War es vor Kurzem nicht mal denkbar, dass Computer komplexe Texte verfassen, schreiben sie plötzlich ganze Nachrichtenportale voll. Oder sie schneiden, wie die Smartphone-App Wibbiz, aus Filmschnipseln automatisch Videonachrichten für eine Art Roboter-Tagesschau zusammen.
Das sind nur die jüngsten Beispiele eines atemberaubenden Intelligenzschubs, den Maschinen zuletzt vollzogen haben: Software wie Apples digitaler Assistent Siri verstehen unsere Sprache, Superrechner erstellen medizinische Diagnosen, und Autos steuern ohne Fahrer durch Großstädte.
Die US-Ökonomen und Buchautoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) nennen das, was wir gerade erleben, eine digitale Revolution. So wie Dampfmaschinen im 19. Jahrhundert menschliche Muskelkraft vervielfacht habe, so werde im 21. Jahrhundert die Digitalisierung unsere Geisteskräfte potenzieren.
Rote Liste für Bürojobs
Doch mit dem Leistungssprung kommt auch eine neue Welle der Automatisierung auf uns zu. Erstmals sind auch Wissensarbeiter nicht vor ihr gefeit. So wie einst Dampf zigtausendfach Muskelkraft obsolet machte, schicken sich nun Chips und Algorithmen an, Geistesleistungen zu ersetzen.
Und zwar in gigantischem Ausmaß: 2025 schon könnten schlaue Maschinen die Arbeit von 140 Millionen Wissensarbeitern leisten, ergaben Berechnungen der Unternehmensberatung McKinsey. Was der Trend im Einzelnen bedeutet, haben Carl Benedict Frey und Michael Osborne von der Oxford-Universität am Beispiel der USA für 700 Berufe untersucht. Die Studie der Ökonomen liest sich wie die rote Liste aussterbender Arten.
Von der Automatisierung bedroht sind danach etwa Kreditsachbearbeiter, Versicherungsgutachter, Bibliothekare, Pharmaingenieure und sogar Köche. Insgesamt haben 47 Prozent der Beschäftigten ein hohes Risiko, ihre Stelle an einen Computer zu verlieren. Nicht morgen, aber im Laufe der nächsten ein, zwei Dekaden.
Welche Jobs sind noch sicher?
„Viele Menschen werden feststellen, dass ihre Ausbildung obsolet wird“, prophezeit auch Tyler Cowen, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der George-Mason-Universität bei Washington. Kenneth Brant, Forschungsdirektor beim Marktforscher Gartner, glaubt gar, dass „Arbeitsplätze bald schneller zerstört werden, als der Markt neue wertvolle Stellen schaffen kann“.
Brants Pessimismus kontert der Zukunftsforscher Sven Janszky: „Wir können glücklich sein, dass die Technologie uns Jobs abnimmt – und den Schmerz fehlender Fachkräfte in Unternehmen lindert.“
Doch selbst wenn noch offen ist, wie drastisch die Verwerfungen am Ende ausfallen: Die Entwicklung der Computertechnik beschleunigt massiv. Alle zwei Jahre hat sich die Rechenleistung von Computerchips verdoppelt – und der Trend hält an. Dadurch war schon Apples iPhone 4 so rechenstark wie der schnellste Supercomputer im Jahr 1975, der damals fünf Millionen Dollar kostete.
Zugleich ist der Großteil des Weltwissens inzwischen digital gespeichert. Und es wächst mit atemberaubendem Tempo, denn immer mehr vernetzte Sensoren versorgen Computer mit neuen Daten. Schon bald sind Internet-Telefonate und E-Mails nur ein Flüstern, verglichen mit dem globalen Geschwätz der Maschinen.
Vor allem aber haben Computer gelernt, diese Datenberge mittels schlauer Algorithmen auszuwerten. Deep Learning nennen Forscher die Technik, bei der Computer in Massen unsortierter Daten Muster erkennen – und dabei ähnlich wie das menschliche Gehirn dazulernen. Mit einem verwandten Verfahren gewann etwa IBMs Supercomputer Watson schon vor drei Jahren in der US-Quizshow Jeopardy gegen zwei menschliche Kandidaten.
Plötzlich ist künstliche Intelligenz (KI) wieder Trendthema. Google etwa hat KI-Vordenker Ray Kurzweil zum Leiter der technischen Entwicklung gemacht, für 400 Millionen Dollar das britische KI-Unternehmen DeepMind gekauft und sich zudem acht Robotikhersteller einverleibt.
Facebook investierte im März Millionen in das Start-up Vicarious, das den menschlichen Neokortex nachbilden will, den Teil des Gehirns, der Sprache versteht, sieht, rechnet und Körperbewegungen steuert.
Bis Computer so schlau und so vielseitig sind wie Menschen, wird es Jahrzehnte dauern, und vielleicht werden sie es nie. Doch schon kleine Fortschritte vernichten Arbeitsplätze. Der Analogfilmhersteller Kodak etwa beschäftigte einst 140.000 Menschen. Dann kam die Digitaltechnik – und für Kodak Anfang 2012 die Insolvenz.
Drei Monate später zahlte Facebook eine Milliarde Dollar für die Foto-App Instagram. Das Start-up hatte zu dem Zeitpunkt 30 Millionen Nutzer – aber nur zwölf Mitarbeiter. Software und Serverfarmen, betreut von wenigen Programmierern, das zeigt auch dieses Beispiel, machen Fabriken voller Fachkräfte überflüssig.
Welche Jobs trifft die Digitalisierung als Nächstes? Umgekehrt, sagt US-Ökonom Cowen, ergebe die Frage mehr Sinn: Welche Jobs sind überhaupt noch sicher?
Elektronischer Anwalt
Schon jetzt ist absehbar: Es werden immer weniger klassische Schreibtischjobs darunter sein. Noch vor ein paar Jahren etwa war beim US-Energiekonzern Constellation Energy Recherche Handarbeit. Waren juristische Zweifelsfälle zu klären, mussten bis zu 30 Mitarbeiter Berge an Dokumenten durchstöbern, um entscheidende Informationen zu finden. 45.000 Arbeitsstunden kamen so im Jahr 2005 zusammen.
Millionenbeträge im Millisekundentakt
Heute hat sich die Arbeit radikal verändert: Statt der Menschen setzt der Energiekonzern die Suchsoftware Clearwell des Sicherheitsspezialisten Symantec ein. Was Fachleute früher Tage beschäftigte, erledigt das Programm in Minuten – ohne Kopfschmerzen zu bekommen.
Big Data nennen IT-Experten die riesigen Mengen gespeicherter Texte, E-Mails oder Bilder, die sich heute auf Firmenservern türmen. Die Softwareanalyse dieser Daten könnte bis 2025 laut Berechnungen von McKinsey die Arbeitsleistung von zehn Millionen Finanzexperten und Juristen automatisieren.
Das gilt auch für viele andere Aufgaben, die sich durch Big Data verändern – oder ganz verschwinden. Beim Versandhändler Otto berechnet eine Software Tag für Tag Verkaufsprognosen für jedes der mehr als zwei Millionen Produkte im Sortiment des Handelsriesen. Kollege Computer stützt sich auf rund 200 Faktoren, etwa die Wettervorhersage oder geplante Werbekampagnen. Disponenten, die diese Arbeit mit Rechentabelle und Stift erledigen, braucht es im Online-Handel längst nicht mehr.
Und so wie der Geldautomat viele Bankkassierer überflüssig gemacht hat, könnte Software bald auch viele andere Bank- und Versicherungsangestellte ersetzen. Längst haben Computer große Teile des Aktienhandels übernommen. Im Handelsraum der Frankfurter Börse sind nur noch aus Nostalgie Schreibtische besetzt. Nun verschieben Rechner im Millisekundentakt Millionenbeträge – und machen aus kleinen Kursbewegungen große Gewinne.
Schon heute übernehmen in vielen Anwaltskanzleien in den USA Computer die Rolle von Rechtsanwaltsfachangestellten. Tausende Seiten juristischer Dokumente nach Präzedenzfällen durchstöbern, Verträge entwerfen – was bis vor Kurzem noch als verheißungsvoller Ausbildungsberuf galt, erledigen heute Programme von US-Unternehmen wie Blackstone Discovery oder Cataphora schneller und preiswerter.
Automatischer Sekretär
Noch ist die Technik nicht immer zuverlässig. Aber weil auch die persönlichen Smartphone-Assistenten stetig lernen, werden sie immer wertvoller für ihre Nutzer. Microsofts neuer Dienst Cortana etwa sammelt wichtige Informationen über seinen Nutzer – Lieblingsverein, Wohnort und mehr – in einem virtuellen Notizbuch. Bald, glauben die Marktforscher von Forrester, begleitet jeden von uns ein virtueller Assistent, etwa in Form eines Ansteckmikrofons, der für uns Sachen im Internet bestellt, uns auf unbezahlte Rechnungen hinweist oder warnt, wenn wir zu viel Stress haben. Ein Sekretär ohne Vorzimmer.
Angestellte ohne Streikrisiko
Und warum nicht auch Kundenanfragen per Software beantworten? 500.000 Callcenter-Mitarbeiter in Deutschland helfen via Telefon weiter, wenn der Internet-Zugang streikt oder ein neues Handy fällig ist. Doch Schritt für Schritt werden Maschinen auch Hotlines übernehmen. BMW setzt in Großbritannien bereits einen SMS-Dienst namens iGenius ein, der Fragen über die neuen Elektroautos des Münchner Autoherstellers beantwortet. Die Antworten schreibt eine Software des britischen Anbieters London Brand Management.
Und auch, wer am Flughafen oder im Shoppingcenter hinter einem Schalter sitzt, muss bald mit Maschinen konkurrieren. Diese Jobs, so das nüchterne Urteil der Oxford-Forscher Frey und Osborne, erfordern – trotz des Umgangs mit Menschen – „nicht zwingend hohe soziale Intelligenz“.
Der britische Roboterhersteller Engineered Arts will das beweisen – mit einem Service-Roboter namens Socibot. Der Androide hat ein Gesicht aus Plastik, auf das ein Projektor das Bild von Augen, Mund und Nase wirft. Zwei Kameras und ein Raumsensor erkennen, wenn sich jemand nähert. Die Maschine kann einfache Gespräche führen – und weiß per Gesichtserkennung auch, ob das menschliche Gegenüber gut oder schlecht gelaunt ist. Umgerechnet 17.600 Euro kostet der Socibot – ein Angestellter ohne Streikrisiko.
Verkäufer in der Handy-App
Das US-Softwareunternehmen Fluid geht den umgekehrten Weg – weg von der realen, dreidimensionalen Welt – und entwickelt virtuelle Modeverkäufer für den Online-Handel. Diesen Sommer startet das Unternehmen für die Outdoor-Marke North Face einen Smartphone-Assistenten, mit dem sich Kunden auf ganz natürliche Weise unterhalten können. Kaufinteressenten, verspricht Fluid, sollen auch auf komplexe Fragen gescheite Antworten erhalten, wie etwa: „Ich will im Winter nach Patagonien, was muss ich mitnehmen?“ Der virtuelle Verkäufer weiß die Antwort, und wenn nicht, fragt er gezielt nach.
Seine Intelligenz verdankt das System einem der schlauesten Computer, der derzeit auf dem Markt ist: Watson, ein rasend schnelles Silizium-Gehirn des Softwarekonzerns IBM. Der Supercomputer versteht gesprochene Sprache und sogar wissenschaftliche Studien. Pro Sekunde durchstöbert er 500 Gigabyte an Daten – das entspricht einer Million Büchern. Und er lernt mit jeder Interaktion dazu.
Seit November erlaubt IBM es Programmierern, ihre Smartphone-Apps mit Watson zu koppeln. Jedes Handy kann dadurch bald Dienste bieten, die auf modernster künstlicher Intelligenz basieren.
So arbeitet sich Kollege Computer die Karriereleiter hoch. Sogar in komplizierten Metiers wie der Medizin. Schon jetzt führen Roboter vorprogrammierte Operationsschritte durch – und entlasten Chirurgen. Software wie R2 Digital CAD vom Hersteller Hologic durchsucht Röntgenbilder nach Krebsgeschwüren. Prüfen heute zwei Ärzte eine Mammografie, reichen bald ein Arzt und ein Computer.
Was bleibt für die Menschen?
IBMs digitales Superhirn Watson empfiehlt Ärzten im Memorial Sloan Kettering Cancer Center, einer renommierten Krebsklinik in New York, sogar schon Therapien. Die Mediziner haben den Computer mit mehr als zwei Millionen Seiten an medizinischen Studien, Behandlungsempfehlungen und Notizen von Ärzten und Krankenschwestern gefüttert.
Die Ärzte füttern die Software mit den Symptomen ihrer Patienten. Binnen Sekunden gleicht Watson die Informationen mit seinem Datenschatz ab – und rät zur passenden Behandlung. Mit neuesten Studien versorgt, bleibt der Computer stets auf dem aktuellen Wissenstand. Ärzte müssten dafür laut IBM pro Woche 160 Stunden lang Fachliteratur lesen.
Zwar werden Mediziner mit der Computertechnik nicht gleich in Gänze überflüssig. Doch teure, gut ausgebildete Fachärzte könnten bald von weniger gut bezahlten Generalisten ersetzt werden, die sich von einer Software assistieren lassen. 20 bis 30 Millionen Stellen lassen sich auf diese Weise bis 2025 laut McKinsey im Gesundheits- und Bildungswesen automatisieren.
Was bleibt für die Menschen?
Was aber bleibt für die Menschen zu tun, wenn Roboter die Kommunikation, das Rechnen und das Denken übernehmen?
Hoch qualifizierte Berufe wie Ingenieure, Architekten oder Richter, so prophezeien die Oxford-Forscher Frey und Osborne, werden noch länger gebraucht. Auch Aufgaben, deren Fingerfertigkeit Roboter nicht so rasch erreichen, bleiben auf absehbare Zeit erhalten – etwa Friseure oder Chiropraktiker. Daneben werden sich viele Menschen Berufe suchen, die Kreativität erfordern oder hohe soziale, emotionale Kompetenz: Musiker, Tänzer, Schriftsteller, Kindergärtner, Yoga-Trainer, Psychologen.
Mehr noch: Das Roboter-Szenario könnte auch Konsumgüter und Mobilität erschwinglicher machen oder sogar Häuser, die in Fabriken vorgefertigt werden. Menschen könnten mehr Zeit für neue spannende Aufgaben gewinnen – und auch mehr Freizeit. Vermutlich wird es zudem zahlreiche Berufe geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Vielleicht Avatar-Designer, Genom-Analysten, Köche für Gerichte aus 3-D-Druckern.
Die Frage ist nur: Wie soll sie aussehen, die Gesellschaft, in der immer weniger Menschen gut bezahlte Arbeit finden – und die anderen vom Wohlstand abhängig sind, den smarte Maschinen schaffen?