Innovationsforscherin Weissenberger-Eibl "Industrienationen brauchen Innovationen"

Stetig überfluten uns die Hersteller von Smartphones, Tablets und Laptops mit neuen Geräten, die angeblich besser sind als der Vorgänger. Aber worum geht es bei Innovationen eigentlich? Und warum sind sie für Wirtschaft und Forschung so wichtig?

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Foto von Marion A. Weissenberger-Eibl Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Frau Weissenberger-Eibl, was macht für Sie eine Innovation aus?

Weissenberger-Eibl: Prinzipiell macht zunächst einmal nur die Kommerzialisierung einer Erfindung eine Innovation überhaupt zur Innovation. Sobald eine Erfindung am Markt angekommen ist, ist dieser allerdings zumeist relativ gut darin zu entscheiden, ob eine Erfindung tatsächlich gebraucht wird oder nicht. Das zeigt sich daran, ob sich die Innovation am Ende durchsetzt beziehungsweise ob sie einen Markt generiert.

Aber es gibt doch auch Innovationen, die sich nicht durchsetzen.

Ja, sie werden zumindest zum aktuellen Zeitpunkt vom Konsumenten nicht nachgefragt und damit auch nicht „gebraucht“. Konsumenten sind hierbei jedoch eher zum kleineren Teil Privatpersonen, sondern meist die Wirtschaft, das heißt die Unternehmen selbst. Der Markt per se braucht in diesem Sinne keine Innovationen. Innovationen generieren erst einen Markt.

Warum müssen denn ständig neue Technologien her?

Dafür müssen wir beachten, wie Innovationen entstehen. Sie können von staatlicher beziehungsweise gesellschaftlicher Seite her angestoßen werden - durch Förderprogramme, Investitionen in bestimmte zukunftsweisende Technologien oder ähnliches. Es geht hier meistens um die Technologien, für welche auch ein tatsächlicher Bedarf gesehen wird. Zum anderen entstehen Innovationen durch Forschung und Entwicklung in Unternehmen. Diese sind zunächst einmal gewinnorientiert.

Univ.-Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl

Das heißt, dass vor allem der finanzielle Nutzen im Vordergrund steht?

Es ist davon auszugehen, dass nur dann in Forschung und Entwicklung für Technologien investiert wird, wenn für diese auch später ein Markt gesehen wird. Ein Markt, auf dem neue Produkte verkauft werden können. Das heißt nicht unbedingt, dass neue Technologien immer etwas „radikal Neues“ darstellen. Häufig sind neue Technologien Verbesserungen bereits existierender Technologien, zum Beispiel zur Steigerung der Effizienz.

An welches Produkt denken Sie?

Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung von der Schallplatte zur DVD oder weiter zur Blu-Ray, wobei das Grundprinzip noch immer erhalten geblieben ist, sich die zugrundeliegende Technologie jedoch verbessert hat. Ob eine immer schnellere Technologieentwicklung und damit auch Effizienzsteigerung immer zu wünschenswerten Ergebnissen führt, ist allerdings eine andere Frage.

Wie viel Innovation ist nötig, um die Wirtschaft aufrechterhalten zu können?

Es ist klar, dass Innovationen die wirtschaftliche Lage eines Landes zunächst einmal positiv beeinflussen. Innovative Produkte müssen sich einem Technologiewettbewerb stellen. Außerdem muss geprüft werden, ob es jemanden mit einer vergleichbaren Technologie gibt - oder ob die Technologie besser als die des Konkurrenten. Gibt es keine vergleichbare Technologie, ist das Unternehmen Alleinanbieter und hat alle Vorteile einer Monopolstellung, zumindest kurzfristig. Gibt es jedoch Wettbewerber mit vergleichbaren Technologien, muss sichergestellt werden, dass die eigene Technologie die bessere ist, um am Markt zu bestehen.

Denkende Maschinen, totale Vernetzung, smarte Dienste
Internet der DingeDie Verknüpfung aller Gegenstände ermöglicht es, sie über Datennetze zu orten, zu kontrollieren und zu koordinierenWichtige Anwendungen: Intelligente Steuerung globaler Logistikketten und des Verkehrs; medizinische Ferndiagnosen; Gebäudeautomation; sich selbst optimierende FabrikenEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 207 Milliarden = 4,8 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 4/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 3/4 Quelle: Marcel Stahn
Automatisierung WissensarbeitLernende Softwaresysteme erkennen Zusammenhänge, analysieren Probleme und ziehen daraus SchlussfolgerungenWichtige Anwendungen: Erledigung von Aufgaben in Büro und Verwaltung; Abwicklung von Dienstleistungen; Erstellung von Entscheidungsvorlagen; medizinische DiagnosenEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 207 Milliarden = 4,8 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 4/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 3/4 Quelle: REUTERS
Fortgeschrittene RobotikRoboter bauen sich selbst, finden sich in der Umwelt zurecht und stellen sich auf den Menschen ein.Wichtige Anwendungen: Industrielle Produktion; Chirurgie; Pflege; vielseitige Helfer im Alltag, etwa beim Putzen oder RasenmähenEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 175 Milliarden = 4,0 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 3/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 4/4 Quelle: REUTERS
Alternative AntriebeElektro-, Brennstoffzellen- und Wasserstoffantrieb oder Hybridlösungen.Wichtige Anwendungen: Privat und gewerblich genutzte Fahrzeuge; Fuhrparks; Busse; Schiffe und FlugzeugeEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 111 Milliarden = 2,6 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 2/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 4/4 Quelle: dpa
Mobiles InternetSmartphone, Tablet-PC oder Datenbrille verbinden Nutzer jederzeit und überall mit dem InternetWichtige Anwendungen: E-Commerce; Online-Lernen; Telemedizin, z. B. Überwachung des Gesundheitszustands chronisch Kranker; Mobile Payment; GastronomietippsEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 91 Milliarden = 2,1 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 2/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 1/4 Quelle: dpa
Big DataAnalyse riesiger Datenmengen, die Sensoren, Rechner, Handys, intelligente Zähler und Autos ständig sammeln und übermittelnWichtige Anwendungen: Angebot individueller Produkte und Dienstleistungen; Börsenhandel; Marktprognosen; Entdeckung neuer GeschäftsmodelleEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 82 Milliarden = 1,9 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 3/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 2/4 Quelle: obs
Cloud ComputingAus der Datenwolke können Unternehmen und Private via Internet Software, Rechen-, Speicher- und NetzwerkkapazitätWichtige Anwendungen: Programme, IT-Infrastruktur und Internet-Plattformen werden gemietet statt gekauft – bedarfsgerecht und technisch auf dem neuesten StandEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 73 Milliarden = 1,7 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 3/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 2/4 Quelle: dpa

Was passiert, wenn Innovation an ihre Grenzen stößt?

Hat eine Technologie einen gewissen Sättigungsgrad erreicht und ist sie ist prinzipiell nicht mehr verbesserbar, verwandelt sich dieser Technologiewettbewerb in einen Preiswettbewerb. Wer die gleiche Technologie zum günstigsten Preis herstellen kann, kann sich am Markt durchsetzen. Ein Unternehmen, das einen Preiswettbewerb nicht gewinnen kann, muss innovativ sein. Dies lässt sich auf Volkswirtschaften übertragen. Industrienationen, die häufig Schwierigkeiten mit Preiswettbewerben haben, brauchen daher ein gewisses Maß an Innovationen, um die Wirtschaft aufrechterhalten zu können. Wo genau dieser Punkt liegt, ist allerdings sehr schwer zu bestimmen und sicherlich von Land zu Land sehr unterschiedlich.

Und wie innovationsfähig ist die deutsche Wirtschaft?

In unserer Untersuchung „Innovationsindikator“ vergleichen wir die Innovationsleistung von fast 30 Volkswirtschaften weltweit. Dabei konnten wir feststellen, dass sich die deutsche Wirtschaft hinsichtlich ihrer Innovationskraft im internationalen Vergleich verbessern konnte. Sie gehört zu den innovativsten weltweit und steht hinter Singapur und der Schweiz an dritter Stelle. Trotzdem reicht diese Stärke nicht aus, um Deutschland in der Gesamtauswertung nach vorne zu bringen, wo wir nach wie vor im Ranking den sechsten Platz belegen.

Keine zwangsläufig erhöhte technische Komplexität

Ist vorhersehbar, welche Produkte auf dem Markt Bestand haben können und welche nicht?

Eindeutig vorhersehbar ist das natürlich nicht. Allerdings sind Unternehmen häufig gut in der Lage, zumindest in gewissem Maße abzuschätzen, ob ein Produkt einen Absatzmarkt finden wird oder nicht. Es gibt schon in sehr frühen Technologiestadien Schutzrechtsstrategien, die festlegen, in welchen Ländern ein Schutzrecht Gültigkeit haben soll. Dahinter steht die Annahme, dass dorthin auch entsprechende Produkte verkauft werden sollen. Daraus lässt sich ableiten, dass Unternehmen ihre Märkte kennen. Innovationen werden auch häufig vom Markt selbst angezogen. Der Markt und die Gesellschaft fordern technische Lösungen zu gewissen Problemen ein und Unternehmen versuchen, diese technischen Lösungen auch zu liefern. Andererseits gibt es sicherlich auch technische Lösungen, die im frühen Stadium noch keinen Markt finden, was sich durch weitere zukünftige Entwicklungen jedoch ändern kann. Somit können bestimmte Technologien im Umkehrschluss auch Märkte anstoßen.

Welche Innovationen braucht der Markt überhaupt und wie viele brauchen die Konsumenten davon?

Die Bedarfe des Marktes können recht unterschiedlich sein. Daher muss eine Innovation nicht zwangsläufig mit einer erhöhten technischen Komplexität einhergehen. Unter Umständen kann sie sogar das Gegenteil bedeuten, nämlich die bewusste Reduktion auf Kernfunktionen. Die Innovation kann dann auch darin liegen, technisch gesehen eher simple Produkte hervorzubringen. Dies wird etwa vor dem Hintergrund beschränkter Ressourcen in Entwicklungsländern relevant.

Haben sie dafür Beispiele?

Ich denke dabei beispielsweise an das Nokia 1100, dessen besonders robuste Konstruktion sowie die Beschränkung auf wesentliche Telefonfunktionen speziell den Anforderungen in Schwellen- und Entwicklungsländer angepasst wurden. Spannend wird sicherlich künftig die Kombination aus Hightech und einfachen Innovationen. Die Industrienationen stehen vor echten strategischen wie auch organisatorischen Herausforderungen.

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