John Gurdon und Shinya Yamanaka Die genetischen Tricks der Medizin-Nobelpreisträger

Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an John Gurdon aus Großbritannien und Shinya Yamanaka aus Japan. Sie erhalten ihn, weil sie erwachsene Körperzellen in ihren embryonalen Zustand zurückversetzt haben. Damit revolutionierten sie die Stammzellforschung, weil sich diese Zellen in alle Zellen des Menschen entwickeln können. 

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Medizin-Nobelpreis geht an Japaner und Briten

Die Erwartungen an Stammzellen sind enorm: Eines Tages sollen sie Alzheimer, Parkinson und Krebs heilen, hoffen Ärzte wie Patienten.

Einen enorm wichtigen Schritt auf dem Weg zum vielseitigen Reparaturwerkzeug des Körpers sind dem britischen Forscher John B. Gurdon, 79, und der Japaner Shinya Yamanaka, 50, gelungen. Sie haben gezeigt, dass sich reife Körperzellen wieder in den ursprünglichen, embryonalen Zustand versetzen lassen. In diesem Zustand sind die Zellen sogenannte pluripotente Stammzellen. Das bedeutet, dass sie sich noch zu jedem Zelltyp des Organismus entwickeln können.

Aus ihnen können sich also etwa Knochen-, Muskel- oder Nervenzellen bilden. Eines Tages, so die Hoffnung, können sie so krankes Gewebe oder Organe ersetzen. Ist eine Zelle einmal ausgereift, hat also einen speziellen Entwicklungsweg eingeschlagen, so verliert sie diese Fähigkeit.

Dafür bekommen die beiden Wissenschaftler jetzt den Nobelpreis für Medizin.

Die Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen zehn Jahre

Der Entwicklungsbiologe Gurdon forschte viele Jahre an der britischen Cambridge-Universität. Er entdeckte bereits 1962, dass die Spezialisierung der reifen Zelle rückgängig gemacht werden kann. In einem klassischen Experiment ersetzte er den unreifen Zellkern - in diesem liegt das Erbgut, die DANN - in der Eizelle eines Frosches mit dem Zellkern einer ausgereiften Darmzelle. Diese manipulierte Eizelle entwickelte sich trotzdem zu einer normalen Kaulquappe. Gurdon bewies so, dass das Erbgut in der reifen Zelle alle Informationen besitzt, die benötigt werden, um jegliche Zellarten eines Frosches auszubilden. Er legte damit die Grundlage für die Forschung von Yamanaka.

Die Nobelpreisträger 2012
Der NobelpreisDer Preis wird seit 1901 jährlich vergeben. Gründer der Auszeichnung ist der schwedische Erfinder und Industrielle Alfred Nobel (1833-1896). In seinem Testament legte er fest, dass mit seinem Vermögen eine Stiftung gegründet werden sollte. Die Stiftung solle einen Preis ausschreiben, mit dem diejenigen geehrt werden, die im "verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben." Der Nobelpreis wird in den Kategorien Physiologie oder Medizin, Physik, Chemie, Literatur und Friedensbemühungen vergeben. Außerdem stiftet die schwedische Reichsbank einen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaftler. Anbei eine Übersicht über die Preisträger 2012. Quelle: dpa
Nobelpreis für Physiologie oder MedizinDer japanischen Forscher Shinya Yamanaka ist einer der beiden Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin. Der Arzt und Stammzellenforscher erhielt die Auszeichnung für die künstliche Herstellung von Stammzellen. Ihm ist es gelungen, erwachsene Körperzellen in ihren embryonalen Zustand zurückversetzt haben - eine Revolution in der Stammzellforschung, weil sich diese Zellen in alle Zellen des Menschen entwickeln können. Quelle: dpa
Nobelpreis für Physiologie oder MedizinIn dieser Kategorie wurde auch der Brite John Gurdon ausgezeichnet. Der Entwicklungsbiologe Gurdon forschte viele Jahre an der britischen Cambridge-Universität. Er entdeckte bereits 1962, dass die Spezialisierung der reifen Zelle rückgängig gemacht werden kann. In einem klassischen Experiment ersetzte er den unreifen Zellkern - in diesem liegt das Erbgut, die DANN - in der Eizelle eines Frosches mit dem Zellkern einer ausgereiften Darmzelle. Diese manipulierte Eizelle entwickelte sich trotzdem zu einer normalen Kaulquappe. Gurdon bewies so, dass das Erbgut in der reifen Zelle alle Informationen besitzt, die benötigt werden, um jegliche Zellarten eines Frosches auszubilden. Er legte damit die Grundlage für die Forschung von Yamanaka. Quelle: dpa
Nobelpreis für PhysikDer Amerikaner David J. Wineland teilt sich mit dem Franzosen Serge Haroche den Nobelpreis für Physik. Die beiden werden für ihre für ihre „bahnbrechenden Methoden“, mit denen sich kleine Teilchen beobachten lassen, geehrt. Beide konstruierten dafür Fallen, in denen geladene Teilchen (Ionen) oder Lichtteilchen (Photonen) eingefangen werden können. Die besondere Leistung der Forscher: Ihre Objekte werden dabei nicht zerstört, sondern können über eine gewisse Zeit beobachtet werden. Wineland wurde 1944 geboren und promovierte an der Harvard University. Zurzeit forscht er am National Institute of Standards and Technology (NIST) und der University of Colorado in Boulder. Quelle: Reuters
Nobelpreis für PhysikDurch die Arbeiten der beiden Quantenforscher sei es erst möglich geworden, extrem schnelle Computer zu entwickeln, erklärte ein Sprecher der Wissenschaftsakademie. Die beiden Forscher (Serge Haroche im Bild) hätten „die Tür zu einem neuen Zeitalter der Quantenphysik-Experimente geöffnet“, heißt es in der Begründung. Haroche, Jahrgang 1944, studierte und promovierte in Paris. Derzeit arbeitet er an der Ecole Normale Superieure (ENS) in Paris. Quelle: dapd
Nobelpreis für ChemieRobert Lefkowitz erwarb 1962 an der Columbia University in New York City einen Bachelor in Chemie, 1966 folgte der M.D. Darauf arbeitete zunächst als Assistenzarzt ehe er 1968 in die Forschung an das National Institutes of Health wechselte. Seit 1973 hat Lekowitz einen Professur am Duke University Medical Center in Durham. Den Nobelpreis für Chemie erhält er gemeinsam mit Brian Kobilak für die Erforschung der Kommunikation von Milliarden von Körperzellen. Quelle: dpa
Nobelpreis für ChemieBrian Kobilak ist Professor an der Stanford Univerity School of Medicine. Kobilka studierte Biologie und Chemie an der University of Minnesota Duluth und absolvierte nach seinem Bachelor die School of Medicine in Yale. Später wechselte er an die Duke University, wo er als Postdoc bei Robert Lefkowitz arbeitet. Quelle: dpa

Der Japaner Yamanaka ist Professor in Kyoto und San Francsico. Er entdeckte mehr als 40 Jahre nach Gurdons Experiment im Jahr 2006, wie gesunde, reife Zellen von Mäusen mit genetischen Tricks umprogrammiert werden können, um aus ihnen wieder unreife Stammzellen zu machen. Überraschenderweise reichte die Veränderung nur weniger Gene aus, um aus den Körperzellen wieder Stammzellen zu machen.

Organe schaffen, die nicht abgestoßen werden

Die Millionen der Nobelpreisträger
Es gibt aus Sicht der Schweden einige gute Gründe, nicht zur Euro-Zone zu gehören. Einer davon ist der Nobelpreis. Kaum auszudenken, wie prosaisch es sich anhören würde, wenn die Königliche Akademie der Wissenschaften bekannt gäbe, das Preisgeld läge bei knapp einer Million Euro. Zehn Millionen Kronen, das klingt. Aber was machen Nobelpreisträger eigentlich mit dem Geldsegen? Quelle: dpa
Zwar spricht man auch unter Forschern, Literaten und Friedensaktivisten ungern über das eigene Bankkonto. Doch die Summe, die die Schweden den Laureaten überweisen, ist für die meisten Preisträger mindestens ebenso bedeutsam wie der ideelle Wert der Auszeichnung. Die Literaturnobelpreisträgerin von 2004, Elfriede Jelinek, beantwortete die Frage, was die Auszeichnung für sie bedeute, ganz eindeutig: finanzielle Unabhängigkeit. Quelle: AP
Tatsächlich ist es so, dass viele Nobelpreisträger zwar gute Jobs an Unis haben, aber durchaus keine Großverdiener sind. Und gerade die renommiertesten Forschungsinstitute - etwa das MIT nahe Boston, die Rockefeller Uni in New York oder in Deutschland die Uni München - liegen in Gegenden mit extrem hohen Lebenshaltungskosten. Wolfgang Ketterle, deutscher Physik-Nobelpreisträger von 2001, kennt das Problem. Er lebt und forscht in Cambridge, Massachusetts, einem der teuersten Pflaster Nordamerikas. "Ich habe das Nobelpreisgeld verwendet, um ein Haus zu kaufen und die Ausbildung der Kinder zu finanzieren", so Ketterle im Gespräch mit Handelsblatt.com. Der Professor hat deren drei, und an guten Unis in Nordamerika kosten allein die Studiengebühren schon mal gerne 30.000 Dollar pro Jahr. Quelle: AP
Richard Roberts (hier als 2. von links bei der diesjährigen Verleihung der Ig-Nobelpreise), der dem so genannten Gen-Splicing auf die Spur gekommen war und dafür 1993 den Nobelpreis erhielt, nutzte das Geld, um vor seinem Haus ein Croquet-Feld mit englischem Rasen anzulegen. Dass er auch aufgrund dieser entschieden britischen Upper-Class-Variante der Geldverwendung von Königin Elizabeth 2008 zum Ritter geschlagen wurde, ist aber nur ein Gerücht. Quelle: rtr
Paul Nurse (l.), Nobelpreisträger für Medizin 2001, steckte einen Teil seiner Kronen in eine Anschaffung, die die Königin eher nicht so amüsiert hätte. Nurse kaufte sich ein großes, schnelles und sehr teures Motorrad. Inzwischen ist er Präsident der Rockefeller University in New York und kann sich mit seinem Lohn dort wahrscheinlich auch das Benzin für sein Bike leisten. Quelle: AP
Franco Modigliani, Ökonomie-Preisträger von 1985, zog es dagegen aufs Wasser. Kein Problem, mit dem Geldsegen aus Stockholm konnte er sich gleich ein ganzes Segelboot kaufen. Quelle: dpa
Als besonders vorausschauend erwies sich Albert Einstein im Umgang mit seinem Nobel-Preisgeld. Er vermachte die gesamte Summe in einem Scheidungsvertrag seiner Ex-Frau Mileva Maric und den beiden gemeinsamen Söhnen. Klingt nach pflichtbewusstem Vater, ansonsten aber eher weniger außergewöhnlich, finden Sie? Falsch. Denn den Vertrag setzte Einstein im Jahr 1919 auf - den Nobelpreis erhielt er aber erst 1921. Quelle: AP

Viele Forscher auf der ganzen Welt hoffen, dass sich aus diesen sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) eines Tages Ersatzgewebe oder -organe erschaffen lassen, die vom Empfänger nicht abgestoßen werden, weil sie aus dem eigenen Körper stammen. In den vergangenen Jahren wurden die sehr entwicklungsfähigen iPS-Zellen tatsächlich bereits in viele andere Zelltypen gewandelt. Die iPS-Stammzellen sind im Gegensatz zu den sogenannten embryonalen Stammzellen (siehe Grafik)  ethisch unproblematisch. Die embryonalen Stammzellen stammen dagegen aus abgetriebenen Embryonen oder aus befruchteten Eizellen, die im Labor weiter reifen. Aus diesen Stammzellen lassen sich alle gut 200 Gewebetypen des  Menschen züchten.

Kleine und große Nobelpreis-Skandale
Barack ObamaAls der frischgewählte US-Präsident Barack Obama 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hagelte es Kritik. Kritiker fragte, für welche Leistung er den Preis erhält. Für Guantanamo? Für Afghanistan? Für den Irak? All diese Kriege und Menschenrechtsverletzungen gehen auch auf die Kappe Barack Obamas. Das fünfköpfige Nobelpreiskomitee begründete seine Wahl Mit den Worten: "Barack Obama erhält den Preis für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen Völkern zu stärken". Selten zuvor habe eine Persönlichkeit so sehr die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermittelt und die Aufmerksamkeit der Welt in Bann gezogen. Quelle: AP
Jean-Paul Sartre1964 lehnte der französische Schriftsteller Jean-Paul Sartre als bisher einziger der seit 1901 ausgewählten Preisträgern den Nobelpreis für Literatur freiwillig ab. Er erklärte stolz: "Jeder Preis macht abhängig." Das Preisgeld hätte er elf Jahre später trotzdem gerne gehabt. Mitte der 70er Jahre fragte Sartre beim Nobelkomitee diskret an, ob man ihm nicht nachträglich die Dotierung von 273.000 schwedischen Kronen überweisen könne. Quelle: AP
Ralph M. Steinman Als das Komitee 2011 den Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin bekannt gab, war der Preisträger Ralph M. Steinman bereits seit drei Tagen tot. Wie es dazu kommen konnte, dass Steinman neben seinen Kollegen Bruce A. Beutler und Jules A. Hoffmann als Preisträger verkündet wurde, konnten die überrumpelten Schweden damals nicht erklären. Der Tod des Kanadiers war ihnen nicht bekannt gewesen. Der Preis wurde Steinman postum verliehen. Quelle: REUTERS
Boris PasternakVor Jean-Paul Sartre lehnte auch der Schriftsteller Boris Pasternak den Literaturnobelpreis ab. Allerdings geschah dies nicht freiwillig, sondern 1958 auf Druck des Kreml. Die Sowjetführung hatte damals gemutmaßt, der ausgezeichnete Roman "Dr. Schiwago" sei vom amerikanischen Geheimdienstes CIA finanziell gefördert worden. Quelle: dpa-tmn
Verschmähte LiteratenAls einer der größten Skandale der Nobel-Geschichte gilt die Vergabe des Literaturnobelpreises. Immer wieder machen Kritiker darauf aufmerksam, dass Größen der Literaturgeschichte nie berücksichtigt wurden, während andere zwar den Preis erhielten, danach aber keine Rolle mehr spielten. Weder Leo Tolstoi (im Bild), noch James Joyce, Virginia Woolf, Marcel Proust, Henrik Ibsen oder der Schwede August Strindberg haben den Preis je zuerkannt bekommen. Längst vergessen ist hingegen die italienische Autorin Grazzia Deledda, die 1927 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Quelle: dpa
Dario FoEher ein kleiner Skandal war die Vergabe des Literaturnobelpreises an Dario Fo. Der Italiener erhielt 1996 als erster Dramatiker den begehrten Preis. Damit hatte damals niemand gerechnet. Vor ihm ging die Auszeichnung immer an Romanautoren und Lyriker. Mit einer Ausnahme: 1953 ging der Literaturnobelpreis an den britischen Ex-Premierminister Winston Churchill. Quelle: dpa/dpaweb
Liu Xiaobo2010 gab das Nobelpreis-Komitee bekannt, dass Liu Xiaobo (mit seiner Frau Liu Xia im Bild) mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. Die Wahl begründeten die Mitglieder mit seinem „langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China“. Zu dieser Zeit saß der Menschenrechtler bereits im Gefängnis. Die chinesische Regierung ließ ihn wegen Untergrabung der Menschenrechte festnehmen. Xiaobo hatte gemeinsam mit über 300 anderen Menschenrechtlern eine Charta zum Internationalen Tag der Menschenrechte veröffentlicht. Norwegens Regierungschef Jens Stoltenberg gratulierte dem Preisträger damals, enthielt sich jedoch jeglicher Kritik an Peking. Quelle: REUTERS

Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist diesmal mit umgerechnet 930 000 Euro (rund acht Millionen Schwedische Kronen) dotiert. Damit vergibt die Stockholmer Stiftung 20 Prozent weniger Geld als in den Jahren zuvor. Das Stiftungskapital hatte unter der Wirtschaft- und Finanzkrise gelitten.

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