Keine Industrialisierung ohne Knolle Wie unsere Kartoffel den Fortschritt befeuert hat

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Die Kartoffel machte Weltreiche

Wo es Essen ohne Gentechnik gibt
Verbraucher wollen keine Gentechnik. Etwa 83 Prozent der deutschen Verbraucher lehnen nach einer Forsa-Umfrage (Juni 2012) gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Ein Grund, warum es hierzulande kaum Lebensmittelhersteller gibt, die Zutaten aus Gen-Pflanzen direkt verarbeiten. Nicht ganz so erfreulich schaut es hingegen bei tierischen Artikeln wie Fleisch, Eiern und Milch aus, denn 80 Prozent der Gen-Pflanzen landen am Ende im Tierfutter. Quelle: dpa
Die Umweltorganisation Greenpeace präsentiert in ihrer neuen Broschüre „Essen ohne Gentechnik“ die Ergebnisse einer spannenden Untersuchung. Die Experten haben getestet, ob Markenhersteller bei tierischen Produkten Gen-Pflanzen im Tierfutter einsetzen und zeigen, welche Supermarktketten auf Produkte ohne Gentechnik setzen. Quelle: dpa
Platz 1: AlnaturaDer südhessische Bio-Händler Alnatura schneidet am besten ab. Hier werden nur Produkte aus biologischer Produktion verkauft, die frei von Gentechnik sind. Die Naturkostkette vertreibt auch Bio-Lebensmittel unter einer eigenen Marke, die auch in Partnerschaft mit anderen Händlern wie dm, Tegut und Budni verkauft werden. In der ökologischen Landwirtschaft sind Gentechnik in Lebensmitteln oder im Tierfutter sowie chemisch-synthetische Spritzmittel tabu. Auch die Tierhaltung erfolgt nach strengeren Kriterien und Kontrollen. Quelle: dpa
Platz 1: DennreeDer Bio-Großhändler Dennree, der seinen Hauptsitz im Nordbayrischen Töpen hat, teilt sich den ersten Platz mit Alnatura und setzt ebenfalls keine Gen-Pflanzen ein; auch in der Tierfütterung nicht. Mit einem Umsatz von 420 Millionen Euro hat Dennree im vergangenen Jahr ein zweistelliges Wachstum von 12,8 Prozent erreicht. Das 1974 gegründete Unternehmen gilt als Bio-Pionierunternehmen und startete damals mit vier Bio-Milchprodukten in den Handel. Inzwischen sind täglich gut 200 firmeneigene Lkws unterwegs, um über 1.300 Naturkostfachgeschäfte in Deutschland, Österreich, Luxemburg und Südtirol/Italien mit inzwischen über 11.000 Artikeln zu beliefern. (Foto: Dennree GmbH) Quelle: PR
Platz 2: TegutDie deutsche Supermarktkette Tegut legt viel Wert auf Bio-Ware und Produkte ohne Gentechnik. Kunden, die in einem Tegut-Markt einkaufen, erkennen das an dem Logo auf den Produkten. Die Firma hat als erste Kette ihre Eigenmarken bei Milch, Sahne, Schmand und Joghurt mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel ausgezeichnet und betreibt sogar eine eigene Fleischerei für Schweineprodukte. Unter der Eigenmarke „LandPrimus“ garantiert Tegut eine gentechnikfreie Fütterung. Andere Eigenmarken, bei deren Herstellung auf Gentechnik verzichtet wird, sind „tegut...Bio“, „Herzberger Bäckerei“ und „Rhöngut“. Außerdem alle Eiermarken. Quelle: dpa
Platz 3: Aldi NordBio-Lebensmittel vom Discounter sind beliebt und müssen nicht mehr teuer sein. Inzwischen gibt es auch bei Aldi eine Menge Natur-Lebensmittel. Im Greenpeace-Ranking landet Aldi Nord auf dem dritten Platz, weil der Konzern seit zehn Jahren bei der Geflügelfütterung auf Gentechnik verzichtet. Nur bei Schweine- und Rindfleisch könnte das Engagement wohl noch etwas mehr sein. Mit „Gut Bio“ bietet Aldi Nord eine Eigenmarke an, bei deren Herstellung auf den Einsatz von Gentechnik verzichtet wird - das gilt auch für alle Eiermarken. Bei Hähnchen- und Putenfleisch sind es die Marken „Bauernglück“ und „Farmfreude“. Quelle: dpa
Platz 4: Aldi Süd Identisch sieht es bei dem Discounter Aldi Süd aus, der ebenfalls mit zusätzlichen Bio-Produkten mehr Kunden in seine Filialen locken will. Vor zehn Jahren hat sich das Unternehmen bei der Geflügelfütterung von Gentechnik verabschiedet. Nachholbedarf besteht jedoch noch bei Schweine- und Rindfleisch. Aldi Süd hat mit der Eigenmarke „bio“ ein garantiert gentechnikfreies Produkt im Regal. Außerdem sind alle Eiermarken gentechnikfrei. Quelle: dpa

Und so stellte die Kombo aus Knolle und Kot die Welt auf den Kopf. Von 21 Millionen Hektolitern im Jahr 1815 stieg die französische Kartoffelernte bis 1840 um über 400 Prozent auf 117 Millionen. Die Nahrungsmittelproduktion Europas verdoppelte sich. Dank der Kartoffel wurden die Europäer erstmals seit über 1000 Jahren satt. Nur dank ihr war in der Folge die Industrialisierung möglich, nur dank ihr konnten England und Frankreich im 19. Jahrhundert zu Großmächten aufsteigen. Friedrich Engels nannte die Kartoffel deshalb "den wichtigsten aller Rohstoffe, die eine geschichtlich umwälzende Rolle spielten".

Mais mit Features

Doch die nächsten Umwälzungen sind bereits voll im Gang. Es könnten gewissermaßen die Basistechnologien des Lebensmittelmarktes sein, die sich demnächst grundlegend verändern. Um beim Vergleich mit digitalen Innovationen zu bleiben: Was in den kommenden 10 bis 15 Jahren in der Lebensmittelbranche ansteht, ist so grundlegend wie der Wechsel vom Akkustikoppler zum DSL-Anschluss. In den USA wurde im vergangenen Jahr erstmalig ein neuartiger Mais namens Smartstax gepflanzt. Das vom Agrotechkonzern Monsanto genetisch modifizierte Getreide ist mit nicht weniger als acht sogenannten "Events" bestückt, Resistenzen gegen Unkraut, Schädlinge oder zu hohe Feuchtigkeit. Wenn der Landwirt etwas benötigt, kann man Features hinzufügen.

Neue Features? Klingt ein bisschen nach Softwareindustrie. Der Smartstax-Mais funktioniert nach demselben Prinzip. Die Basistechnologie ist seit inzwischen über einem Jahrzehnt auf dem Acker, das Genom ist im Rechner. Weitere Addons und Plugins zur Pflanze hinzuzufügen ist ein Kinderspiel. Nur nicht in Europa. Hier gibt es massive Vorbehalte gegen genetisch veränderte Organismen (GMOs). Auch wenn uns das vielleicht nicht schmeckt: Europa könnte zum Schluss nichts anderes übrig bleiben, als die Waffen zu strecken. Denn durch die GMO-Revolution wird sich unser Essen radikal verbilligen.

Billigeres Fleisch zu produzieren ist auch das Ziel von Mark Post. Sollte der Forscher von der Universität Maastricht erfolgreich sein, könnte das die Lebensmittelbranche ebenfalls umkrempeln. Post züchtet In-Vitro-Fleisch, in der Petrischale wachsende Muskelmasse. Bisher sind es nur kleine graue Brocken, die in rosafarbener Lösung schwimmen. Ob diese Fleischkulturen jemals wie echte Steaks aussehen (und schmecken) werden, ist noch ungewiss. Retortenfleisch mag uns heute widerlich erscheinen. Sieht man jedoch von dessen kulinarischer Fragwürdigkeit ab und betrachtet die wirtschaftlichen Faktoren, dann erscheint es vorstellbar, dass solches Frankensteinfleisch eine der Lebensmittelrevolutionen der nicht allzu fernen Zukunft ist. Analog-Chicken-Nuggets mögen uns heute noch widerlicher erscheinen als den französischen Bauern vor 300 Jahren die Kartoffel. Aber vielleicht wartet das Zuchtfleisch nur auf einen cleveren Unternehmer, der es zum revolutionären neuen Produkt macht. Mit dem richtigen Marketing – oder mit der richtigen Panade.

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