Knallrote Erdbeeren leuchten auf dem Joghurt-Becher, von den Orangen auf der Saftpackung perlt der Tau und Waldpilze prangen auf der Suppentüte. Viele Lebensmittel aus dem Supermarkt suggerieren mit ihren knalligen Bildern und wohlklingenden Titeln Zutaten, die am Ende nur in geringen Teilen oder auch gar nicht in den Produkten enthalten sind.
„Papaya-Schoko-Knusperriegel klingt einfach besser als Puffreisriegel mit Schokoladenüberzug und Aroma“, sagt Andrea Schauff von der Verbraucherzentrale Hessen. Sie ist dort seit Jahren als Lebensmittelexpertin tätig und betreibt unter anderem Öffentlichkeitsarbeit für das Portal lebensmittel-klarheit.de, das Verbraucher zum Beispiel über Aromen und Zusatzstoffe in Lebensmitteln informiert. „Was wirklich in den Produkten drin ist, hat mit dem, was auf der Packung zu sehen ist, manchmal gar nichts mehr zu tun“, sagt Schauff.
Beispiel Tiefkühlpizza: Schaut man sich die Zutatenliste der „Tradizionale Hawaii“ von Dr. Oetker an, wird schnell klar, dass viel mehr als Teig, Käse, Ananas und Schinken in der Packung steckt. Etliche künstlich hergestellte Aromen und Zusatzstoffe wurden verarbeitet: Laktose (Milchzucker, der einen süßlichen Geschmack auslöst), Maisstärke, Dextrose (Traubenzucker), modifizierte Stärke, Emulgatoren (unterstützt die Mischung von eigentlich nicht mischbaren Flüssigkeiten, wie Wasser und Öl) Karamell und Säureregulatoren. Hinzu kommen Aromen, die den herzhaften Geschmack der Pizza unterstreichen sollen.
All diese Stoffe sind nicht direkt gesundheitsschädlich. Zusatzstoffe und Aromen werden durch die Verbraucherministerien überprüft. Gleichzeitig gibt die EU Richtlinien vor, was in unserer Nahrung enthalten sein darf und was nicht. Dennoch warnen Verbraucherschützer und auch die Weltgesundheitsorganisation vor dem starken Einsatz von künstlichen Zusatzstoffen, wie zum Beispiel Aromen. „Aromen verfälschen unser Geschmacksempfinden“, sagt Andrea Schauff. Lässt man ein Kind heutzutage einen frischen, natürlichen Erdbeerjoghurt ohne Aromen oder Zusätze probieren, würde es vermutlich das Gesicht verziehen.
„Gleichzeitig verleihen die künstlichen Stoffe den Produkten nicht nur einen intensiveren Geschmack, sondern können auch dazu animieren, mehr zu essen“, sagt Schauff. Gerade weil die Bürger in den Industrienationen immer übergewichtiger und Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer häufiger werden, sei das bedenklich. Ebenfalls bedenklich stimmt vor allem die Wissenschaft, dass viele Wechselwirkungen der Aromastoffe mit Arzneimitteln oder anderen Zusätzen noch gar nicht erforscht sind.
Am Beispiel der „Traditzionale“ übt die Verbraucherzentrale zu dem Kritik an der Verpackung. Schon der Name suggeriere eine traditionelle Herstellung mit klassischen Zutaten. Doch weil die Pizza eben nicht frisch aus dem Steinbackofen kommt, sondern durch Wärmebehandlung und Tiefkühlung an Geschmack verliert, müssen die Lebensmitteltechniker mit künstlichen Zusatzstoffen nachhelfen. Mit „Tradition“ habe das nicht viel zu tun. Dem Verbraucher würde durch die Assoziation jedoch ein hochwertigeres Produkt vorgegaukelt. Die Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG wehrt die Kritik ab: „Die enthaltenen Zusatzstoffe sind für jeden Verbraucher im Zutatenverzeichnis nachzulesen. Eine Täuschung des Verbrauchers liegt nicht vor.“
Saft, Nektar oder Smoothie?
Auch bei Getränken bleibt der Verbraucher oft ratlos zurück. Sollte er lieber Orangen-Nektar, Direktsaft oder den angeblich gesunden Smoothie kaufen? Die Zutaten in den einzelnen Getränken unterscheiden sich massiv.
In der Regel gilt: Wenn auf der Verpackung das Wort „Fruchtsaft“ steht, beträgt der Anteil an Fruchtsaft 100 Prozent – unabhängig davon, ob der Saft aus Konzentrat gewonnen wurde oder es sich um einen Direktsaft handelt.
Enthalten sind in Fruchtsäften oft fruchteigene Aromen. „Dabei handelt es sich dann um Geschmacksstoffe, die vor oder bei der Herstellung des Konzentrats abgetrennt worden sind“, erläutert Verbraucherschützerin Andrea Schauff. Bei der Rückverdünnung werden sie dem Saft wieder zugesetzt, damit das fertige Produkt geschmacklich einem frisch gepressten entspricht. Die Hersteller seien nicht verpflichtet, auf den Aromazusatz hinzuweisen. Auf etlichen Verpackungen findet sich jedoch ein Hinweis darauf in der Zutatenliste.
Das Konzentrat entsteht, indem aus Fruchtrohsaft ein Teil des enthaltenen Wassers verdampft wird. Dabei würden die Aromastoffe verloren gehen, wenn der Hersteller sie nicht abtrennt und später wieder zufügt. Allerdings ist den Verbraucherschützern zufolge nicht vorgeschrieben, dass Saft und Aromen aus denselben Früchten stammen müssen. Daher könne zum Beispiel ein Apfelsaft aus Konzentrat jedes aus Äpfeln gewonnene Aroma enthalten.
Insgesamt ist der Fruchtgehalt in Fruchtsäften sehr gut, vor allem in Direktsäften. Der höhere Preis im Supermarkt ist in der Regel gerechtfertigt, heißt es seitens der Verbraucherzentrale. Anders sieht es bei Fruchtnektar aus. Einige Früchte enthalten zu viel Fruchtsäure (Sauerkirschen, Johannisbeere) oder zu viel Fruchtfleisch (Bananen), um sich zu einem schmackhaften Saft verarbeiten zu lassen. Deswegen wird in der Regel Wasser beigemischt. Außerdem dürfen bis zu 20 Prozent Zucker beigefügt werden. Der Nektar besteht entsprechend nur zu 25 bis 50 Prozent aus echtem Saft.
Auch Fruchtsaftgetränke sind eigentlich keine „echten Säfte“. Je nach Sorte enthalten sie in der Regel nur einen Anteil von sechs bis 30 Prozent Fruchtsaft. Neben Wasser und Zucker dürfen auch Vitamine und Fruchtsäuren beigemischt werden. Außerdem fügen die Hersteller kräftig Aromen hinzu, um den verlorengegangenen Fruchtgeschmack wieder herzustellen.
Besonders kräftig wird bei Smoothies geschummelt. Anders als häufig angenommen, ist das oft als „Obstmahlzeit aus der Flasche“ deklarierte Getränk längst nicht so gesund wie ein Direktsaft. Da es bisher keine lebensmittelrechtliche Definition gibt, entscheidet jeder Anbieter selbst, was am Ende in der Flasche landet. Und hier wird gerne an exotischen Früchten wie Ananas oder Brombeeren gespart. Der Anteil an echtem Fruchtmark oder –püree ließe bei etlichen Produkten am Markt zu wünschen übrig, heißt es seitens der Verbraucherzentrale. Stattdessen bestünden die Produkte teilweise aus bis zu zwei Drittel Fruchtsäften oder Fruchtsaftkonzentraten. Außerdem käme als Hauptbestandteil oft Apfelpüree zum Einsatz. Und natürlich Aromen.
Die Welt der Aromen
Nicht nur Saft und Pizza dürfen mit künstlichen Stoffen aufgepeppt werden. In nahezu allen verarbeiteten Produkten befinden sich Zusatzstoffe und Aromen. Allein etwa 2700 gängige Aromastoffe gibt es am Markt. Die Gruppe der Zusatzstoffe ist noch deutlich größer. Ausgenommen sind Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Honig, Wein und Bier.
„Man findet sogar Aroma-Zusätze in Lebensmitteln, in denen man sie gar nicht vermutet“, sagt Andrea Schauff von der Verbraucherzentrale Hessen. Zum Beispiel in eingelegten Gurken, Fischkonserven, Margarine oder Tiefkühlbeeren. „Dadurch wird versucht, das Obst aus der Truhe fruchtiger schmecken zu lassen, als die frisch geerntete Früchte“, sagt sie. Und bei solchen Produkten denke schließlich kaum ein Verbraucher daran, einen Blick auf die Zutatenliste zu werfen. Doch diese sind für den Verbraucher meist recht unverständlich. Denn Aroma ist nicht gleich Aroma.
Ein Chaos der Begrifflichkeiten
Wird zum Beispiel ausschließlich der Begriff Aroma auf der Verpackung verwendet, enthält das Produkt in der Regel Geschmacksstoffe, die rein chemisch im Labor hergestellt wurden und nicht einmal eine natürliche Basis haben müssen. Menthol ist dafür ein gutes Beispiel. Der Stoff ist in Kaugummis, Bonbons, Zahnpasta und Co. enthalten. Der Markt ist so groß, dass es nach Angaben des Aroma-Herstellers Symrise aus dem niedersächsischen Holzminden gar nicht möglich wäre, so viel Aroma aus natürlichen Ausgangsmaterialien herzustellen.
Ist von natürlichem Aroma oder natürlichen Aromastoffen die Rede, kann der Kunde zwar davon ausgehen, dass hier natürliche Ausgangsstoffe verwendet wurden. „Aber diese müssen nicht aus einem natürlichen Lebensmittel stammen. Das Aroma kann auch aus pflanzlichen und tierischen Ausgangsstoffen wie etwa Holzrinde sowie aus Mikroorganismen, wie Bakterien, Pilzen oder Hefen, hergestellt werden“, sagt Andrea Schauff. Möglich sei auch der Einsatz von gentechnologischen Verfahren.
Spricht die Industrie zum Beispiel in einer Tütensuppe von einem natürlichen Steinpilzaroma, kann der Kunde sich sicher sein, dass der Geschmack auch aus den Pilzen stammt. In der Aroma-Verordnung ist vorgeschrieben, dass mindestens 95 Prozent der Aromastoffe auch tatsächlich aus dem genannten Ausgangsprodukt stammen müssen – in diesem Fall also aus Steinpilzen. Die anderen fünf Prozent dürfen lediglich die ursprüngliche Geschmacksnote verstärken und so Aromaverluste ausgleichen.
Stünde hingegen auf der Verpackung natürliches Aroma – Steinpilzgeschmack, müsste nur ein minimaler Prozentsatz der Suppe aus Steinpilzen bestehen. Für den entsprechenden Geschmack könnten auch andere natürliche Aromen sorgen.
Hundertprozentige Gewissheit, dass der Geschmack nicht durch „falsche“ Aromen aufgepeppt wurde, habe Kunden nur, wenn sie das Wort Extrakt auf der Packung finden. „Ein Extrakt gewinnen Hersteller, wenn sie die Aromastoffe mit Hilfe natürlicher Lösungsmittel wie Wasser oder Alkohol herausziehen“, erklärt Schauff. So wird zum Beispiel das Vanille-Extrakt aus der Vanille-Schote gewonnen.
Was der Kunde will
Über solche Definitionen haben sich erst jüngst die Stiftung Warentest und der Schokoladenhersteller Ritter Sport vor Gericht gestritten. In einem großen Schokoladentest hatte die Stiftung die Sorte „Voll Nuss“ der Firma durchfallen lassen. Schließlich gebe Ritter Sport vor, nur natürliche Zutaten zu benutzen. Tatsächlich sei der enthaltene Aromastoff Piperonal aber chemisch von dem Hersteller Symrise aus dem niedersächsischen Holzminden hergestellt worden. Symrise betonte vor Gericht, dass natürliche Aromen an den Kunden gegangen seien. Das Gericht entschied am Ende gegen die Stiftung Warentest.
So wenig es den Verbrauchschützern schmeckt, Unternehmen wie Symrise orientiert sich stark an den Wünschen der Kunden. Viele Verbraucher wollen lieber Fertigprodukte statt frischer Waren kaufen. Statt selbst zu kochen, greifen die Deutschen zu Fertiggerichten voller künstlich hergestellter Aromen. Im April vergangenen Jahres meldete das Deutsche Tiefkühlinstitut, dass noch nie so viel Kost aus der Truhe gekauft worden sei wie 2012. Konkret: Vor elf Jahren wurden noch etwa 177.000 Tonnen Tiefkühlpizza verkauft. 2012 waren es dann 289.000 Tonnen, also 825.000.000 TK-Pizzen allein in Deutschland.
Aromen-Hersteller Symrise
Symrise ist weltweit einer der ganz großen Player am Markt. In über 30 Ländern ist das Unternehmen aktiv und setzt dabei etwa 1,735 Milliarden Euro im Jahr um (Zahl von 2012). Dabei teilt sich der Umsatz etwa 50 zu 50 auf die Geschäftsbereiche „Geschmack“ und „Duft“ auf.
Der schlechte Ruf, den die Branche hat, ist dem Unternehmen durchaus bewusst. Fragt man nach, wie in den Produktionshallen in Niedersachsen eigentlich Aromen hergestellt werden, wird zunächst vom Zwiebelextrakt erzählt. Hierin sei man besonders gut. Die Zwiebeln würden von Bauern aus der Region geliefert, mit denen Symrise Exklusiv-Verträge abgeschlossen habe.
„Durch Extraktion gewinnen wir das Zwiebelöl. Das ist am Ende eine dicke Flüssigkeit, fast wie Sirup“, erklärt Christina Witter, stellvertretende Pressesprecherin bei Symrise. „Aus einer Tonne Zwiebeln gewinnen wir 100 Kilo Zwiebelextrakt.“ Das Produkt lasse sich auch weiter verarbeiten. Wie aus einer gigantischen Dusche sprühen die deutschen Aroma-Künstler das flüssige Extrakt auf verschiedene Trägerstoffe. Sprühtrocknung nennen die Experten das.
„Wir müssen sehr verschwiegen sein. Schließlich ist jeder individuelle Geschmack auch immer ein Markenzeichen des Kunden – und damit ein Betriebsgeheimnis“, sagt Christina Witter.
Hinter den Symise-Mauern geht es zu wie in einer Hexenküche. Zum einen kommen die Kunden mit sehr konkreten Vorstellungen auf das Unternehmen, zum anderen entwickeln die Flavoristen von Symrise unterschiedliche Geschmacksideen. Vor Augen haben sie dabei immer ein konkretes Produkt und eine konkrete Zielgruppe. „Man muss testen, ob die Kombination von Aromastoffen sich auch in dem jeweiligen Produkt entfaltet“, erklärt Christina Witter. Also: Schmeckt der Kartoffelchip würzig genug? Schmeckt der Pudding genug nach Erdbeere? Oder wie entfaltet sich der Minzgeschmack im Kaugummi? Jedes Produkt hat andere Einflüsse auf die Aromen.
Insgesamt verarbeiten die Niedersachsen 10.000 unterschiedliche Rohstoffe zu Aromen, die dann in etwa 30.000 Produkten zum Einsatz kommen – ein gigantisches Geschäft.
Der Grund dafür ist einfach: es ist bequem, oft günstiger als selbst zu kochen und dank Aromen und Zusatzstoffen auch noch lecker. Symrise will genau wissen, welche Geschmäcker bei den Verbrauchern gerade gut ankommen und betreibt regelmäßig Marktforschung. „Wenn wir am Markt erfolgreich sein wollen, müssen wir wissen, was die Leute gerne mögen“, sagt Christina Witter, stellvertretende Pressesprecherin des Unternehmens. In den vergangenen Jahren sei der Trend immer mehr in Richtung „Natürlichkeit, Authentizität und Regionalität“ gegangen.
Gleichzeitig habe der kulinarische Einfluss anderer Kulturen zugenommen. „Nach jeder Reise bringen wir Geschmäcker aus dem Ausland mit“, sagt Witter. „Das ist eine tolle Inspiration für neue Produkte.“ Heraus kommt eine Geschmackexplosion, die Verbraucher verführt und dem Unternehmen horrende Summen spart.
Denn natürlich steigt die Marge der Produkte, wenn hochwertige Waren durch Aromen ersetzt werden können. Allein mit einem Gramm Aroma könne man rund ein Kilogramm Lebensmittel aromatisieren, sagt Verbraucherschützerin Schauff, und weiter: „Wenn aber mit Zutaten auf der Verpackung geworben wird, die am Ende kaum bis gar nicht in den Produkten enthalten sind, dann werden falsche Erwartungen geweckt und Verbraucher hinters Licht geführt.“