Das Manöver, auf das er seit sieben Jahr hinarbeitet, wird Robert Böhme am Bildschirm verfolgen: Wie sein Raumschiff mit einer Rakete ins All startet, an Bord zwei ferngesteuerte Wagen, so groß wie Bobby-Cars. Wie es fünf Tage mit 36 000 Kilometer pro Stunde durchs All fliegt. Wie es schließlich sein Ziel erreicht, das Taurus-Littrow-Tal – in dem die Reste der Apollo-17-Mission liegen. Im Frühjahr 2017 soll das so weit sein und das Projekt, an dem der 29-jährige Berliner mit einem Team von Freiwilligen, den Part-Time Scientists, arbeitet, vollenden: die Landung einer privaten Mission auf dem Mond.
Ein Stück ist er diesem Erfolg gerade wieder näher gekommen: Als Sponsor und Technikpartner hat Böhme Autobauer Audi gewonnen. 30 Millionen Euro braucht er für die Mission insgesamt. Und auch jenseits des Gelds weiß Böhme: „Unheimlich viel kann schiefgehen.“ Sonnenhitze kann die Triebwerke verformen, Strahlung den Bordrechner abwürgen, Gestein die Fähre beim Landen kippen. Auf die Rover wartet feindliches Terrain. Scharfe Staubkörnchen, 1000-mal kleiner als irdischer Sand, schmirgeln sich unerbittlich in jede Lücke.
Ab 2017 geplante Missionen auf den Mond
Chandrayaan-2: Untersucht Bodenproben
Lunar X Prize: Erster privater Rover auf dem Mond
Chang'e 5: Bringt Bodenproben zur Erde
DSE-Alpha (Space Adventures): Touristen-Rundflug um den Mond
Moon Express: Baut zwei Teleskope
Unbemannte Mondlandung: Erkundet den Mond
Chang'e 4: Landet erstmals auf Mondrückseite
Lunar IceCube: Kartiert Eisvorkommen
Luna 25: Erkundet den Südpol
Selene 2: Untersucht Mondboden
Resource Prospector: Mission Gewinnt Wasser aus Gestein
Golden Spike Company: Bemannte Mondlandung
Shackleton Energy: Treibstofffabrik auf dem Mond
Luna 26: Untersucht Mondboden
Luna 27: Untersucht Mondboden
Exploration Mission 2: Astronauten besuchen eingefangenen Asteroiden
Lunar Mission One: Bohrt bis zu 20 Meter tief
Bemannte Mondbasis
Bemannte Mondlandung
Bemannte Mondlandung
„Der Mond ist eine unglaublich harte Umgebung“, sagt Raumfahrtpionier Böhme. „Und genau darum wollen wir dorthin.“ Sobald die Sonde die ersten Bilder zur Erde funkt, haben die Part-Time Scientists Geschichte geschrieben: mit der ersten privaten Mission zu einem anderen Himmelskörper. 30 Millionen Dollar Preisgeld würde das geben, die Google und die kalifornische X-Prize-Stiftung ausgeschrieben haben. Der Wettlauf im All soll nicht bloß ein Medienspektakel sein – sondern das Startsignal zur kommerziellen Erschließung des Mondes.
Der Countdown läuft: Neben den Berlinern haben vier weitere Teams dank einer Finanzspritze von Google gute Chancen, im Rahmen des Lunar-X-Prize-Wettbewerbs auf den Mond zu gelangen.
Parallel dazu bietet die US-Weltraumbehörde Nasa der Wirtschaft technische Hilfe, um eine Art Paketdienst zum Mond zu entwickeln und Roboter zu bauen, die vor Ort Rohstoffe erkunden. Derzeit dürfen dafür die drei US-Start-ups Moon Express, Astrobotic und Masten Space Systems die Infrastruktur der Raumfahrtagentur nutzen.
Andere planen gar schon bemannte Missionen: Das US-Unternehmen Space Adventures will bereits 2017 zwei Touristen auf einen Rundflug um den Mond schicken – für 150 Millionen Dollar pro Ticket. Das Start-up Golden Spike entwickelt eine Landefähre für Astronauten und Touristen, die 2020 zum ersten Mal starten soll. Und die US-Gründung Shackleton Energy will aus Gestein Raketentreibstoff gewinnen.
Das mögen bisher nur Ankündigungen sein. Aber auch die großen Raumfahrtagenturen, ausgestattet mit Milliardenbudgets, haben den Mond wiederentdeckt. Weit mehr als ein Dutzend Missionen sind bis 2025 angedacht, so viele wie lange nicht mehr (siehe Grafik). Sogar eine bemannte Mondbasis ist wieder im Gespräch – auch weil die Raumstation ISS wohl 2024 außer Dienst geht.
Eine internationale Mondstation sei ein idealer Nachfolger, trommelt der deutsche Johann-Dietrich Wörner, seit Anfang Juli Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur Esa, derzeit bei jeder Gelegenheit. Auch, weil Astronauten hier alles trainieren könnten, was sie für eine bemannte Mission zum Mars lernen müssten.
Kleine Sonden, billige Missionen
In den nächsten zehn Jahren wollen Raumfahrtagenturen und Firmen die Grundlagen schaffen, um den Mond dauerhaft zu erschließen. Technische Fortschritte haben es im Vergleich zum Apollo-Programm viel leichter und preiswerter gemacht, den Erdtrabanten zu erreichen. Der Chip eines Smartphones etwa hat eine Million Mal mehr Arbeitsspeicher als der Steuercomputer der Apollo-Mondfähren.
Böhmes Raumfähre ist dadurch so rechenstark, dass sie bei der Landung mit einem Laser den Boden scannt, Steine erkennt und ausweicht.
Moderne Technik macht die Landefähre zugleich so klein und leicht, dass sie in einer preiswerten Rakete ins All fliegen kann, die sonst Satelliten transportiert. Für Unternehmen, die größere Lasten oder gar Menschen befördern wollen, stehen bis 2018 gleich zwei neue Riesenraketen bereit: die Falcon Heavy von SpaceX, der Raumfahrtschmiede von Multiunternehmer Elon Musk, und das Space Launch System der Nasa.
Neben den USA bereiten vor allem asiatische Staaten Missionen vor: Indien, China, Japan und Südkorea wollen bis 2019 jeweils eigene Rover auf den Weg bringen, die den Boden des Mondes untersuchen. China steuert mit der Mission Chang’e 4 erstmals die Mondrückseite an, Chang’e 5 soll sogar Proben zurück zur Erde bringen. Russland plant mehrere Landegeräte mit wissenschaftlichen Instrumenten an Bord, darunter auch einige von der Esa.
Am Südpol graben Roboter nach Wasser
Die Ergebnisse werden Forschern neue Hinweise über die Geschichte des Sonnensystems geben. „Wir wissen noch immer nicht genau, wie die Erde zu ihrem Mond gekommen ist“, sagt Ralf Jaumann, Planetenforscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. Aber nicht nur die Forschung über den Mond dürfte große Sprünge machen – sondern auch die Forschung auf ihm.
Den Anfang könnte die Fähre der Berliner Part-Time Scientists machen. Sie soll mit einer Spezialkamera den Boden untersuchen. Im Auftrag der Nasa wird sie sogar Pflanzensamen mitnehmen. Per Web-Cam wollen die US-Forscher prüfen, wie gut sie bei geringer Schwerkraft keimen. Das könnte wichtige Hinweise für den Bau von Gewächshäusern auf Mond oder Mars liefern.
Ein 3-D-Drucker auf dem Landegerät wiederum wird Mondstaub aufsammeln, schmelzen und daraus ein Bauteil drucken. Es wäre ein erster Beweis, dass eine Fabrik auf dem Mond machbar ist. Zugleich will Böhme einen Rover zum Mondauto von Apollo 17 schicken. Um herauszufinden, wie gut dessen Materialien 45 Jahre Vakuum, Hitze und Strahlung überstanden haben.
So lebensfeindlich der Mond ist, für Teleskope ist er ein idealer Standort. Auf seiner Rückseite, fern von Wolken und irdischem Funkverkehr, könnten sie ungestört ins All spähen. Im Jahr 2018 will das Start-up Moon Express die ersten zwei Riesenferngläser absetzen: eine Zwei-Meter-Schüssel, die Radiowellen empfängt, und einen Spiegel, der sichtbares Licht sammelt.
Stehen sollen die Lauscher auf dem Mons Malapert – einem etwa 4700 Meter hohen Berg am Südpol. Hier, in einer bizarren Kraterlandschaft, wäre auch der ideale Standort für eine Mondbasis. Denn während die Nacht am Mondäquator 14 Tage dauert, scheint auf den Kraterrändern am Südpol fast immer die Sonne. Solarzellen auf dem Gipfel könnten Maschinen und Teleskope am Hang des Berges mit Strom versorgen. Zugleich steht die Erde immer über dem Horizont, der Funkkontakt zur Heimat risse nie ab.
Hangabwärts könnten Rover die tiefen Krater erkunden – und einen begehrten Rohstoff suchen: Wasser. Astronauten brauchen es zum Trinken, Raketen für Treibstoff, Mondbasen als Schild gegen kosmische Strahlung. Auf der Erde reichlich vorhanden, ist es im All kostbar wie ein Edelmetall: Einen Liter Wasser auf die ISS zu bringen kostet rund 20 000 Dollar.
Seit 2009 sind sich die Forscher sicher: In der ewigen Dunkelheit der Südpolschluchten liegt seit Ewigkeiten Eis vergraben. „Auf dem Mond gibt es in etwa so viel Wasser wie im Bodensee“, sagt Planetenforscher Jaumann. Das ist allerdings nur eine grobe Schätzung. Neue Missionen sollen ab 2018 genauere Daten liefern: Dann schickt die Nasa Lunar Flashlight und Lunar IceCube los, die die Vorkommen mit Radar und anderen Methoden kartieren.
Im Jahr 2020 wagen die Amerikaner dann ein besonderes Experiment: Der Rover Ressource Prospector soll aus der lockeren oberen Bodenschicht, Regolith genannt, Wasserstoff und Sauerstoff gewinnen. Aus beiden lässt sich Wasser erzeugen – oder Treibstoff für Raumschiffe, wie es Shackleton Energy plant.
Der Mond wird zum Luxusurlaubsziel
Zapfsäulen im Erdorbit und zwischen Mond und Erde könnten künftig Satelliten betanken, damit sie länger im Orbit bleiben, oder Raumschiffe mit Sprit versorgen. Das käme erheblich billiger, als mit vollem Tank von der Erde aus zu starten. Mit dem Treibstoffhandel könnten private Unternehmen eine Mondbasis nahezu rentabel betreiben, wie eine aktuelle Nasa-Studie ergab. Die Raumfahrtagentur müsste dann nicht 100 Milliarden Dollar zahlen, um Astronauten auf den Mond zu bringen, sondern nur noch zehn.
So ließe sich der Mond zum Standort für Forschung und Fertigung ausbauen. Aus Regolith könnten Astronauten auch Solarzellen, Satelliten, ja ganze Raumschiffe herstellen. Von hier ins Sonnensystem oder in eine Erdumlaufbahn zu starten wäre viel billiger als von der Erde aus, weil die Gravitation geringer ist und es keine Atmosphäre gibt. „Der Mond“, sagt X-Prize-Teilnehmer Böhme, „ist ein ideales Sprungbrett ins All.“
Die Station böte ein attraktives Nebengeschäft: Pauschaltrips in den Weltraum. „Die Warteliste für eine Mondreise wäre ellenlang“, ist DLR-Experte Jaumann überzeugt. Hotel-Tycoon Robert Bigelow plant schon eine aufblasbare Herberge für die Zwanzigerjahre – noch dieses Jahr will er einen Prototypen an der ISS testen. Es wäre eine unvergleichliche Reise: Anflug über die Mondkrater, Expeditionen zum Südpol, ein Zimmer mit Aussicht auf die Erdkugel.
Einen ersten Eindruck können sich Interessierte verschaffen, wenn Astrobotic seinen Rover auf dem Mond gelandet hat. Denn der soll eine 3-D-Kamera an Bord haben und die Videos live zur Erde schicken. Mit einer Virtual-Reality-Brille wirkt es dann so, als stünde der Betrachter selbst dort, wo bisher nur zwölf Menschen waren.