4. "Eine Krankheit zu durchleben stärkt den Körper"
Gerade in anthroposophischen Kreisen gelten Krankheiten als Wert an sich, die den Körper stärken und reinigen. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es aber keinerlei Beleg dafür, dass der Körper an einer Krankheit wächst, sagen Impfbefürworter wie Hengel, der auch Mitglied der vom Robert Koch-Institut einberufenen Ständigen Impfkommission (STIKO) ist. Denn wer sich mit Masern oder irgendeiner anderen ansteckenden Krankheit infiziert und es ohne Schaden überlebt, sei anschließend nicht gestärkt oder gereinigt, sondern lediglich immun gegen eine weitere Maserninfektion - "nicht mehr und nicht weniger".
5. "Eine staatlich verordnete Impfpflicht grenzt an Körperverletzung"
Auch wenn die Wissenschaftler sich darüber einig sind, dass der Nutzen von Impfungen die Risiken bei Weitem überwiegt - eine Impfpflicht, wie sie bis zur weltweiten Ausrottung der Pocken im Jahr 1979 galt, ist dennoch eine rechtlich heikle Sache. Denn in Deutschland schützt das Grundgesetz das Recht jedes Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit. Das heißt im Zweifelsfall, dass jeder auch ein Recht darauf hat, nicht geimpft zu werden.
Gerade die Pockenimpfpflicht, die 1807 in Bayern und nach einer Pockenepidemie mit 125.000 Toten 1874 in ganz Deutschland eingeführt wurde, ist eine der Ursachen der tief verwurzelten Angst vor Impfungen. Denn tatsächlich war dieser Impfstoff alles andere als gut verträglich. Solange die Gefahr der tödlichen Seuche aber noch bestand, war eine generelle Impflicht verfassungsgemäß, wie das Bundesverwaltungsgericht 1959 entschied. Demnach hat jeder Bürger ein Recht auf Impfung, auch die Kinder von impfkritischen Eltern.
Für Beda Stadler, den Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern, ist das gut so: "Die Kinder entscheiden nicht selber, allenfalls krank zu werden, sondern ihre Eltern. Das ist eine Zumutung." Was ihn zudem stört: "Wir haben schlicht die Freiheit nicht, einen anderen Menschen mit einer ansteckenden Krankheit zu beglücken." Wer das in Kauf nehme, handle "unverantwortlich und egoistisch".
Wollte Bundesgesundheitsminister Bahr nun eine Impfpflicht für die Masern einführen, um die Bürger zur Räson zu bringen, könnte er sich auf das Infektionsschutzgesetz berufen, erläutert Ulrich Gassner, der Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheit- und Medizinrecht an der Universität Augsburg. Das ermächtige ihn, durch Rechtsverordnung mit Bundesrats-Zustimmung anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, wenn eine Epidemie drohe.
Das Ziel, die Masern weltweit auszurotten, reiche aber nicht als Begründung, sagt Gassner. Er empfiehlt deshalb eine "starke demokratische Legitimation", etwa durch einen Parlamentsbeschluss.