Medizin Die spannendsten deutschen Biotech-Start-ups

Jahrelang hatten es Biotech-Start-ups in Deutschland schwer. Doch die akute Ideenlosigkeit der Pharmaindustrie macht sie nun für große Konzerne interessant. Von welchen 15 Unternehmen wir noch hören werden – und wie sie Krebs, Depressionen und Superkeime bekämpfen.

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Eine Qiagen-Mitarbeiterin pipettiert eine Flüssigkeit in einen Probenträger, unter dem ein Qiagen-Logo zu sehen ist Quelle: dpa

Es ist ein Trauerspiel: In knapp drei Jahrzehnten hat es – abgesehen vom Labordienstleister Qiagen aus Hilden bei Düsseldorf – kein einziges deutsches Biotechnikunternehmen an die Weltspitze geschafft. Zwar gelten Ideen, Techniken und Therapien vieler hiesiger Biotech-Gründer seit Jahren als hochinnovativ und zukunftsweisend. Dennoch scheiterten viele auf dem langen, kostspieligen Weg vom Labor zum marktreifen Produkt.

Nun aber ist Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Vor allem, weil deutsche Biotech-Manager und -Finanziers auf neue Konzepte setzten, um zum Erfolg zu kommen: auf Produkte und Dienstleistungen, die schnell marktreif sind, auf Finanzierungsmodelle abseits von Venture Capital (VC) oder Börsengängen und auf sehr frühe Partnerschaften mit Pharmagrößen.

Wir stellen Ihnen auf den folgenden Seiten die 15 spannendsten Unternehmen dieses neuen Typus und deren Projekte vor – von innovativen Therapien gegen Krebs, Depressionen und Superkeime bis hin zu neuen Werkstoffen wie Spinnenseide und Insekten-Plastik.

Die hartnäckigsten Gesundheitsmythen
Eine junge Frau putzt sich mit einem Papiertaschentuch die Nase Quelle: dpa
Mann mit Rückenschmerzen sitzt im Büro Quelle: obs
In einer Zahnarztpraxis werden die Zähne eines Jungen untersucht Quelle: dpa
Ein Fieberthermometer liegt auf verschiedenen Arten und Formen von Tabletten Quelle: dpa
Ein Mann zieht an seinem Finger und erzeugt ein Knackgeräusch. Quelle: dpa
Angela Merkel hält ein Schnapsglas in der hand Quelle: AP
Ein Junge steht unter einer Dusche Quelle: dpa

Vor allem an der Kooperationsbereitschaft der Großunternehmen haperte es bisher oft: Sie suchten nach weit gediehenen Medikamenten kurz vor der Marktreife. Die aber konnten viele kleine Biotech-Firmen nicht bieten, weil ihnen auf dem Weg dorthin finanziell die Puste ausging.

Die Finanzkrise tat ein Übriges: Im vorigen Jahr stürzte der Kapitalzufluss in die deutsche Biotechnik laut aktuellem Biotechnologie-Report der Beratungsgesellschaft Ernst & Young nochmals ab. Die Summe sank von 441 auf 130 Millionen Euro – ein Minus von 71 Prozent.

Innovationsbedarf in der Pharma-Branche

Doch derzeit ändert sich der Innovationsbedarf der Giganten: Denn ihre Forschungs- und Entwicklungspipelines sind leer. Zugleich laufen dieses Jahr zig Patente für bestens verkaufte Medikamente aus. Pharmaanalysten von IMS Health rechnen mit Umsatzrückgängen von branchenweit mehr als 100 Milliarden Euro. Die akute Ideenlosigkeit bei Big Pharma treibt Biotech-Startups potente Partner in die Arme.

Potenzial zur Zusammenarbeit gibt es genug: Immerhin listet der Ernst & Young-Report in Deutschland 397 Biotech-Firmen auf. Doch die erwirtschafteten 2011 mit gut 10.000 Mitarbeitern nur rund eine Milliarden Euro Umsatz. Gemessen am Branchenprimus Amgen aus Kalifornien, ist das ein Witz: Der setzte mit 17.000 Mitarbeitern 12,1 Milliarden Euro um.

Experten wie Karsten Henco bauen nun auf eine neue Qualität von Kooperationen. Der Mitgründer von Qiagen setzt darauf, sehr früh passende und finanzkräftige Partner zu suchen: „So lassen sich teure Studien von Anfang an ausreichend groß anlegen.“ Bisher hätten kleine Unternehmen Untersuchungen mangels Geldes oft so klein oder in thematischen Nischen angelegt, dass die Ergebnisse später wertlos waren oder sich die Vermarktung nicht lohnte, weil es kaum Patienten gab.

Henco ist zugleich einer der Pioniere für alternative Finanzierungen. „Venture-Kapital ist nicht das Richtige für Biotechnik-Unternehmen“, sagt er. Klassische VCs dächten zu kurzfristig. In der oft 10 bis 15 Jahre dauernden Entwicklungszeit kämen deshalb viele Firmen unter Druck, weil die VCs ihr Geld abziehen wollten.

Gemeinsam mit dem ebenfalls erfahrenen Biotech-Manager Edward Stuart hat Henco daher den 70 Millionen Euro schweren Fonds QureInvest II aufgelegt, in den vermögende Privatleute wie der Pharmaspross Christoph Boehringer investierte. Bei ihren neun Beteiligungen steigen Henco und Stuart früh in die Unternehmen ein, oft in der Gründungsphase, investieren langfristig und bleiben die einzigen Geldgeber – und sie engagieren sich im Management.

Ähnlich gehen auch Andreas und Thomas Strüngmann vor. Die Zwillinge gehören neben SAP-Mitgründer Dietmar Hopp zu den wichtigsten privaten Finanziers der Biotech-Branche in Deutschland. Auch ihr Prinzip ist, alleinige Investoren zu sein und die Unternehmen über sehr lange Zeiträume zu begleiten. Die Brüder haben hoch gewettet, dass dieser neue Ansatz der deutschen Biotech-Branche endlich zum internationalen Durchbruch verhilft. Immerhin steckt inzwischen fast der komplette Erlös aus dem Verkauf ihres Generikaunternehmens Hexal in deutschen Biotechnikunternehmen: 700 Millionen Euro.

Gentherapie und heilsame Proteine

Die umsatzstärksten Medikamente der Welt
Platz 10: MabTheraDer Wirkstoff nennt sich Rituximab. Das Medikament wird für die Behandlung von Lymphomen eingesetzt. In der EU vertreibt Roche es unter dem Handelsnamen MabThera, in den USA heißt es Rituxan. 2013 brachte es rund 6,26 Milliarden Dollar ein. Das waren 5,7 Prozent mehr als im Vorjahr.Bild: Roche Pharma AGDatenquelle: IMS Health Quelle: Presse
Platz 9: CymbaltaDer Wirkstoff dieses Medikaments heißt Duloxetin. Dabei handelt es sich um ein Mittel, das bei Depressionen und Angststörungen eingesetzt wird. Vermarktet wird es von Eli Lilly; der Firma spülte es im Jahr 2013 6,46 Milliarden Dollar in die Kassen - eine Steigerung um 13,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.Bild: Lilly Deutschland GmbH Quelle: Presse
Platz 8: RemicadeRemicade ist der Handelsname von Infliximab. Dabei handelt es sich um einen Antikörper, der das Immunsystem vielfach beeinflusst. Eingesetzt wird das Medikament vor allem gegen Rheuma-Erkrankungen. In Deutschland wird es von MSD vertrieben. 2013 erzielte es einen Umsatz von rund 7,68 Milliarden Dollar - 7,8 Prozent mehr als im Vorjahr.Bild: MSD Sharp & Dohme GmbH Quelle: Presse
Platz 7: AbilifyOtsuka Pharmaceuticals vertreibt das Arzneimittel Aripiprazol unter dem Namen Abilify. Es wird zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt. Mit 7,83 Milliarden Dollar in 2013 landet es auf Rang sieben. Das entspricht einem um 14,6 Prozent höherer Umsatz als noch im Vorjahr.Foto: "Abilify bottle" by Eric Gingras, via Wikipedia Quelle: Creative Commons
Platz 6: NexiumDas Magenmittel von AstraZeneca mit dem Wirkstoff Esomeprazol  liegt im Mittelfeld bei den Top-Ten-Präparaten. Der Umsatz 2013 lag bei 7,86 Milliarden Dollar - ein Plus von 7,0 Prozent.Bild: AstraZeneca Quelle: Presse
Platz 5: Lantus Lantus wird von Sanofi-Aventis hergestellt. Es enthält "Insulin glargin" und wird zur Behandlung von Diabetes eingesetzt. Mit einem Zuwachs von 23,3 Prozent legte es die stärkste Steigerung innerhalb der Top Ten hin. Umsatz 2013: 7,94 Milliarden Dollar. Quelle: dpa
Platz 4: Enbrel7,95 Milliarden Dollar Umsatz (plus 8,7 Prozent) machte dieses Medikament von Pfizer. Der Wirkstoff Etanercept wird zur Behandlung von Rheuma und der entzündlichen Hautkrankheit Psoriasis eingesetzt. Quelle: AP

Ethris

Dem Münchner Unternehmen Ethris könnte es gelingen, einen lang gehegten Biologentraum wahr werden zu lassen: die Reparatur von kaputten Erbanlagen, die sogenannte Gentherapie. Die Idee dahinter ist einfach: Die menschlichen Gene steuern sämtliche Prozesse im Körper – vom Wachstum bis zum Altwerden. Fehlen bestimmte Gene von Geburt an, verursacht das schwerste Erbkrankheiten. Entarten die Gene im Laufe des Lebens, ist das die Ursache von Krebs. Was läge also näher, als fehlende oder degenerierte Gene durch korrekte Laborkopien des Erbgutmoleküls DNA zu ersetzen? Praktisch erwies sich die Genreparatur jedoch als unmöglich. Denn die in den Körper gespritzten Ersatzgene lagerten sich auch an falschen Stellen im DNA-Erbgutstrang ein und lösten so selbst Krebs aus.

Zumindest eine ebenbürtige Alternative entwickeln nun Carsten Rudolph und Christian Plank, die Ethris 2009 gründeten. Sie haben einen Trick gefunden, wie sie mit speziell aufbereiteten, stabilen RNA-Molekülen Zellen steuern können, ohne Schaden anzurichten. Die RNA ist lediglich das Ableseprodukt der DNA, sozusagen eine Art Arbeitskopie von der Festplatte des Genoms. Geht hier etwas schief, entsteht trotzdem kein Krebs. Klappt alles, bauen die Zellen anhand der RNA-Anleitung aber die bisher fehlenden Proteine und Enzyme. Wenn sich die Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragen lassen, könnten damit Erbkrankheiten wie etwa die Mukoviszidose geheilt werden.

PhenoQuest

Weltweit leiden über 150 Millionen Menschen an Depressionen – und vielen von ihnen helfen die bisher verfügbaren Präparate nicht. Neue Therapieansätze werden deshalb dringend gesucht. Das 2011 gegründete Münchner Startup PhenoQuest hat nun – weltweit einmalig – einen biologischen Angriffspunkt auf der Außenseite von Nervenzellen gefunden, mit dem sich die psychische Störung steuern lässt. Mit einem Biomolekül, einem sogenannten Antikörper, der an diese Zellstruktur bindet, wollen sie den Depressionen nun zu Leibe rücken.

Glycotope

Heilsame Proteine wie Antikörper gegen Krebs oder Insulin für Zuckerkranke werden in braukesselähnlichen Biofermentern von Produktionsorganismen hergestellt. In der Regel sind das gentechnisch veränderte Bakterien oder tierische Zellen etwa aus den Eierstöcken chinesischer Hamster. Alle so produzierten Proteine haben allerdings einen Schönheitsfehler: Sie tragen Zuckerreste, die typisch für Bakterien und Hamster sind, nicht aber für Menschen. Das führt zu Unverträglichkeiten bei vielen Patienten. Eine Lösung für dieses Problem hat das Berliner Unternehmen Glycotope gefunden: Das 2001 von Steffen Goletz gegründete und inzwischen über 150 Mitarbeiter starke Biotech-Unternehmen hat menschliche Blutzellen so getrimmt, dass auch sie in Biofermentern gedeihen und dabei heilsame, absolut menschentypische Proteine herstellen. Entsprechend verbesserte Varianten der Biotech-Krebsmittel Erbitux und Herceptin, die Glyotope „Biobetters“ nennt, werden bereits am Menschen getestet.

ImmunoQure

Antikörper sind im Körper natürlicherweise dafür zuständig, krankmachende Eindringlinge wie Viren oder Bakterien zu erkennen und zu eliminieren. Bei Autoimmunkrankheiten wie etwa Morbus Crohn oder Schuppenflechte richten sich diese Abwehrtruppen aber gegen den eigenen Körper und lösen dann schwerste Entzündungsreaktion auf der Haut oder im Darm aus. Das 2011 gegründete Startup ImmunoQure mit Sitz in Martinsried bei München und in Schlieren bei Zürich hat eine Suchmethode entwickelt, um gesundheitsfördernde Antikörper zu finden, die sich wiederum gegen diese überschießende Immunreaktion richten. Sie stammen aus einer kleinen Schar von Patienten, deren Körper selbst solche Antikörper gegen die Überreaktion herstellen kann. ImmunoQure beherrscht die Kunst, diese Patienten zu finden.

Protectimmun

Eine völlig neue Methode, Säuglinge von Geburt an für den Rest ihres Lebens vor Allergien zu schützen, entwickelt seit 2007 das Gelsenkirchener Unternehmen Protectimmun. Die wissenschaftlichen Grundlagen stammen aus der Ruhr-Universität Bochum und dem Forschungszentrum Borstel. Dreh- und Angelpunkt sind Studien an Kindern, die Kontakt zu Kuhställen hatten, und solchen, die keinen hatten. Da Kinder mit Stallkontakt deutlich weniger Atemwegsallergien hatten, suchten die Forscher nach einem Grund – und fanden ihn in einem harmlosen Milchsäurebakterium namens Lactococcus lactis. Das wird nun mit weiteren Immunmodulatoren in Nasentropfen verarbeitet, die dem Immunsystem von Säuglingen einen Stallkontakt vorgaukeln und sie so vor Heuschnupfen und allergischem Asthma bewahren sollen.

Biomarker und Krebsgen-Check

Das Geschäft mit gepanschten Pillen
Das Geschäft mit gefälschten Medikamenten ist lukrativer als der Drogenhandel. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mindestens 50 Prozent der im Internet vertriebenen Medikamente und etwa zehn Prozent aller weltweit verkauften Arzneimittel Fälschungen. Hier zu sehen: Tablettenproduktion in einer indischen Fälscherwerkstatt. Dieses und alle folgenden Fotos stammen aus Ermittlungsakten des Pharmakonzerns Pfizer. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
25 Millionen gefälschte Medikamente wurden 2010 allein in Deutschland vom Zoll beschlagnahmt. In kriminellen Werkstätten wie dieser in Kolumbien werden Pillen gepresst, die zu wenig, zu viel oder gar keinen Wirkstoff enthalten. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Die Herstellungsbedingungen sind meist - wie hier in Kolumbien - abenteuerlich. Oft sind es auch die Inhaltstoffe. So fanden sich in Imitaten diverser Produkte des Pharmakonzerns Pfizer mitunter hochgiftige und lebensgefährliche Stoffe wie Straßenfarbe auf Blei-Basis, Borsäure, Bodenreiniger und das  Amphetamin Speed. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Zuweilen sind die Fälscherwerkstätten auch schlichtweg eklig. Hier entsteht eine Kopie des Pfizer-Präparats Lipitor / Sortis, einem Cholesterinsenker. Die Kosten von Rückrufaktionen gefälschter Arzneimitteln müssen die betrogenen Pharmaunternehmen übrigens selbst tragen. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
So gut wie jedes Medikament wird kopiert. So wurden von 60 Pfizer-Produkten Fälschungen in 104 Ländern sichergestellt, darunter Mittel zur Behandlung von Krebs, HIV, hohem Cholesterin, Alzheimer, Bluthochdruck, Depressionen, rheumatischer Arthritis und Antibiotika. Hier wird in Pakistan eine Fälschung des Hustensafts Corex abgefüllt. Das Original wird in Indien, Pakistan, Bangladesch und anderen südasiatischen Märkten vertrieben. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Das am häufigsten gefälschte Medikament ist das Potenzmittel Viagra, ebenfalls von Pfizer. Allein im Jahr 2008 wurden weltweit acht Millionen gefälschte kleine blaue Tabletten beschlagnahmt. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Hier wurden gefälschte Viagra-Pillen in China verpackt. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)

Qlaym

In einem Wust von biologischen Daten ein System zu erkennen ist schwer. Wegen der schieren Menge an Informationen, die heute über Erbgutsequenzen und Proteine gewonnen werden, ist das ohne intelligente, selbstlernende Computerprogramme unmöglich zu bewältigen. Genau solche Programme schreibt Marcel Thürk, Mathematiker und ehemaliger Mitarbeiter des Evolutionsforschers und Nobelpreisträgers Manfred Eigen. Sein 2010 gegründetes Startup Qlaym bietet die Rechendienste nun Firmen und Forschern an, um aus terabyteschweren Datensätzen die entscheidenden Infos herausfiltern, um Krankheiten zu erkennen. Noch 2012 will Qlaym schwarze Zahlen schreiben.

Pareq

Viele Krankheiten lassen sich nur schwer mithilfe von klassischen Diagnosetechniken feststellen. Zunehmend können Biomarker mehr Klarheit bringen, die bisher vor allem aus der genetischen Konstitution des Patienten oder seiner Tumorzellen gewonnen werden. Eine ganz neue Art von Biomarkern hat nun das 2010 von Karsten Henco und Manfred Beleut in Düsseldorf und in Schlieren bei Zürich gegründete Unternehmen Pareq gefunden: Beleut analysierte die RNA-Mengenverhältnisse in Gewebeschnitten von Tumoren. Daraus ließen sich bei allen bisher untersuchten Tumorarten klar drei Gruppen von Patienten unterscheiden: solche, die eine hohe, eine mittlere oder eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Nun wird ein Test entwickelt. Das Wissen kann Ärzten helfen, die richtige Therapie zu finden – oder einem Patienten mit sehr schlechter Prognose auch weitere belastende Chemotherapien zu ersparen.

Medovent

Die 2006 von Thomas Freier und Rivelino Montenegro in Mainz gegründete Firma Medovent hat sich auf Kunststoffe spezialisiert, die aus Chitin bestehen. Dieses Biomolekül bildet bei Insekten und Krustentieren den stabilen Außenpanzer. Das harte Material sorgt aber auch dafür, dass sich keine Schmutzpartikel ablagern und Bakterien ansiedeln können. Als bestes Beispiel dient der stets sauber glänzende Mistkäfer. Diese antibakteriellen Eigenschaften bleiben auch im Biokunststoff Chitosan erhalten, aus dem Medovent Wundauflagen, Stents zum Offenhalten von Adern und Gewebenetze formt, die sich bei Bedarf selbst wieder abbauen. Seit Anfang des Jahres vermarktet Medovent das Material.

Ganymed

Bei der Entwicklung neuer Krebsmedikamente hat das Mainzer Unternehmen Ganymed eine ganze Reihe von neuen biologischen Angriffspunkten auf Tumorzellen entdeckt. Passend dazu entwickelt das 2001 gegründete, knapp 80 Mitarbeiter starke Unternehmen Antikörper, die die Tumorzellen angreifen, nicht aber gesunde Zellen. Bereits sechs solcher Antikörper sind in der Entwicklung der Firma, in die 2008 die Gebrüder Strüngmann 65 Millionen Euro steckten.

Am weitesten gediehen ist Claudiximab, der bereits am Menschen erprobt wird: Er richtet sich gegen ein Zielmolekül, das auf 70 Prozent aller Magenkrebszellen vorkommt. Auch 50 Prozent aller Bauchspeicheldrüsenkrebszellen tragen es. Wie der Antikörper die Krebszellen stoppt, erklärt Mitgründerin und Chefin Özlem Türeci so: Der Antikörper bremst das Tumorwachstum, aktiviert die körpereigenen Abwehrkräfte und treibt die Tumorzellen in den Selbstmord.

BioNTech

Noch futuristischer klingen die Pläne von Ugur Sahin und seinem 2008 in Mainz gegründeten Unternehmen Biopharmaceutical New Technologies (BioNTech). Sahins Ziel ist es, bei jedem Patienten den genetischen Status der Tumore regelmäßig zu überprüfen. Passend dazu will er innerhalb weniger Tage einen Cocktail von therapeutischen Impfmolekülen zusammenstellen, die genau zu diesem Zeitpunkt wirken. Bisher wären solche genetischen Screenings schlichtweg zu teuer und langwierig. Doch Sahin setzt auf neue, extrem schnelle und zunehmend preiswertere Genanalysemethoden. Warum Sahin den laufenden Krebsgen-Check propagiert? Längst ist Forschern klar, dass Tumorzellen – genetisch betrachtet – sehr verschieden sind. Sogar im selben Patienten mutieren die Tumorgene gerade unter dem Einfluss von Medikamenten so schnell, dass schon in einem Tochtergeschwür das genetische Make-up der todbringenden Zellen anders aussehen kann. Und dann helfen auch nicht mehr dieselben Medikamente.

Waffen gegen Infektionskrankheiten

Ein Biochemiker hält einen Rahmen mit künstlichen Spinnfäden gegen das Licht Quelle: dpa/dpaweb

AiCuris

Neue Waffen gegen Infektionskrankheiten sucht AiCuris aus Wuppertal. Der Bedarf an solchen neuen Medikamenten ist größer denn je: Für die meisten durch Viren verursachten Erkrankungen gibt es bis heute keine Therapien. Und Superkeime, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft, breiten sich rapide auf der ganzen Welt aus. Dennoch stiegen die großen Pharmakonzerne aus diesen Forschungsfeldern aus, weil Mittel gegen Krebs oder Herz-Kreislauf-Leiden lukrativer waren.

Im Zuge dieses Trends ist das Unternehmen AiCuris entstanden: Helga Rübsamen-Schaeff gründete die von ihr verantwortete Antiinfektiva-Forschung aus dem Bayer-Konzern aus, als dieser den Bereich loswerden wollte. Einige Projekte konnte sie mitnehmen, sodass AiCuris schon elf Substanzen entwickelt. Zwei davon kommen in diesem Jahr in die dritte und letzte Prüfungsphase am Menschen: AIC316, eine hochwirksame Substanz gegen Herpes, und Letermovir gegen das Cytomegalievirus, das lebensbedrohlich für immungeschwächte Menschen ist. Ein Bakterienkiller, der sämtliche Superkeime erledigt, wird ab 2013 am Menschen getestet.

Alacris

Gerade moderne Tumorpräparate sind oftmals nur für eine bestimmte, genetisch genau charakterisierte Patientengruppe tauglich. Doch die Analyse all dieser genetischen Faktoren überfordert niedergelassene Ärzte und Kliniken zunehmend. Das 2008 in Berlin aus der Arbeitsgruppe des Genomforschers Hans Lehrach am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik ausgegründete Startup Alacris Theranostics hat deshalb am Computer ein virtuelles Patientenmodell entwickelt. Es kann die Wirkung von verschiedenen Kombinationen aus Krebstherapien errechnen und vorhersagen – jeweils in Zusammenhang mit den aus Gentests gewonnenen Daten.

Curetis

Bakterien, die resistent gegen Antibiotika sind, grassieren heute in jedem Krankenhaus und Pflegeheim. Sie verursachen Todesfälle und hohe Kosten. Wer sich aber eine schwere Infektion wie eine Lungenentzündung oder Blutvergiftung zugezogen hat, kann in Zukunft zumindest darauf hoffen, dass ihm sein Arzt kein wirkungsloses Medikament verschreibt, sondern die Erreger zuvor einem Resistenztest unterzieht. Einen solchen hat das 2007 gegründete Unternehmen Curetis aus Holzgerlingen bei Stuttgart entwickelt. Deren vollautomatischer Analyseroboter Unyvero kann in weniger als drei Stunden sowohl den Erregertyp als auch seine Resistenzen analysieren. Dann kann der Arzt aus der großen Zahl der Antibiotika gezielt ein wirksames auswählen, statt im Blindflug herumzuexperimentieren, was Kosten verursacht und den Patienten im Zweifelsfall das Leben kostet. Seit der Roboter im Mai sein CE-Zeichen bekam, hat Curetis mit der Vermarktung begonnen.

Evocatal

In Waschmitteln sind heute biologisch aktive Enzyme zugange, die Eiweiß- und Fettreste besser aus der Dreckwäsche herausbekommen als die schärfste Seifenlauge. Viele dieser biologischen Prozessbeschleuniger wurden in Biotech-Labors zudem auf höchste Leistungsfähigkeit getrimmt. Darauf hat sich das 2006 in Düsseldorf gegründete Unternehmen Evocatal spezialisiert. Kunden sind pharmazeutische Unternehmen und Konsumgüterhersteller wie die Kosmetikindustrie. Sie setzen zunehmend auf biologische Produktionsprozesse, um Energie und Ressourcen zu schonen. Für den Chemiekonzern Lanxess entwickelt Evocatal gerade Enzyme, die aus nachwachsenden Rohstoffen Kautschuk für die Gummireifenherstellung machen.

Amsilk

Spinnenfäden haben schier unglaubliche Eigenschaften: Sie sind leicht, elastisch wie Gummi und trotzdem stabil wie Stahl, je nachdem von welcher der weltweit 40.000 Spinnenarten und aus welcher ihrer Spinndrüsen sie stammen. Deshalb tüfteln Forscher auf der ganzen Welt daran, das Material aus langen Proteinketten im Labor nachzubauen. Bisher war das jedoch zu teuer. Den Forschern des Unternehmens Amsilk aus Martinsried bei München gelang es 2009 als ersten, einen biotechnischen Herstellungsweg zu entwickeln, der nicht zu teuer ist. Geistiger Vater des Verfahrens ist Amsilk-Mitgründer Thomas Scheibel: Er schaffte es, die Gene für den Abseilfaden aus der europäischen Gartenkreuzspinne in ein Bakterium einzuschleusen. Seither produziert Amsilk mithilfe der Gentech-Bakterien im Biofermenter Spinnenseide in großem Stil. Aus dem Material lassen sich in Zukunft Stoffe für schusssichere Westen und feuerfeste Kleidung weben, Wundauflagen und Beschichtungen medizinischer Implantate fertigen oder Spinnenseiden-Beton für Gebäude in Erdbebengebieten herstellen.

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