Und so stellte die Kombo aus Knolle und Kot die Welt auf den Kopf. Von 21 Millionen Hektolitern im Jahr 1815 stieg die französische Kartoffelernte bis 1840 um über 400 Prozent auf 117 Millionen. Die Nahrungsmittelproduktion Europas verdoppelte sich. Dank der Kartoffel wurden die Europäer erstmals seit über 1000 Jahren satt. Nur dank ihr war in der Folge die Industrialisierung möglich, nur dank ihr konnten England und Frankreich im 19. Jahrhundert zu Großmächten aufsteigen. Friedrich Engels nannte die Kartoffel deshalb "den wichtigsten aller Rohstoffe, die eine geschichtlich umwälzende Rolle spielten".
Mais mit Features
Doch die nächsten Umwälzungen sind bereits voll im Gang. Es könnten gewissermaßen die Basistechnologien des Lebensmittelmarktes sein, die sich demnächst grundlegend verändern. Um beim Vergleich mit digitalen Innovationen zu bleiben: Was in den kommenden 10 bis 15 Jahren in der Lebensmittelbranche ansteht, ist so grundlegend wie der Wechsel vom Akkustikoppler zum DSL-Anschluss. In den USA wurde im vergangenen Jahr erstmalig ein neuartiger Mais namens Smartstax gepflanzt. Das vom Agrotechkonzern Monsanto genetisch modifizierte Getreide ist mit nicht weniger als acht sogenannten "Events" bestückt, Resistenzen gegen Unkraut, Schädlinge oder zu hohe Feuchtigkeit. Wenn der Landwirt etwas benötigt, kann man Features hinzufügen.
Neue Features? Klingt ein bisschen nach Softwareindustrie. Der Smartstax-Mais funktioniert nach demselben Prinzip. Die Basistechnologie ist seit inzwischen über einem Jahrzehnt auf dem Acker, das Genom ist im Rechner. Weitere Addons und Plugins zur Pflanze hinzuzufügen ist ein Kinderspiel. Nur nicht in Europa. Hier gibt es massive Vorbehalte gegen genetisch veränderte Organismen (GMOs). Auch wenn uns das vielleicht nicht schmeckt: Europa könnte zum Schluss nichts anderes übrig bleiben, als die Waffen zu strecken. Denn durch die GMO-Revolution wird sich unser Essen radikal verbilligen.
Billigeres Fleisch zu produzieren ist auch das Ziel von Mark Post. Sollte der Forscher von der Universität Maastricht erfolgreich sein, könnte das die Lebensmittelbranche ebenfalls umkrempeln. Post züchtet In-Vitro-Fleisch, in der Petrischale wachsende Muskelmasse. Bisher sind es nur kleine graue Brocken, die in rosafarbener Lösung schwimmen. Ob diese Fleischkulturen jemals wie echte Steaks aussehen (und schmecken) werden, ist noch ungewiss. Retortenfleisch mag uns heute widerlich erscheinen. Sieht man jedoch von dessen kulinarischer Fragwürdigkeit ab und betrachtet die wirtschaftlichen Faktoren, dann erscheint es vorstellbar, dass solches Frankensteinfleisch eine der Lebensmittelrevolutionen der nicht allzu fernen Zukunft ist. Analog-Chicken-Nuggets mögen uns heute noch widerlicher erscheinen als den französischen Bauern vor 300 Jahren die Kartoffel. Aber vielleicht wartet das Zuchtfleisch nur auf einen cleveren Unternehmer, der es zum revolutionären neuen Produkt macht. Mit dem richtigen Marketing – oder mit der richtigen Panade.