Inhaltsstoffe in Kosmetik Wie wir uns täglich selbst vergiften

Kosmetikprodukte des täglichen Bedarfs enthalten hormonell wirkende Stoffe, die unseren Körper beeinflussen und krank machen können. Doch der Verbraucherschutz kommt nicht nach. Wie man die Giftgefahren erkennt.

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Fast ein Drittel aller Kosmetika sollen hormonell wirksame Substanzen enthalten. Sie stehen im Verdacht, mit Unfruchtbarkeit oder Brustkrebs zusammenzuhängen. Quelle: Fotolia

Selten sorgte eine Meldung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) für so viele Reaktionen: Jedes dritte Kosmetikprodukt enthält hormonell wirksame Stoffe. Duschgel, Zahnpasta, Gesichtscreme, Sonnenschutz, Deo, Wimperntusche ... mit Produkten, die wir jeden Morgen nach dem Aufstehen benutzen, vergiften wir unseren Körper. Das Ergebnis sind reduzierte Spermienqualität, verfrühte Pubertät oder Brustkrebs, hieß es in der Studie des BUND. Zudem empfohlen die Experten eine App namens "ToxFox", mit der sich Produkte einscannen und auf ihren Hormongehalt überprüfen lassen. Schon einen Tag nach der Meldung war sie bundesweit die am zweithäufigsten nachgefragte Gratis-App von iPhone-Nutzern. In der Kategorie "Gesundheit" sprang sie sogar auf Platz 1, und binnen 24 Stunden wurden rund 600.000 Körperpflegeprodukte eingescannt.

"Die überwältigende Nutzung der Kosmetik-App zeigt, wie stark das Bedürfnis von Verbraucherinnen und Verbrauchern nach sicheren Produkten ist", sagt Jurek Vengels, Leiter des BUND ToxFox-Teams. "Die Kosmetik-Hersteller müssen damit rechnen, dass sich die Kunden künftig viel bewusster für oder gegen ein Produkt entscheiden." Besonders häufig wurden die Stoffe in Produkten der Marktführer Beiersdorf (bekannt durch die Marke Nivea) und L’Oreal nachgewiesen. Bei diesen Firmen steckten in nahezu jedem zweiten Kosmetikprodukt hormonell wirksame Chemikalien. Bei L'Oreal steht dies in besonderem Maße im Widerspruch zu den vom Unternehmen selbst gesetzten Maßstäben: Der Konzern hatte laut BUND bereits vor vier Jahren angekündigt, alle Rohstoffe vor der Verwendung auf hormonelle Wirksamkeit testen zu wollen.

Anteil der hormonell belasteten Produkte der größten Hersteller
Beiersdorf46 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. bekannteste Marken: Nivea, 8x4 Quelle: dpa
Procter & Gamble46 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. Bekannteste Marken: Wella, Head & Shoulders Quelle: AP
L'Oréal45 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. Bekannteste Marken: Garnier, L'Oréal Men Expert Quelle: REUTERS
Cosnova44 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. Bekannteste Marken: Essence, Catrice Quelle: Presse
Coty39 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. Bekannteste Marken: Lancaster, Manhattan Quelle: dpa
Henkel30 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. Bekannteste Marken: Schwarzkopf, Syoss Quelle: dpa
Rossmann27 Prozent der Produkte sind mit hormonell wirkenden Substanzen versehen. Bekannteste Marken: Alterra, Isana Quelle: dapd

Vengels glaubt, dass der Druck auf die Konzerne durch die Verbraucher künftig steigen wird, auf hormonähnliche wirkende Stoffe zu verzichten. Doch dafür müssten die Verbraucher bewusst auf entsprechende Produkte verzichten, was gar nicht so einfach ist. Denn in manchen Produkten kommen Hormone ganz bewusst und auch transparent zum Einsatz. Antifalten-Cremes zum Beispiel enthalten Östrogen.

Noch schwieriger einzuschätzen sind Stoffe mit hormonartiger Wirkung, die der BUND in jedem dritten Kosmetikprodukten festgestellt hat. Sie stehen im Verdacht eine ähnliche Funktion zu übernehmen, wie die körpereigenen Botenstoffe. Verbrauchern ahnen oft nicht, dass diese Stoffe in ihren Kosmetikprodukten enthalten sind.

"Das Schilddrüsenhormon ist zum Beispiel für viele Stoffwechselfunktionen, die Wärmeregulation, das Wachstum und vieles mehr verantwortlich", erklärt Klaus-Peter Liesenkoetter. Der Kinderarzt aus Berlin hat sich auf Hormonerkrankungen spezialisiert und untersucht in diesem Zug die erwünschten und auch unerwünschten Nebenwirkungen von Hormonen und hormonartigen Stoffen im Körper. Oft hat er mit Frauen zu tun, die aufgrund eines gestörten Hormonhaushalts nicht schwanger werden können. Doch auch Männer die eine Antifaltencreme benutzen, können unfruchtbar werden, da durch das zusätzliche Östrogen die Testosteronbildung abnimmt.

Welche Stoffe hormonell wirken

100 Jahre L'Oréal
1908 Quelle: L'Oréal
1915 Quelle: L'Oréal
1921 Quelle: L'Oréal
1927 Quelle: L'Oréal
1932 Quelle: L'Oréal
1950 Quelle: L'Oréal
1961 Quelle: L'Oréal

Auch hormonbedingte Krebsarten sind in den letzten 40 bis 50 Jahren weltweit häufiger geworden. "Da wir wissen, dass zu viel Östrogen bei der Frau das Risiko für östrogenabhängige Tumore erhöht, werden die EDC verdächtigt zu einer Zunahme dieser Tumorarten in der Bevölkerung zu führen", sagt Liesenkoetter. Gemeint ist vor allem Brust- und Gebärmutterhalskrebs.

Fakt ist, jedes fünfte Kosmetikprodukt enthält nicht nur eins, sondern sogar zwei oder mehr hormonell wirksame Stoffe. Acht Prozent enthalten laut BUND gleich vier von ihnen. Die EU-Kommission schätzt, dass jeder Verbraucher im Durchschnitt pro Tag mindestens sieben Kosmetikartikel verwenden. Eventuell ist die Zahl sogar noch höher, denn kosmetische Mittel gehören zum Alltag und werden kaum noch bewusst wahrgenommen.

Die hormonell wirksamen Chemikalien, die in der BUND-Auswertung am häufigsten gefunden wurden, sind Parabene, die meist als Konservierungsmittel eingesetzt werden. So ist allein Methylparaben in 24 Prozent alle Kosmetika auf dem deutschsprachigen Markt enthalten. Welche Stoffe besonders kritisch sind, ist übrigens nicht nur mit Hilfe der ToxFox-App herauszubekommen. Die EDC müssen auf der Verpackung angegeben werden. Aufhorchen sollten Verbraucher unter anderem bei diesen Wirkstoffen:

Hormonell wirksame Chemikalien in Kosmetika (jeweils mit ihrer INCI-Bezeichnung)

 "Die Liste lässt sich noch deutlich verlängern", sagt Klaus-Peter Liesenkoetter. Hinzu zählen auch etliche Pestizide. "Von denen wissen wir ohnehin, dass sie auch noch toxische Wirkungen haben, also giftig sind." Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat all diese Chemikalien als "globale Bedrohung" bezeichnet.

Zugelassen ist der Einsatz in Körperpflegeprodukten dennoch. Die Hersteller nutzen sie vor allem als Konservierungsmittel mit desinfizierenden Eigenschaften oder als UV-Schutz, vor allem in Sonnencremes. Zudem wird die Konsistenz der Produkte oder auch Verpackungen mit Hilfe der Stoffe verändert. Werbepsychologische Studien belegen immer wieder, wie wichtig Kunden die Farbe, Konsistenz oder auch Verpackung eines Produktes ist. Und selbst aus der Verpackung, wie PET-Flaschen oder Beschichtungen in Konservierungsdosen, können die hormonellen Stoffe freigesetzt werden, sagt Liesenkoetter.

Die Summe der Stoffe schadet

Jeder einzelne Stoff ist für sich genommen nicht schädlich. "Für jeden Stoff gibt es einen oberen Grenzwert oder auch Unbedenklichkeitsempfehlungen", erklärt der Experte. "Und die werden in den einzelnen Kosmetikprodukten, Arzneimitteln und Lebensmitteln von den Herstellern auch meist nicht überschritten, sofern die Produktion in Ländern mit entsprechender Kontrolle stattfindet."

Aber wer täglich mehrere Produkte mit hormonellen Wirkstoffen nebeneinander konsumiert, überschreitet die Grenzwerte schnell. Besonders dramatisch: Die gleichzeitige Wirkung verschiedener Stoffe addiert sich nicht nur. "Es kann zu einer exponentiellen Verstärkung der Effekte kommen", sagt Liesenkoetter.

Darüber hinaus müssen die Effekte nicht sofort eintreten. „Die hormonell wirkenden Stoffe können im Fettgewebe gespeichert werden und erst unter bestimmten körperlichen Veränderungen aktiv werden“. Besonders häufig werde dies bei Frauen in der Schwangerschaft und jungen Müttern deutlich. Denn für die Milchbildung im Körper werden körpereigene Fette benötigt. Zunächst nutzt der Körper die Fettanteile, die für diesen Zweck im Zuge der Schwangerschaft extra aufgebaut werden. Stillt die Frau länger, werden auch Fettreserven genutzt, die mit den Wirkstoffen angereichert sind. Mit entsprechenden Auswirkungen für den Säugling.

Eine systematische Erforschung der Wechselwirkung aller Stoffe gibt es bisher nicht. Insgesamt müssten über 10.500 verschiedene Substanzen, die in Kosmetika enthalten sein können, in verschiedenen Dosierungen und Kombinationen miteinander abgeglichen werden. Ihre Erkenntnisse ziehen die Mediziner im Moment vor allem aus Langzeitstudien und Erfahrungswerten.

Wissenschaftler und Ärzte fordern daher, dass die Belastung der Menschen mit hormonell wirksamen Stoffen grundsätzlich reduziert werden muss. Wie zum Beispiel in Dänemark. Hier sind Parabene zumindest in allen Produkten für Kinder bis drei Jahre grundsätzlich verboten.

In Schweden gibt es ganz ähnliche Richtlinien. "Das zeigt deutlich, dass es Alternativen gibt. Viele Stoffe könnten ersetzt werden", sagt Liesenkoetter. Naturkosmetik etwa gilt in der Regel als unbedenklich.

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