Koma Körper im Überlebensmodus

Etwa 40.000 Menschen fallen in Deutschland pro Jahr in ein Koma. Doch wie bewusst erleben Koma-Patienten ihren Zustand? Mit neuen Methoden versuchen Mediziner, die Geheimnisse des „tiefen Schlafs“ zu enträtseln.

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Koma heißt im Griechischen tiefer Schlaf - wie viel kriegen die Schlafenden mit? Quelle: Getty Images

Berlin Vor acht Jahren fiel der ehemalige Ministerpräsident Israels, Ariel Sharon, nach einem Schlaganfall ins Koma. Im Januar 2013 konnten die Ärzte bei dem inzwischen 85-Jährigen zwar vermehrte Hirntätigkeit feststellen und hofften noch auf ein Aufwachen. Doch nun scheinen die Organe des Politikers zu versagen.

Zur gleichen Zeit liegt in einem französischen Krankenhaus der viermalige Formel-Eins-Weltmeister Michael Schumacher mit schweren Kopfverletzungen nach einem Skiunfall in einem künstlichen, mit Narkosemitteln herbeigeführten Koma. Beide Fälle offenbaren, wie wenig Forscher und Ärzte bislang über jenen Zustand zwischen Leben und Tod, den „tiefen Schlaf“ (so die Bedeutung des griechischen Wortes „Koma“) wissen. Doch da dank der modernen Intensivmedizin immer mehr Patienten, die nach Unfällen oder Krankheit ins Koma fallen, am Leben erhalten werden können und so die Chance bekommen, wieder aufzuwachen, lernen die Forscher inzwischen dazu.

Etwa 40.000 Menschen fallen in Deutschland pro Jahr in ein Koma, das länger als eine Woche dauert. Anhand des Stoffwechsels im Gehirn versuchen Ärzte zu ermitteln, in welchem Bewusstseinszustand sich ein Komapatient befindet. Dazu wird dem Patienten radioaktiv markierte Glukose gespritzt, die mit einem bildgebenden Verfahren, der sogenannten Positronenemissionstomographie (PET), nachgewiesen werden kann. Je weniger radioaktive Glukose das PET im Hirn findet, umso weniger aktiv und umso komatöser ist das Hirn – bis hin zum Hirntod, wo auf PET-Bildern keine Aufnahme von Blutzucker mehr zu erkennen ist.

Deutlich zu unterscheiden vom PET-Bild eines gesunden Menschen sind Koma-Patienten im sogenannten Wachkoma, auch „vegetativer Zustand“ oder „appallisches Syndrom“ genannt. Ihr Gehirn hat einen deutlich reduzierten Zuckerstoffwechsel, ist aber noch soweit intakt, dass die Patienten die Augen öffnen können und „wach“ sind. Doch sie können nicht auf Ansprache oder Vorgänge in ihrer Umgebung reagieren.
Können Patienten eigenständig atmen und auf Schmerz reagieren, sprechen Mediziner vom „minimalen Bewusstseinszustand minus“.

Wenn sie darüber hinaus auch auf Ansprache des Arztes in gewissem Umfang reagieren können, ist der Komapatient im „minimalen Bewusstseinszustand plus“. Patienten mit sogenanntem Locked-In-Syndrom sind im PET nicht mehr von gesunden zu unterscheiden und scheinen auch ein intaktes Bewusstsein zu haben. Doch da sie körperlich gelähmt bleiben, können sie weder durch Sprache noch durch Gesten Kontakt mit ihrer Umwelt aufnehmen.


Zwangsruhestand fürs Hirn

Häufigste Auslöser eines Komas sind Kopfverletzungen und Schlaganfälle. Aber auch ein Herzinfarkt, Herzstillstand, Über- oder Unterzuckerung bei Zuckerkranken, allergischer Schock, Überhitzung oder Unterkühlung und sogar Alkoholvergiftungen kommen in Frage – das „Komasaufen“ ist also nicht nur ein Spruch.

Forscher vermuten, dass das Koma ein natürlicher „Überlebenssicherungsmodus“ darstellt. Der Körper flüchtet sich in diesen bewusstlosen Zustand, um großen Schmerzen oder auch Ängsten auszuweichen, Gehirn und Körper zu entlasten oder ihm nach schweren Verletzungen Zeit zur Regeneration zu verschaffen.

So wie das natürliche Koma eine Schutzfunktion hat, soll auch das künstliche Koma das Gehirn vor zusätzlichem Stress schützen. Künstliches Koma hat mit der natürlichen Bewusstlosigkeit allerdings nur wenig zu tun. Denn das künstliche Koma, in das Ärzte etwa Michael Schumacher nach dessen Skiunfall versetzten, wird mit Hilfe von Narkose-Medikamenten herbeigeführt und kann – sofern es keine Komplikationen gibt – jederzeit abgebrochen werden.

 Wie bei echten Komapatienten erlaubt auch die Langzeitnarkose dem Gehirn gewissermaßen auf Sparflamme zu laufen, so dass bereits geschädigte Hirnareale geschont werden. Und dabei zielt die Behandlung nicht nur auf das Gehirn. Im Fall von Schumacher ist das künstliche Koma und damit Ruhigstellen des Patienten allein schon aufgrund der schweren Schädelverletzungen hilfreich für eine Genesung, wie auch für Patienten mit Lungenversagen, Verbrennungen oder nach schweren Operationen, denen auf diese Weise starke Schmerzmittel erspart bleiben. Bis zu einem Monat können Patienten im künstlichen Koma gehalten werden. Um sie aufzuwecken, wird die Konzentration der Narkotika langsam reduziert.

Ob ein echter Koma-Patient aus seinem Koma aufwachen kann, hängt vor allem von der ursprünglichen Verletzung und Beeinträchtigung der Hirnfunktion ab. Bei Schädelverletzungen ist die Wahrscheinlichkeit eines Aufwachens nach einem Jahr im Koma nur noch sehr gering. Wurde das Koma durch Sauerstoffmangel des Gehirns verursacht, besteht schon nach drei Monaten nur noch wenig Hoffnung auf Besserung. Zwar ist seit 1998 bekannt, dass auch das Gehirn von Erwachsenen neue Nervenzellen bilden kann. Doch das reicht nicht, wenn wichtige Bereiche des Gehirns nicht mehr funktionsfähig sind.


Gibt es einen Weg zurück?

Die Ursache dafür, dass echte Komapatienten auch dann nicht aufwachen, wenn die für das Koma ursächliche Verletzung oder Krankheit längst verschwunden ist, können Forscher noch nicht benennen. Die französische Neurologin Sophie Achard und ihre Kollegen fanden kürzlich heraus, dass es offenbar eine Umorganisation im Gehirn von Komapatienten gibt: So sind die Nervenzellen zwar auch bei Komapatienten aktiv, jedoch in anderen Zentren des Gehirns als bei Gesunden. Inwieweit diese Umorganisation im Gehirn Ursache oder Folge des Komas ist, wissen Achard und Kollegen noch nicht.

Medikamente wie das Schlafmittel Zolpidem (Ambien) können die Gehirnaktivität und wohl auch den Wachheitsgrad von Komapatienten zwar für ein paar Stunden verbessern, jedoch gibt es bislang keine Therapie, mit der Komapatienten bei Bewusstsein bleiben, sobald die Tablette nicht mehr wirkt. Immerhin kann Zolpidem offenbar jene molekulare Bremse kurzzeitig lösen, die das Gehirn in einen Zwangsruhestand versetzt.

Der Neurochirurg Takamitsu Yamamoto von der Nihon-Universität in Tokio versuchte, den Zwangsruhestand des Gehirns durch elektrische  Tiefenhirnstimulationen zu beenden: Über feine Elektroden im Gehirn stimulierte er 21 Kompa-Patienten, von denen acht langfristig positive Effekte zeigten: Ihr Zustand verbesserte sich vom vegetativen Wachkoma zum minimalen Bewusstseinszustand.

Mit der gleichen Methode behandelte 2007 der Mediziner Nicholas Schiff vom Weill Cornell Medical College in New York einen Patienten, der sechs Jahre lang in einem Koma lag und nicht selbstständig kauen oder schlucken und keinen verständlichen Laut von sich geben konnte. Wann immer die Elektroden aktiviert waren, konnte der Patient seine Arme und Hände bewegen, selbst kauen und schlucken und sich mit Gesten und einzelnen Wörtern verständigen.

Was genau Medikamente wie Zolpidem oder die elektrische Stimulation im Hirn verändern und was den Unterschied ausmacht zwischen unbewusstem, komatösen Dämmern und einem voll funktionsfähigen Bewusstsein, ist Forschern jedoch noch immer ein Rätsel. Der Schalter im Gehirn, mit dem sich menschliches Bewusstsein ein- und ausschalten lässt, er ist trotz aller Forschung noch immer nicht gefunden.

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