Krebsforscher Michael Platten "Wir unterbinden den ersten Schritt der Entartung zur Krebszelle"

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"Unser Impfstoff große Chancen, alle Tumorzellen zu erwischen"

Wirkt die Impfung ausschließlich bei Hirntumoren?

Wenn die Impfung hoffentlich auch beim Menschen funktioniert, sollten sich damit weitere Krebsarten ebenso gut behandeln lassen. Denn die Genmutation, die dieses typische Eiweißmuster hervorruft, tritt auch bei anderen Tumoren auf, zum Beispiel bei vielen Formen von bösartigem Knochenmarkskrebs, den sogenannten akuten myeloischen Leukämien. Auch bei Gallengangkrebs und sogenannten Sarkomen ist sie nachzuweisen.

Was an den Krebs-Mythen dran ist
Die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen hat sich laut eines Expertenberichts seit 1970 fast verdoppelt Quelle: dpa
Krebs ist ansteckendDieses Vorurteil hält sich standhaft. Dabei ist wissenschaftlich eindeutig nachgewiesen, dass Krebs weder über den normalen Umgang mit Patienten noch über die Pflege, nicht einmal über Sex, übertragen werden kann. Denn Patienten scheiden die Krebszellen nicht aus. Kommt ein Mensch versehentlich mit Tumorgewebe direkt in Berührung, erkennt das Immunsystem die fremden Körperzellen und eliminiert sie. Derzeit geht die Wissenschaft davon aus, dass dieser Schutzmechanismus sogar funktioniert, wenn man eine Bluttransfusion mit dem Blut eines Krebskranken verabreicht bekommt.Quelle: Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums Quelle: dpa/dpaweb
Abtreibung löst Brustkrebs ausDieses Gerücht ist eine echte Belastung für alle Frauen, die sich im Laufe ihres Lebens einmal gegen ein Kind entscheiden mussten. Ausgangspunkt ist eine Studie aus den USA, die weltweit in den Medien zitiert wurde. Diese legte nahe, dass Abtreibungen das Risiko für ein Mammakarzinom erhöhe. Kritiker bemängelten, dass mit der Studie keine Krebshäufung unter betroffenen Frauen nachgewiesen werden konnte. Auch ließe sich gar nicht ablesen, dass Abtreibung und Brustkrebs ursächlich etwas miteinander zu tun hätten. Mittlerweile wurden fundierte Studien durchgeführt, die zeigen, dass Schwangerschaftsabbrüche und auch ungewollte Fehlgeburten als Risiko für Brustkrebs relativ sicher ausgeschlossen werden können. Quelle: dpa
Zu enge BHs verursachen BrustkrebsAuch diesen Mythos schürte ein Buch aus den USA. Darin hieß es, dass das Abklemmen der Lymphbahnen dazu führe, dass der Stoffwechsel nicht gut funktioniere und Schadstoffe nicht abwandern könnten. Ein Beweis oder eine wissenschaftliche Quelle für diese Behauptung konnten die Autoren jedoch nicht liefern. Inzwischen ist klar: Das Tragen von Büstenhaltern beeinflusst das Brustkrebsrisiko nicht, egal ob zu eng oder gut passend, mit Bügel oder ohne. Quelle: dpa
Viele Lebensmittel sind für Krebspatienten giftigSo viele Ratschläge Freunde und Bekannte auch auf den Lippen haben, eine sogenannte "Krebsdiät" gibt es nicht. Häufig wird vor Kartoffeln, Tomaten oder Schweinefleisch gewarnt, die angeblich giftig für Krebspatienten seien. Tatsächlich enthalten die Nachtschattengewächse Kartoffeln und Tomaten in ihren grünen Pflanzenteilen das schwach giftige Solanin. Krebs fördert dieser Stoff jedoch nicht. Das Gerücht, Schweinefleisch sei schädlich, scheint eher einen weltanschaulichen oder religiösen Hintergrund zu haben. Wissenschaftliche Belege, dass das Fleisch ungesund ist, gibt es jedenfalls nicht. Quelle: dpa
Krebsrisiko steigt nach einer SterilisationFührt eine Durchtrennung der Eileiter oder Samenstränge zur Empfängnisverhütung zu Krebs? Hierauf ist die Antwort nicht so eindeutig zu geben. Bei Frauen konnte die Vermutung, eine Unterbindung der Eileiter führe zu Eierstockkrebs, bislang nicht durch Studien belegt werden. Bei Männern sieht die Sache etwas anders aus: Jahrelang galt eine Vasektomie als ungefährlich. Das Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken, scheint tatsächlich nicht anzusteigen. Bei Prostatakrebs hingegen sehen die Wissenschaftler noch offene Fragen. Eine US-Studie die im Journal of Clinical Oncology veröffentlicht wurde und 50.000 Männer über einen Zeitraum von 24 Jahren beobachtete, wies auf einen leichten Anstieg aggressiver Prostatakarzinome nach einer Vasektomie hin. Der Mechanismus dahinter ist aber noch unklar. Quelle: dpa
Übergewicht macht krebskrankEs gibt Studien, die sich mit der Frage beschäftigt haben, ob es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Körpergewicht und Brustkrebs gibt. Und tatsächlich müssen Frauen, die nach den Wechseljahren deutlich übergewichtig sind, mit einer höheren Erkrankungswahrscheinlichkeit leben. Für jüngere Frauen wurde dieser Zusammenhang bisher nicht bestätigt. Laut dem Krebsinformationsdienst laufen hierzu aktuell noch weitere Studien. Quelle: dpa

Was bewirkt die Genveränderung denn eigentlich?

Sie greift in den Energiestoffwechsel ein und führt zur Überproduktion einer bestimmten Substanz, die sich dann in den Zellen anhäuft. Das wiederum hat fatale Auswirkungen auf das gesamte Erbgut: Es wird instabil. Diese Genmutation ist sozusagen der erste Schritt hin zur Entartung einer bis dahin gesunden Zelle. Sie schafft den Nährboden für weitere Genmutationen, so dass eine Krebszelle entstehen kann.

Und diese Initialzündung wollen Sie unterbinden?

Nein. Wenn der Tumor entdeckt wird liegen bereits weitere Genmutationen vor. Aber weil diese Initialzündung bei der Entwicklung der Tumorerkrankung eine so frühe genetische Entgleisung ist, tragen tatsächlich alle Zellen im späteren Krebsgeschwulst diese Mutation. Unser Impfstoff hat also große Chancen, alle Tumorzellen zu erwischen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber anderen Tumorimpfungen, die sich gegen Mutationen richten, die Tumorzellen erst später in ihrer Entwicklung erwerben. Denn diese späten Mutationen besitzen nie alle Zellen in einem Geschwulst. Eine entsprechende Impfung kann dann eben nur jenen Teil der Krebszellen ausbremsen, die damit ausgestattet sind.

Das klingt nach einem ziemlich zukunftsweisenden Konzept. Arbeiten Sie bereits mit einem Unternehmen zusammen, das diesen Impfstoff später auch vermarkten könnte?

Das ist derzeit nicht im Zentrum unseres Interesses. Wir wollen die erste klinische Studie ohne Industriebeteiligung stemmen. Allerdings sind wir nicht alleine. Die Abteilung für Neuroonkologie der Universitätsklinik Heidelberg und des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen würde die Studie mit Unterstützung durch das deutsche Krebsforschungszentrum und das vom Bundesforschungsministerium geförderte Konsortium für translationale Krebsforschung leiten. So sind wir mit mehreren krebsforschenden Universitäten verbunden. Die Studie würde in jedem Fall an mehreren deutschen Kliniken durchgeführt. Einen Industriepartner benötigen wir sicherlich, wenn die Impfung auch beim Menschen ihre Wirksamkeit bewiesen hat und es in die finale Zulassungsstudie geht.

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