Raj Raghunathan "Wer zu viel denkt, macht sich unglücklich"

Klug, erfolgreich – und glücklich? Mitnichten, meint Raj Raghunathan. Gerade kluge Menschen sind oft unglücklicher. Der US-Professor erklärt, warum Geld, Erfolg und Karriere nicht automatisch zufrieden machen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Denken macht unglücklich. Quelle: Marcel Stahn

WirtschaftsWoche: Professor Raghunathan, warum sind kluge Menschen unglücklich?
Raj Raghunathan: Weil sie häufiger erfolgreich sind.

Aber das ist doch prima.
Einerseits schon. Wer Erfolg hat, der erhält Zugang zu speziellen Ressourcen und erfährt dadurch eine Steigerung seines Glückes. Etwa wie der Student, der seinen ersten Job bekommt und sich dadurch Dinge leisten kann. Das Problem ist andererseits: Dieses Gefühl hält nicht ewig.

Warum nicht?
Weil wir nicht bemerken, wie schnell wir uns an Umstände gewöhnen. Die neue Situation des Glücks wird irgendwann gewöhnlich, sie verliert ihre Besonderheit. Aber dieses Gefühl wollen wir zurückholen. Daher verwenden wir jede Menge Energie darauf, mehr Geld zu verdienen oder einen höheren Status zu erreichen. Das Dilemma ist aber: Diese Dinge sind keine verlässlichen Faktoren für unser Glück.

Zur Person

Wir streben also ständig nach etwas, und sobald wir es haben, wollen wir mehr davon.
Genau - und dadurch machen wir uns unglücklich. Auf der einen Seite sagen die Leute, dass ihnen Glück sehr wichtig ist. In weltweiten Studien ist das meist das wichtigste Ziel – vor Erfolg, Geld oder Status. Wenn man allerdings Menschen im Alltag beobachtet, wird deutlich, dass sie ihr persönliches Glück für genau diese Dinge opfern. Ich nenne es das fundamentale Glücksparadox: Irgendwie verliert Glück im Alltag seine Priorität.

Warum?
Weil wir keine konkrete Definition davon haben. Wenn etwas sehr abstrakt und wenig spezifisch ist, wird man ihm keine große Wichtigkeit geben. Es ist also extrem wichtig, Glück zu definieren. Das funktioniert, indem man zurück blickt und sich selber fragt, in welchen Situationen und Gelegenheiten man besonders glücklich gewesen ist. Schreiben Sie es auf und Sie werden einen ziemlich guten Überblick darüber haben, welcher emotionale Zustand sie glücklich macht. Sie haben dann ein Portfolio des Glücks: Eine Definition und eine Liste von Dingen, die Sie glücklich machen. Damit lässt sich Lebensqualität erheblich verbessern.

Zehn Strategien zum Glücklichsein
Die Deutschen sind nicht so große Schwarzmaler, wie ihnen nachgesagt wird: Drei Viertel der Menschen hierzulande sind laut Studie lebensfroh, jeder Zweite empfindet sogar „große Lebensfreude”. Doch was genau ist das Geheimrezept zu Glück und innerer Ausgeglichenheit? Quelle: PR
Geld ist es auf jeden Fall nicht. Die Binsenweisheit, dass Geld nicht glücklich macht, hat sich die Mehrzahl der Deutschen tatsächlich zu Herzen genommen: 76 Prozent der Deutschen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1000 Euro bezeichnen sich als lebensfroh. Quelle: PR
Naheliegend und doch noch nicht bei allen angekommen: Wer den Partner mit seinen Macken akzeptiert, hat mehr vom Leben. Vor allem die Lebensfrohen (84 Prozent) schwören auf Toleranz für dauerhafte Liebe. Das hat das Forsa-Institut in Zusammenarbeit mit dem Coca-Cola Happiness Insitut herausgefunden.Im Bild: Felix von Luxemburg und seine Frau Claire Lademacher nach ihrer standesamtlichen Trauung im September. Quelle: dpa
Glück geht durch den Magen – besonders im Familienkreis: Mit der Familie kochen und essen gilt als Garant für ein gutes Lebensgefühl. Mehr als die Hälfte der Deutschen (53 Prozent) würde gern noch mehr Zeit für die Familie aufbringen. Das gemeinsame Familienessen ist für 86 Prozent der Befragten Bestandteil eines gelungenen Wochenendes aus. Quelle: dpa
Gesellschaft ist das Zauberwort zum Glück: Die Deutschen lachen am häufigsten zusammen mit Freunden und Bekannten (73 Prozent), mit dem Partner und der Familie (71 Prozent) sowie den Kollegen (48 Prozent). Am liebsten bringen sie andere Menschen zum Lachen (74 Prozent). Quelle: dpa
Probier's mal mit Gelassenheit: Auf Platz eins für ein frohes Familienleben steht „Die Dinge gelassen sehen“ (bei 31 Prozent der Lebensfrohen), gefolgt von der Fähigkeit, das Leben „so zu genießen, wie es kommt“. Auf Platz drei rangieren „Humor“ und „miteinander reden können“. Quelle: dpa
Leben mit persönlicher Leidenschaft: Jeder hat etwas, womit er sich gerne in der Freizeit beschäftigt. Dafür nutzen die Deutschen vor allem den Sonntag: 4,8 Stunden verbringen sie an diesem Tag durchschnittlich mit ihren Hobbys. 94 Prozent von 1068 befragten Deutschen zwischen 14 und 69 Jahren empfinden dabei Lebensfreude. Quelle: PR

Gibt es ein typisches Verhaltensmuster erfolgreicher Menschen, das unglücklich macht?
Sie vergleichen sich ständig. Es ist einerseits natürlich, dass wir uns mit anderen Menschen messen. Das lässt sich auch nicht verhindern: Es gibt den inneren Drang, sich abzugleichen und herauszufinden, wo man selbst steht. Das ist wichtig, um überhaupt erfolgreich zu werden. Also dient es einem Zweck.

Welche Berufe glücklich machen
die glücklichsten Menschen arbeiten in Hamburg Quelle: dpa
Die Jobsuchmaschine Indeed hat sich der Zufriedenheit deutscher Arbeitnehmer angenommen und nachgefragt, wer mit seinem Job besonders zufrieden ist. Die glücklichsten Berufe in Deutschland sind demnach eine bunte Mischung aus allen Ausbildungswegen und Hierarchiestufen. So gehören zu den Top 20 der zufriedensten Berufe viele traditionelle Handwerksberufe wie Maurer, Tischler oder Elektriker. Zufrieden sind allerdings auch - entgegen aller Klischees - Lehrer und Krankenschwestern. An der Spitze der Liste stehen Trainer, studentische Hilfskräfte und, wenig überraschend, Geschäftsführer. Laut dem Meinungsforschungsinstituts YouGov sind allgemein nur sieben Prozent der Deutschen wirklich unzufrieden mit ihrem Job, 75 Prozent der Arbeitnehmer macht ihre Arbeit mehrheitlich Spaß. Damit sie sich im Beruf wohl fühlen, brauchen 27 Prozent der Beschäftigten neue Herausforderungen, für 18 Prozent ist ein abwechslungsreicher Arbeitsalltag wichtig, für 15 Prozent bessere Gehaltsaussichten. Immerhin 14 Prozent wollen „etwas Sinnvolles“ für die Gesellschaft tun. Die folgenden Berufe erfüllen diese Kriterien - und machen glücklich. Quelle: Fotolia
Gärtner und Floristen sind zu 87 Prozent glücklich. "Ich arbeite in einer Umgebung, die ich mag, und tue etwas lohnendes und sinnvolles", gaben sogar 89 Prozent von ihnen an. Quelle: Fotolia
Jemand frisiert einen Puppenkopf Quelle: dpa
Männer arbeiten an Toiletten. Quelle: AP
Die ersten Nicht-Handwerker in der Glücksrangliste sind ausgerechnet Marketing- und PR-Leute (75 Prozent). Die Wahrheit steht offenbar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Glück. Quelle: Fotolia
Jemand hält einen Glaskolben mit einer Flüssigkeit darin. Quelle: AP

Allerdings hat es einen unguten Nebeneffekt: Wenn man sich selbst mit anderen Menschen nicht um der Selbsterkenntnis willen vergleicht, sondern daraus seine Selbstachtung und Selbstrespekt schöpft, übergibt man den Schlüssel zu seinem eigenen Glück an andere. Man verliert die Kontrolle, denn es beruht dann alles auf der Leistung anderer und nicht mehr auf der eigenen.

Extremer Kontrollwunsch

Worauf muss man noch achten?
Kluge und erfolgreiche Menschen sind häufig anfälliger für Verstandsabhängigkeit: Die Tendenz, alles dauernd überdenken zu wollen und darüber in eine Analyse-Lähmung zu verfallen. Dieses Verhalten resultiert aus der Annahme, dass eine bessere Entscheidung entsteht, wenn man nur lange und intensiv genug darüber nachdenkt …

… was natürlich nicht stimmt.
Nein. Manchmal ist es sogar besser, etwas nicht zu überdenken, sondern nach Bauchgefühl zu handeln. Studien zeigen zum Beispiel, dass Verbraucher, die Kaufentscheidungen überanalysieren, am Ende mit ihrem Einkauf weniger zufrieden sind. Zum einen liegt das daran, dass dieses Überanalysieren dazu führt, dass man alle unterschiedlichen Möglichkeiten kennen lernt. Wenn man dann schließlich die Entscheidung trifft, weiß man also nicht nur, was man bekommt, sondern auch was man nicht bekommt. Das führt zu weniger Zufriedenheit. Zum anderen überlagert das Überanalysieren das Bauchgefühl, das man nicht unterschätzen sollte. Denn es weiß instinktiv, was einem gefällt.

Lotto am Mittwoch: Wie häufig die Deutschen auf das Glücksspiel setzen

Gibt es noch weitere Fehler?
Der gesteigerte Kontrollwunsch vieler erfolgreicher Menschen. In Maßen ist der richtig und wichtig, aber in Extremform macht er unglücklich. Das Leben ist per Naturgesetz unsicher und unvorhersehbar. Verbindet man also das eigene Glück einzig mit dem erwarteten Verhalten anderer oder die erwarteten Ergebnisse im Beruf, ist man weniger glücklich. Nur wenn wir Freizeit haben, fühlen wir uns glücklich. Die Schlussfolgerung ist also: Nichts zu tun bedeutet Glück – und Faulheit. Dadurch vertauschen wir aber Ursache und Wirkung. Es geht vielmehr darum, sich Momente zu schaffen, in denen man glücklich ist.

Haben diese Momente einen Zusammenhang mit dem Alter?
Wir haben rausgefunden, dass Glück vor allem mit der eigenen Wertschätzung zusammenhängt. Kinder sind sehr glücklich, aber es wird von Jahr zu Jahr weniger. Einen Tiefpunkt erreichen wir mit 15 oder 16. Das überrascht nicht, schließlich ist da die Zukunft unsicher, die Pubertät vorbei, man fühlt sich wie ein Erwachsener, hat aber nicht die Rechte wie einer. Wir werden dann wieder glücklicher, wenn unsere Lebensplanung klarer wird und wir Zugang zu neuen Ressourcen erhalten – wie etwa Geld.

Der Höhepunkt liegt zwischen 30 und 35, nur um dann wieder rapide abzufallen: Plötzlich bemerken wir nämlich, dass wir zwar auf dem Papier viel besitzen, das aber einfach nicht reicht. All die Dinge, von denen man uns erzählte, dass sie glücklich machen, geben uns nämlich kein dauerhaftes Glück.

Nun gilt in unserer Gesellschaft Erfolg und Arbeit als ein hohes Gut. Gleichzeitig scheint es jede Menge unglückliche Menschen zu geben, die Rate von Burn-out-Erkrankungen und Despressionen ist hoch. Sollten wir uns mehr um das Glück kümmern?
Studien zeigen, dass Glück die Produktivität von Unternehmen verbessert. Glückliche Menschen leisten mehr und sind gesünder, kreativer und kollegialer als ihre unglücklichen Kollegen. Das kann man auch auf ein Land oder eine Gesellschaft übertragen: Glückliche Menschen vertrauen einander mehr, engagieren sich eher in der Gemeinschaft und gehen öfter wählen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%