WirtschaftsWoche Online: Professor Platten, Sie haben eine Impfung gegen Krebs entwickelt. Wie funktioniert sie?
Michael Platten: Unser Impfstoff macht das Immunsystems des Körpers aufmerksam auf eine bestimmte Abfolge von Eiweißbausteinen, die ausschließlich in Tumorzellen vorkommen, nicht aber in gesunden Zellen. Wir haben festgestellt, dass in Hirntumoren, den sogenannten Gliomen, typischerweise eine Genveränderung auftritt, die zu diesen veränderten Eiweißen führt. Also haben wir diese veränderten Eiweiße, so genannte Peptide, im Labor nachgebaut und zusammen mit einem Impfverstärker, wie er auch in handelsüblichen Impfungen eingesetzt wird, unsern Versuchsmäusen unter die Haut gespritzt.
Zur Person
Michael Platten, 43, ist stellvertretender Ärztlicher Direktor der Abteilung Neuroonkologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Außerdem leitet er die Abteilung Neuroimmunologie und Hirntumorimmunologie des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg.
Diese Mäuse hatten Tumore?
Ja, in einem sehr komplizierten Verfahren haben wir bei den Mäusen, die typisch menschliche Immunsystem-Gene besaßen, Tumore mit dieser spezifischen Genmutation erzeugt. Diese Tumore haben wir dann eingepflanzt, um zu testen, ob die Impfung wirkt.
Und wie war der Effekt?
Hervorragend. Bei nahezu allen Mäusen, die die Impfung bekamen, hörten diese Tumore auf zu wachsen. In der Kontrollgruppe, die eine Placebo-Impfung erhielt, wucherten die Gliome dagegen weiter. Das heißt, die Impfung funktioniert.
Jedenfalls bei Mäusen. Wenn werden Sie die Impfung an Menschen erproben?
Den Antrag für eine erste klinische Studie am Menschen bereiten wir gerade vor. Ich rechne damit, dass wir Anfang 2015 los legen können.
Könnten Menschen sich eines Tages mit Ihrer Impfung ganz generell vor Hirntumoren schützen?
Nein, es handelt sich um eine typische therapeutische Impfung, die bei bereits erkrankten Menschen eingesetzt werden soll. Aber gerade bei Hirntumoren wäre eine solche Therapie sehr hilfreich. Denn fast alle Hirntumore beginnen irgendwann wieder zu wachsen – meist einige Jahre nachdem Ärzte sie operativ entfernt, bestrahlt und mit einer Chemotherapie eingedämmt haben. Dieses erneute Aufflammen soll unsere neue Impfung unterbinden.
Unterscheidet sich Ihr Ansatz von anderen therapeutischen Krebs-Impfungen, die schon weiter in der Entwicklung sind, etwa vom Tübinger Biotech-Unternehmen Immatics?
Unser Impfstoff ist tatsächlich etwas anderes, weil dieses Peptid nur bei Tumorzellen, aber nie bei gesunden Zellen vorkommt. Die Krebs-Impfstoffe von Immatics und anderen Firmen und Forschergruppen richten sich dagegen bislang auf Eiweiße, die zwar gehäuft, aber nicht ausschließlich bei Krebszellen zu finden sind. Deshalb gehen wir davon aus, dass unser Impfstoff noch zielgerichteter sein wird.
"Unser Impfstoff große Chancen, alle Tumorzellen zu erwischen"
Wirkt die Impfung ausschließlich bei Hirntumoren?
Wenn die Impfung hoffentlich auch beim Menschen funktioniert, sollten sich damit weitere Krebsarten ebenso gut behandeln lassen. Denn die Genmutation, die dieses typische Eiweißmuster hervorruft, tritt auch bei anderen Tumoren auf, zum Beispiel bei vielen Formen von bösartigem Knochenmarkskrebs, den sogenannten akuten myeloischen Leukämien. Auch bei Gallengangkrebs und sogenannten Sarkomen ist sie nachzuweisen.
Was bewirkt die Genveränderung denn eigentlich?
Sie greift in den Energiestoffwechsel ein und führt zur Überproduktion einer bestimmten Substanz, die sich dann in den Zellen anhäuft. Das wiederum hat fatale Auswirkungen auf das gesamte Erbgut: Es wird instabil. Diese Genmutation ist sozusagen der erste Schritt hin zur Entartung einer bis dahin gesunden Zelle. Sie schafft den Nährboden für weitere Genmutationen, so dass eine Krebszelle entstehen kann.
Und diese Initialzündung wollen Sie unterbinden?
Nein. Wenn der Tumor entdeckt wird liegen bereits weitere Genmutationen vor. Aber weil diese Initialzündung bei der Entwicklung der Tumorerkrankung eine so frühe genetische Entgleisung ist, tragen tatsächlich alle Zellen im späteren Krebsgeschwulst diese Mutation. Unser Impfstoff hat also große Chancen, alle Tumorzellen zu erwischen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber anderen Tumorimpfungen, die sich gegen Mutationen richten, die Tumorzellen erst später in ihrer Entwicklung erwerben. Denn diese späten Mutationen besitzen nie alle Zellen in einem Geschwulst. Eine entsprechende Impfung kann dann eben nur jenen Teil der Krebszellen ausbremsen, die damit ausgestattet sind.
Das klingt nach einem ziemlich zukunftsweisenden Konzept. Arbeiten Sie bereits mit einem Unternehmen zusammen, das diesen Impfstoff später auch vermarkten könnte?
Das ist derzeit nicht im Zentrum unseres Interesses. Wir wollen die erste klinische Studie ohne Industriebeteiligung stemmen. Allerdings sind wir nicht alleine. Die Abteilung für Neuroonkologie der Universitätsklinik Heidelberg und des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen würde die Studie mit Unterstützung durch das deutsche Krebsforschungszentrum und das vom Bundesforschungsministerium geförderte Konsortium für translationale Krebsforschung leiten. So sind wir mit mehreren krebsforschenden Universitäten verbunden. Die Studie würde in jedem Fall an mehreren deutschen Kliniken durchgeführt. Einen Industriepartner benötigen wir sicherlich, wenn die Impfung auch beim Menschen ihre Wirksamkeit bewiesen hat und es in die finale Zulassungsstudie geht.