Neue Immunmittel Start-Ups wecken Hoffnungen im Kampf gegen den Krebs

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Gezielter Todesschuss

Sahin, der zuvor mit seiner Ehefrau Türeci Ganymed gegründet hat, will deshalb die Tumore der Patienten laufend überwachen, Gewebeproben entnehmen und sie einem Gencheck unterziehen. Auf dieser Basis stellen seine Forscher jeweils einen individuellen Impfcocktail her – das aktualisierte Fahndungsfoto.

An sieben Patienten testen sie diese Strategie bereits. Und obwohl sie für jeden Erkrankten einen eigenen Impfstoff produzieren müssen, ist Sahin überzeugt, dass sich die Sache rechnen und vor allem für die Patienten lohnen wird: „Wir wollen den Tumorzellen einfach keine Schlupflöcher mehr lassen.“

Brustkrebs-Vorsorge

Auch wenn die Wissenschaftler derzeit sehr optimistisch sind, räumen fast alle ein: Die von ihnen trickreich erdachten immuntherapeutischen Fallen werden vermutlich nur dann funktionieren, wenn sie diese miteinander oder auch mit klassischen Chemotherapien kombinieren. Denn wie echte Verbrecher hat auch die Krebs-Mafia noch ein weiteres Druckmittel in der Hand: Sie bedroht die Polizisten, sodass sie um ihr Leben fürchten – und die Ermittlungen schleifen lassen.

Tumorzellen bremsen das Abwehrsystem aus

So aktivieren Tumorzellen ganz gezielt Blockaden im Immunsystem. Kein Ermittler ist dann noch in der Lage, auf sie zu schießen, und sie können bei jeder Straßensperre oder Hausdurchsuchung ungehindert entkommen. Checkpoints heißen die biologischen Strukturen, die diese Kontrollfunktion im Körper übernehmen. Sie sind eigentlich dazu gedacht, eine Immunreaktion räumlich einzugrenzen und im Zaum zu halten, damit der Körper sich nicht selbst angreift.

Doch die kriminellen Tumorzellen aktivieren diese biologischen Schalter mit speziellen Molekülen und bremsen das Abwehrsystem damit komplett aus.

Ein Wirkstoff, der diese perfide Blockade durchbricht, ist der Kassenschlager Yervoy. Der Antikörper von BMS gegen Hautkrebs schafft es, die von den Tumoren verursachte Schreckstarre wieder zu lösen: Er bringt die Scharfschützen des Körpers auf Linie und erteilt ihnen sofortigen Schießbefehl.

Mehr Frauen sterben an Folgen des Rauchens
Frau raucht eine Zigarette Quelle: dpa
Das Volksleiden: Rückenschmerzen gehören in Deutschland zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden. Forscher der Northwestern University (USA) fanden nun heraus, dass Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern ein um das Dreifache erhöhtes Risiko haben, an chronischen Rückenschmerzen zu erkranken. Studienautor Bogdan Petre erklärt: "Wir haben festgestellt, dass Rauchen die Art und Weise beeinflusst, in der das Gehirn auf Schmerzen im Rücken reagiert." Auf Hirnscans der rauchenden Patienten stellten die Forscher eine Veränderung der Areale fest, die für Sucht- und Lernverhalten zuständig sind. Die Kommunikation dieser Hirnregionen sei für die Entwicklung eines chronischen Schmerzes kritisch, stellten die Wissenschaftler fest. Chronischer Schmerz und Suchtverhalten hingen eng zusammen. Antientzündliche Medikamente konnten zwar die Schmerzen erleichtern, waren aber nicht in der Lage, die Aktivität der verantwortlichen Hirnregionen zu ändern. Nur wer während der Studie freiwillig mit dem Rauchen aufhörte, konnte sein Risiko absenken. Quelle: dpa
Passivrauchen: Raucher gefährden auch ihre Mitmenschen, denn der blaue Dunst schadet jedem, der ihn einatmet. Jährlich sterben weltweit mehr als 600.000 Menschen an den Folgen des Passivrauchens. Besonders betroffen sind Kinder. Selbst, nachdem sich der Rauch verzogen hat, sind die Schadstoffe noch stundenlang in der Luft, fanden Forscher des Berkeley Lab heraus. Sie lagern sich in Teppichen, Polstern oder Tapeten ab. Auch 18 Stunden, nachdem die letzte Zigarette geraucht wurde, fanden die Forscher noch immer eine ganze Reihe gesundheitsgefährdender Stoffe. Es reicht also nicht, nur in der Gegenwart anderer Menschen nicht zu rauchen. Auch die Luft in Räumen ist noch lange belastet. Quelle: dpa
Rauchen ist das Gesundheitsrisiko Nummer eins: Jeder sechste der jährlich rund 850.000 Toten in Deutschland ist laut Statistik an den Folgen des Rauchens gestorben. Raucher verkürzen ihre durchschnittliche Lebenserwartung um fünf, ambitionierte Tabakkonsumenten sogar um neun Jahre. EU-weit sterben pro Jahr fast 700.000 Raucher an den Folgen ihres Konsums. Quelle: dpa
Rauchen begünstigt viele Krebsarten: Jeder, der raucht, hat ein zweimal höheres Risiko an Krebs zu erkranken als Nichtraucher. Etwa 90 bis 95 Prozent der erwachsenen Lungenkrebspatienten sind oder waren Raucher.  Das Risiko, an Mundhöhlen-Krebs zu erkranken, steigt durch regelmäßigen Tabakkonsum um den Faktor 27, bei Kehlkopfkrebs um den Faktor 12. Durchschnittlich rauchte jeder Deutsche im Jahr 2013 996 Zigaretten. Im Jahr 2000 lag der Pro-Kopf-Konsum noch bei 1699 Zigaretten pro Jahr. Quelle: dpa
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Schlaganfälle und Herzinfarkte verursachen die meisten Toten in Deutschland. Raucher trifft es besonders oft, Herzinfarkte vor dem 40. Lebensjahr betreffen fast ausschließlich Raucher. Ihr Risiko ist drei- bis viermal so hoch wie das von Nichtrauchern. Denn der Tabakkonsum verengt die Blutgefäße, lässt den Blutdruck steigen und schränkt die Leistungsfähigkeit des Herzens ein. Quelle: dpa
Frauen erhöhen durch Nikotin-Konsum ihr Risiko für Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Osteoporose oder Unfruchtbarkeit. Vor der Menopause versechsfacht sich das Risiko für Raucherinnen, an einem Herzinfarkt zu sterben. Weniger als jede fünfte deutsche Frau ab 15 Jahren konsumiert regelmäßig Zigaretten und Co. Quelle: dpa

Wie hoch gehandelt dieses Therapiekonzept derzeit ist, zeigt der knapp drei Milliarden Dollar schwere Kooperationsvertrag zwischen Pfizer und Merck in Darmstadt. Dabei befindet sich die teuer eingekaufte Substanz mit dem kaum aussprechbaren Namen MSB0010718C erst in der ersten Prüfungsphase am Menschen und kann auf dem Weg zur Zulassung noch grandios scheitern. Doch der Wirkstoff greift genau den gleichen Checkpoint-Mechanismus an wie Opdivo, der zweite verheißungsvolle Kandidat vom Konkurrenten BMS.

Lockvogel rüttelt Körperpolizei auf

Diese Summen locken auch andere deutsche Biotech-Unternehmen, die auf dem Feld aktiv sind – etwa Apogenix aus Heidelberg oder Morphosys und 4SC aus Martinsried bei München.

Vielleicht lässt sich aber auch hier der gewünschte Effekt noch einfacher und preiswerter erreichen. Das hofft jedenfalls Christine Schuberth-Wagner, die vor wenigen Monaten das Start-up Rigontec in Siegburg gegründet hat – zusammen mit den Professoren Gunther Hartmann und Veit Hornung vom Universitätsklinikum Bonn, wo diese Klinische Chemie und Biochemie sowie Pharmakologie lehren. Ihr Ansatz: Auch mit einem vorgetäuschten Angriff mit einem Lockvogel lassen sich die Ermittler aufrütteln. Zumindest im Tierversuch klappt das schon perfekt.

Biologisch sieht Schuberths List so aus: Wie einen Lockvogel schleust sie Moleküle der Erbsubstanz RNA in den Körper. Die sollen der Körperpolizei vorgaukeln, dass eine heftige Virusinfektion vorliegt. Der Effekt: Das Immunsystem löst Großalarm aus und jagt die Abwehrzellen durch den gesamten Körper, um die vermeintliche Viren-Bande zu stellen. Obwohl diese keinerlei Phantombilder in der Hand halten, finden die derartig wachgerüttelten Kommissare nun auch die Verstecke der Krebs-Mafia und machen die Tumorzellen unschädlich.

So ähnlich wie beim Tatort-Kommissar Murot, bei dem der Gehirntumor die Sinne schärfte und ihn zu ganz neuen Einsichten brachte. Seit er sich zwischen Folge zwei und drei die Geschwulst chirurgisch hat entfernen lassen, gilt Murot zwar für die folgenden Serienteile als geheilt. Bisher jedenfalls. Mit den genialen Ermittlungsideen der TV-Figur ist seither allerdings ebenfalls Schluss.

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