Krebs Wenn Vitamine & Co mehr schaden als nützen

Vitamine sind gut, davon kann man nicht genug haben - so die vorherrschende Meinung. Aber im Gegenteil: Es mehren sich in letzter Zeit Studien, die zeigen, dass Antioxidantien das Tumorwachstum sogar fördern können.

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Heidelbeeren Quelle: dpa

Heidelbeeren, Brombeeren oder Cranberries – diese und viele weitere Lebensmittel gelten als besonders gesund. Grund ist ein hoher Anteil von Antioxidantien wie zum Beispiel Vitamin C und E, welche auch vor Krebserkrankungen schützen sollen. Täglich nehmen daher viele Menschen Vitaminpräparate und andere Antioxidantien zu sich – nach dem Motto: viel hilft viel. Positive Effekte einer hohen Dosis dieser Substanzen auf die Gesundheit konnten Wissenschaftler bislang aber nicht feststellen. Im Gegenteil: Forscher der Universität Göteburg im Fachblatt „Science Translational Medicine“ haben eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass im Tierversuch die Gabe von bestimmten Antioxidantien Hautkrebs nicht etwa hemmte, sondern die Tumore je nach Dosierung deutlich schneller wuchsen. Die Forscher fütterten Mäuse mit der Verbindung N-Acetylcystein (NAC). Anstatt einer Verbesserung durch die „gesunde“ Kost verschlimmerte sich der Zustand der Mäuse: Der Krebs breitete sich im ganzen Körper aus. Im Vergleich zu Mäusen ohne NAC-Gabe verdoppelte sich allein die Zahl der Lymphknoten-Metastasen. Der Test mit menschlichen Krebszellen in der Petrischale brachte ein ähnliches Ergebnis. Bereits Anfang 2014 war dasselbe Forscherteam bei Versuchen mit Mäusen, die an Lungenkrebsvorstufen litten, zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

Die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung lassen sich aber nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. Welchen Einfluss Antioxidantien auf gesunde Menschen haben und ob sie das Krebsrisiko erhöhen, darüber können erst klinische Studien Auskunft geben. Dennoch: „Die Einnahme von Antioxidantien verbessert die Situation von Krebspatienten nicht. Unter bestimmten experimentellen Bedingungen können Antioxidantien Krebs sogar verschlimmern“, sagt Dr. Katrin Schröder, die eine Arbeitsgruppe zum Thema freie Radikale am Institut für Kardiovaskuläre Physiologie der Goethe-Universität Frankfurt leitet.

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Braune Hühnereier Quelle: dpa

Dabei scheint der Grund, warum Antioxidantien als „Gesundheitshelfer“ gelten, einleuchtend: Sie neutralisieren die sogenannten freien Radikale - Atome und Moleküle, die sehr reaktionsfreudig sind und deshalb wichtige Grundbausteine unseres Organismus wie Proteine und Nukleinsäuren angreifen. Freie Radikale entstehen als Nebenprodukt im Stoffwechsel und sind in großen Mengen giftig für den Körper. Sie können zum Beispiel dadurch Alterungsprozesse beschleunigen. Weil Antioxidantien die aggressiven Radikale eliminieren, sind sie auch in manchen Kosmetika enthalten.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Denn freie Radikale sind genauso nützlich, da sie auch Bakterien und Viren sowie sich schnell teilende Tumorzellenangreifen angreifen und so für einen langsamen, kontrollierten Zelltod sorgen. „Antioxidantien verhindern dies, indem sie die Produkte der Radikale eliminieren. Zumindest im Experiment  kann dies dazu führen, dass Tumorzellen aktiviert werden, sich teilen und im Körper ausbreiten“, so Schröder.

Nobelpreisträger und Entdecker der DNS-Struktur, James Watson, hatte bereits vor über zwei Jahren Stellung zum Thema genommen. „Wenn wir herausfinden könnten, wie wir die Antioxidantien-Konzentration in Krebszellen reduzieren können, wären wir in der Lage, viele Formen von Krebs auch im späten Stadium zu behandeln, die jetzt noch unheilbar sind“, so Watson.

Jetzt aus Angst vor dem Krebs Vitamine zu meiden, wäre auch gefährlich. Denn wer etwa zu wenig Vitamin C zu sich nimmt, leidet schnell an Skorbut. Die Krankheit war früher unter Seeleuten gefürchtet, die Wochen auf See unterwegs waren und kein frisches Obst oder Gemüse bekamen. Wie immer in der Medizin kommt es auf die richtige Dosis an.

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