Innovationspreis Die spannendsten Innovationen des Jahres geehrt

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Preisträger Mittelstand: Getemed

Forschungsvorstand Robert Downes (von links), Entwicklerin Astrid Trachterna und Vorstandschef Michael Scherf von Getemed Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Mit dem Telemonitoring-system von Getemed lassen sich herzkranke Menschen zu Hause überwachen, so dass sie seltener in die Klinik müssen. Das senkt die Kosten und steigert die Lebensqualität.

Ein schwaches Herz zu haben klingt harmlos. Tatsächlich führen Menschen mit einer sogenannten Herzinsuffizienz aber ein beschwerliches Leben. Weil ihr Herzmuskel das Blut nur noch mit reduzierter Kraft durch den Körper pumpt, sind sie oft kraftlos und schwach. Für viele Patienten wird jeder Schritt zur Qual und eine Treppe zum unüberwindlichen Hindernis.

Die Schwerkranken unter den deutschlandweit 1,8 Millionen Herzinsuffizienz-Patienten müssen zudem im Schnitt drei- bis viermal pro Jahr für mehrere Tage in die Klinik auf die Intensivstation, weil sie dem Tod näher als dem Leben sind. Für solche Patienten hat das Unternehmen Getemed aus Teltow in Brandenburg ein telemedizinisches Überwachungssystem entwickelt, für das die Jury des Deutschen Innovationspreises Getemed mit dem ersten Preis in der Kategorie Mittelstand auszeichnet.

Das Physiogate genannte System verbessert mithilfe der Telemonitoring-Technik die Lebensqualität der Schwerkranken deutlich, begründet Jury-Mitglied und EnBW-Vorstandschef Frank Mastiaux die Entscheidung: „Getemed hat Informations- und Medizintechnik so intelligent zu einem bedienerfreundlichen Produkt verwoben, dass ältere Menschen damit länger selbstbestimmt zu Hause leben können.“

Weil sich so die Zahl der Krankenhaustage um fast 60 Prozent reduzieren lässt, sinken auch die Behandlungskosten. Mastiaux ist überzeugt: „Solche telemedizinischen Techniken werden in den nächsten Jahren die Gesundheitsbranche revolutionieren, denn sie retten nicht nur Lebenszeit, sondern helfen auch auf Kostenseite.“

Geräte für Italien

Und das schon jetzt. So hat Getemed das gut 1000 Euro teure System seit Ende 2011 mehr als 1000 Mal an die Berliner Charité und die Kliniken in Cottbus und Brandburg an der Havel verkauft. Auch eine Klinik im italienischen Trient hat gerade einen Schwung Geräte geordert, berichtet Michael Scherf, der Chef des 73 Mitarbeiter starken Unternehmens. Getemed entwickelt seit 25 Jahren Überwachungssysteme für Risikopatienten sowie Säuglinge, die vom plötzlichen Kindstod bedroht sind.

Das Prinzip von Physiogate ist in der Anwendung ganz simpel. Die Klinik gibt den Patienten die Messgeräte und eine Bedieneinheit mit. Zu Hause stellen sich die Herzkranken dann in gewohnter Umgebung einmal täglich auf die Waage, legen die Blutdruckmanschette um einen ihrer Oberarme, klemmen eine Messsonde für die Sauerstoffsättigung des Bluts an eine Fingerkuppe und halten sich ein EGK-Messgerät an die Brust.

Alle Ergebnisse übermitteln die von Getemed entwickelten Geräte automatisch per Funk an die tabletgroße Physiogate-Bedieneinheit. Deren besonders große Bediensymbole auf dem Touchscreen sind auch für ältere Menschen gut lesbar. Zuletzt geben die Patienten auf einer fünfstufigen Skala an, wie gut sie sich an diesem Tag fühlen, dann sendet Physiogate das Datenpaket via Mobilfunk ans Telemedizinzentrum der beteiligten Klinik, die rund um die Uhr besetzt ist.

Der kritische Patient geht vor

Der Trick an der Sache ist folgender: Die Parameter Gewicht, EKG, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Befinden sind so intelligent zusammengestellt, dass sie sehr genau Auskunft darüber geben, ob es dem Patienten gut geht, oder ob er medizinische Hilfe braucht. Dabei sortiert eine von Getemed entwickelte Software die Datensätze automatisch so vor, dass die Ärzte die kritischen Fälle zuerst sehen.

Stimmt etwas nicht, rufen sie je nach Schweregrad der Komplikation den Patienten, den Hausarzt oder direkt den Notdienst an, um zu helfen und den Grund zu ermitteln. Legt ein Patient zum Beispiel vom einen auf den anderen Tag deutlich Gewicht zu und fühlt sich kurz darauf schlecht, dann weise das darauf hin, dass sein Körper gefährlich viel Wasser einlagert und seine Medikamente eventuell nicht richtig wirken, erklärt Getemed-Entwicklungsvorstand Robert Downes.

Die Ursache dafür lässt sich oftmals aber ganz schnell beheben: „Manchmal vergessen die Patienten einfach, eines ihrer vielen Medikamente zu nehmen“, sagt Downes. Dann reicht die telefonische Erinnerung vom Hausarzt, um eine potenziell lebensbedrohliche Situation schnell wieder zu entschärfen. In anderen Fällen bittet der Arzt den Kranken zu sich in die Praxis, um ihn genauer untersuchen zu können oder ein anderes Medikament zu verschreiben.

In jedem Fall hilft der Online-Check, den Gesundheitszustand der Patienten gar nicht erst so kritisch werden zu lassen, dass sie ins Krankenhaus müssen, sagt Physiogate-Entwicklerin Astrid Trachterna. Eine Studie der Charité belegt das: Mithilfe des Telemonitorings mit Physiogate sank die Zahl der Krankenhauseinweisungen um gut 40 Prozent. Bei jedem dieser Aufenthalte mussten die Patienten statt bisher durchschnittlich 9,1 Tage nur 3,8 Tage in teuren Krankenhausbetten liegen. „Bei Kosten von mehr als 500 Euro pro Krankenhaustag sind die Einsparungen erheblich“, rechnet Trachterna vor.

Obwohl es weltweit Hunderte telemedizinischer Projekte gibt, ist Physiogate eines der wenigen bisher zugelassenen Produkte. Den Grund dafür sieht Getemed-Chef Scherf in der engen Zusammenarbeit mit den Medizinern vor Ort. „Wir haben keine abgehobenen Telemedizin-Visionen entwickelt“, sagt der studierte Elektrotechniker: „Die Ärzte kamen auf uns zu.“ Die wenigen verbliebenen Niedergelassenen im strukturschwachen ländlichen Brandenburg wünschten sich solch ein Telemedizin-System, weil sie eine gute medizinische Betreuung der Herzpatienten kaum noch sicherstellen konnten. Insofern müsste kein Doktor Angst vor dieser Technik haben, sagt Scherf: „Wir wollen die Ärzte ja nicht ersetzen, sondern sie unterstützen.“

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