Nur mal angenommen, die Fahrt von München nach Hamburg dauert nur noch 27 Sekunden – statt sechsdreiviertel Stunden. Der Flieger von Frankfurt nach San Francisco landet bereits nach einer Dreiviertelminute. Und der Fußball-Europameister steht im Juni nicht erst nach 31 Tagen fest, sondern 1000-mal schneller, schon gut 44 Minuten nach dem Anpfiff. Nur wer sich vorstellen kann, mit welch aberwitzigem Tempo all das ablaufen müsste, erahnt die technische Sensation, die dem Walldorfer Softwarekonzern SAP im vergangenen Jahr mit der Einführung seiner neuen Technologie zur Datenanalyse gelungen ist.
Hana ist der große Wurf
Die SAP-Plattform Hana (High Performance Analytic Appliance) durchforstet gigantische Informationsbestände und Datenbanken 1000-mal schneller, als bisherige Softwaresysteme. Mindestens. Unter optimalen Umständen rast der digitale Nachbrenner für die Analysesoftware sogar bis zu 10.000-mal so schnell wie etablierte Programme durch Datenberge in Unternehmen, Behörden oder Forschungseinrichtungen. Unter anderem können damit Supermarkt-Leiter die Verkäufe von Zigtausend dort angebotenen Waren in Echtzeit überwachen und mit Preissenkungen auf die Nachfrage reagieren. Denn das System kann unmittelbar Alarm schlagen, wenn sich Obst, Gemüse oder andere Frischeprodukte schlechter verkaufen als geplant. Bislang lagen diese Daten meist erst nach Kassenschluss vor, wenn die Verkaufssoftware alle Umsätze des Tages ausgewertet hatte – und die verderbliche Ware reif war für die Tonne.
Keine Frage: Hana ermöglicht eine ganz neue Qualität analytischer Anwendungen in der Unternehmenssteuerung, aber auch im Forschungseinsatz oder der Medizin. Die Kombination aus Leistungsschub und Qualitätsverbesserung markiert aus Sicht der Juroren des Deutschen Innovationspreises einen Meilenstein. SAPs Turbolader für die Zahlenfresser sei die preiswürdige Antwort auf die wachsenden Datenmengen der Informationsgesellschaft, sagt Frank Riemensperger, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Accenture. Sie beschert dem deutschen Softwareprimus in diesem Jahr den ersten Platz in der Kategorie Großunternehmen. „SAP ist mit Hana ein großer Wurf gelungen“, sagt der Co- Juror des Innovationspreises.
Hana ist erst der Anfang
Das sehen auch die Kunden so. In den ersten sieben Monaten nach Marktstart haben die Walldorfer mit dem System rund 160 Millionen Euro Umsatz erzielt. „Damit ist Hana das am stärksten wachsende Produkt, das wir je auf den Markt gebracht haben“, sagt SAP-Deutschland-Chef Michael Kleinemeier. Inzwischen nutzen Unternehmen wie Red Bull und Bosch-Siemens-Hausgeräte, aber auch die AOK den Analyseturbo aus Walldorf.
Möglich wird die Technik durch einen Bruch mit jahrzehntelang etablierten Prinzipien der Datenverarbeitung: Die neue Plattform verarbeitet und lagert die Daten direkt im Arbeitsspeicher, statt sie zeitaufwendig von den langsameren Festplatten zu holen und dort wieder abzulegen.
Der nächste Preisträger ist schon in Sicht
Im IT-Jargon heißt dieses Prinzip In-Memory-Computing. Fachleute halten es für ähnlich revolutionär wie einst den Wechsel vom Großrechner zur PC-Ära, der die heutige Digitalisierung des Lebens erst ermöglicht hat. Dabei setzt SAP nicht als Einziger auf das neue Prinzip. Auch Erzrivale Oracle nutzt die Technik bereits. SAP ist nicht einmal der Anbieter der schnellsten In-Memory-Datenbank. Die stammt laut unabhängiger Tests vom Nürnberger IT-Spezialisten Exasol. Dennoch vollzieht SAP den Schwenk – von der klassischen IT-Welt zum neuen Software-Paradigma – so konsequent wie sonst kein IT-Unternehmen vergleichbarer Größe. Bisher dient Hana primär der Datenanalyse. Doch das ist erst der Anfang: „Aktuell läuft der Umbau aller Softwaremodule“, sagt Hana-Entwicklungsleiter Stefan Sigg: „Jetzt machen wir aus dem Turbolader Hana das Hochleistungstriebwerk, das alle SAP-Anwendungen auf das neue Leistungsniveau katapultiert.“
Der Umbruch bietet den Anwendern zwei Optionen. „Sie sind in der Lage, binnen Sekunden in Datenbergen unternehmenskritische Trends zu entdecken, statt wie bisher Stunden oder Tage auf Auswertungen warten zu müssen", sagt Lothar Büttner, der für Hana verantwortliche Manager in Deutschland. Doch mit der Technik lassen sich auch Datenmengen auswerten, deren Verarbeitung bisher in vertretbarer Zeit nicht möglich gewesen wäre. So arbeiten Forscher und Mediziner der Berliner Charité mit SAP an einer Software zur Verbesserung der Krebstherapie: Die Oncolyzer genannte Plattform soll die gigantischen bei der DNA-Analyse von Tumorzellen anfallenden Datenmengen in kürzester Zeit auf Anomalien und Mutationen untersuchen und so helfen, patientenspezifische Therapien zu entwickeln. Erfüllen sich die Hoffnungen der Entwickler, wäre der Oncolyzer heißer Kandidat für den nächsten Innovationspreis. Die Technik kann die Behandlung von Krebspatienten verbessern