtschaftswunder. Wegen seiner höheren Produktivität, zitiert er das Ergebnis einer hausinternen Studie, könnte das industrielle Internet die Einkommen der Menschen um bis zu 30 Prozent erhöhen. Allerdings werden nach Meinung von Accenture-Chef Riemensperger noch zehn Jahre verstreichen, bis die ersten Fabriken komplett digitalisiert sind.
Das Warten aber, versprechen die Verfechter, werde sich lohnen: Die Produktionswelt wandelt sich zu einer Wünsch-dir-was-Ökonomie. Spaß garantiert.