Medizin-Nobelpreis geht an Japaner und Briten
Die Erwartungen an Stammzellen sind enorm: Eines Tages sollen sie Alzheimer, Parkinson und Krebs heilen, hoffen Ärzte wie Patienten.
Einen enorm wichtigen Schritt auf dem Weg zum vielseitigen Reparaturwerkzeug des Körpers sind dem britischen Forscher John B. Gurdon, 79, und der Japaner Shinya Yamanaka, 50, gelungen. Sie haben gezeigt, dass sich reife Körperzellen wieder in den ursprünglichen, embryonalen Zustand versetzen lassen. In diesem Zustand sind die Zellen sogenannte pluripotente Stammzellen. Das bedeutet, dass sie sich noch zu jedem Zelltyp des Organismus entwickeln können.
Aus ihnen können sich also etwa Knochen-, Muskel- oder Nervenzellen bilden. Eines Tages, so die Hoffnung, können sie so krankes Gewebe oder Organe ersetzen. Ist eine Zelle einmal ausgereift, hat also einen speziellen Entwicklungsweg eingeschlagen, so verliert sie diese Fähigkeit.
Dafür bekommen die beiden Wissenschaftler jetzt den Nobelpreis für Medizin.
Die Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen zehn Jahre
Den Medizin-Nobelpreis bekamen 2017 drei US-Amerikaner für Arbeiten zur Funktion und Kontrolle der Inneren Uhr. „Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young waren in der Lage, einen Blick ins Innere unserer biologischen Uhr zu werfen und ihre Funktionsweise zu beleuchten“, hieß es von der Nobeljury. „Ihre Entdeckungen erklären, wie Pflanzen, Tiere und Menschen ihren biologischen Rhythmus so anpassen, dass er mit dem Tag-Nacht-Rhythmus der Erde übereinstimmt.“
2016 erhielt der Japaner Yoshinori Ohsumi den Medizinnobelpreis. Er hatte die lebenswichtige Müllentsorgung in Körperzellen entschlüsselt.
Die Chinesin Youyou Tu für die Entdeckung des Malaria-Wirkstoffs Artemisinin. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.
Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe USA, Großbritannien - für die Entdeckung eines Navis im Hirn. Sie fanden grundlegende Strukturen unseres Orientierungssinns.
Thomas Südhof, gebürtig aus Deutschland, sowie James Rothman und Randy Schekman, USA - für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen.
Sir John B. Gurdon, Großbritannien, und Shinya Yamanaka, Japan - für die künstliche Herstellung von Stammzellen. Ihnen ist es gelungen, erwachsene Körperzellen in ihren embryonalen Zustand zurückversetzt haben - eine Revolution in der Stammzellforschung, weil sich diese Zellen in alle Zellen des Menschen entwickeln können.
Bruce Beutler, USA, und Jules Hoffmann, Frankreich - für ihre Entdeckungen über die Aktivierung der angeborenen Immunität.
Ralph Steinman, Kanada - für seine Entdeckung der dendritischen Zellen und ihrer Rolle in der adaptiven Immunität.
Robert Edwards, Großbritannien - für seine Entwicklung der In-vitro-Fertilisation.
Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak, alle USA - für die Entdeckung, wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt werden.
Harald zur Hausen, Deutschland - für seine Entdeckung der Auslösung des Gebärmutterhalskrebs durch humane Papillomviren.
Francoise Barre-Sinoussi und Luc Montagnier, beide Frankreich - für die Entdeckung des HI-Virus.
Der Entwicklungsbiologe Gurdon forschte viele Jahre an der britischen Cambridge-Universität. Er entdeckte bereits 1962, dass die Spezialisierung der reifen Zelle rückgängig gemacht werden kann. In einem klassischen Experiment ersetzte er den unreifen Zellkern - in diesem liegt das Erbgut, die DANN - in der Eizelle eines Frosches mit dem Zellkern einer ausgereiften Darmzelle. Diese manipulierte Eizelle entwickelte sich trotzdem zu einer normalen Kaulquappe. Gurdon bewies so, dass das Erbgut in der reifen Zelle alle Informationen besitzt, die benötigt werden, um jegliche Zellarten eines Frosches auszubilden. Er legte damit die Grundlage für die Forschung von Yamanaka.
Der Japaner Yamanaka ist Professor in Kyoto und San Francsico. Er entdeckte mehr als 40 Jahre nach Gurdons Experiment im Jahr 2006, wie gesunde, reife Zellen von Mäusen mit genetischen Tricks umprogrammiert werden können, um aus ihnen wieder unreife Stammzellen zu machen. Überraschenderweise reichte die Veränderung nur weniger Gene aus, um aus den Körperzellen wieder Stammzellen zu machen.
Organe schaffen, die nicht abgestoßen werden
Viele Forscher auf der ganzen Welt hoffen, dass sich aus diesen sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) eines Tages Ersatzgewebe oder -organe erschaffen lassen, die vom Empfänger nicht abgestoßen werden, weil sie aus dem eigenen Körper stammen. In den vergangenen Jahren wurden die sehr entwicklungsfähigen iPS-Zellen tatsächlich bereits in viele andere Zelltypen gewandelt. Die iPS-Stammzellen sind im Gegensatz zu den sogenannten embryonalen Stammzellen (siehe Grafik) ethisch unproblematisch. Die embryonalen Stammzellen stammen dagegen aus abgetriebenen Embryonen oder aus befruchteten Eizellen, die im Labor weiter reifen. Aus diesen Stammzellen lassen sich alle gut 200 Gewebetypen des Menschen züchten.
Das klinische Potenzial der iPS-Stammzellen ist aktuell allerdings noch gering. Denn noch wissen weder Mediziner noch Forscher, ob die Zellen durch den Vorgang der Rückprogrammierung im Körper des Patienten vermehrt zu Fehlfunktionen oder gar Krebs auslösen können. Dies ist noch unzureichend erforscht.
Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist diesmal mit umgerechnet 930 000 Euro (rund acht Millionen Schwedische Kronen) dotiert. Damit vergibt die Stockholmer Stiftung 20 Prozent weniger Geld als in den Jahren zuvor. Das Stiftungskapital hatte unter der Wirtschaft- und Finanzkrise gelitten.