WirtschaftsWoche Online: Herr Schetter, Sie haben gerade von Ihren bisherigen Geldgebern 15 Millionen Euro an frischem Kapital eingesammelt. Die stecken nun insgesamt 30 Millionen Euro in Ihr erst knapp drei Jahre altes Krebsforschungs-Start-up Rigontec. Warum?
Herr Christian Schetter: Weil wir einen völlig neuartigen Weg gefunden haben, die körpereigene Abwehr – das Immunsystem – gegen tödliche Tumore in Stellung zu bringen. Normalerweise übersehen die Immunzellen die Tumorzellen, weil diese sich sehr geschickt tarnen. Wir öffnen den Immunzellen sozusagen die Augen.
Ist das nicht genau dasselbe, was viele andere große Pharma- und Biotech-Firmen derzeit ebenfalls unter dem Begriff Krebs-Immuntherapie verstehen und erproben? Analystenmeinung schätzen, dass der Markt für solche Krebsmedikamente in wenigen Jahren auf 35 Milliarden Dollar pro Jahr ansteigen wird. Was ist das Besondere an Ihrer Idee?
Im Grunde stimmt das, die Idee ist dieselbe. Aber die Bonner Forscher und Rigontec-Gründer Christine Schuberth-Wagner, Gunther Hartmann und Veit Hornung haben einen einzigartigen biochemischen Signalweg namens RIG-I gefunden, der das Ankurbeln der Immunantwort sehr viel einfacher macht, als alle anderen Versuche.
Und wie funktioniert das?
Wir gaukeln dem Körper durch Erbmaterial-Moleküle, die wir in den Tumor oder ins Blut spritzen, eine Virusinfektion vor. Daraufhin springt die Immunabwehr an. Mehr durch Zufall hatten die Gründer damals im Labor in der Petrischale entdeckt, dass gerade Krebszellen beim Anstoßen der RIG-I-Kaskade sehr empfindlich reagieren – und in den Zelltod gehen. Genau das sehen wir nun in Tierversuchen, wenn wir unseren Wirkstoff in Tumore spritzen. Das ist aber noch nicht alles: Wenn die Krebszellen absterben, werden mit einem sehr viele Bestandteile frei, die das Immunsystem nun als Such- und Fahndungsbild nutzen kann, um weitere Tumorzellen zu finden. Genau diese molekularen Suchbilder müssen die meisten anderen immun-onkologischen Therapieversuche in ihren Wirkstoffen mit liefern. Wir dagegen bringen die Krebszellen dazu, die Suchmotive dem Körper selbst zur Verfügung zu stellen.
Formen der Krebs-Therapie
Bei einer Operation wird der Tumor entfernt, häufig auch die umliegenden Lymphknoten um eine Streuung zu vermeiden. Eine Operation allein reicht meist nicht aus.
Quelle: Bayerische Krebsgesellschaft
Dabei kommen bestimmte Medikamente, sogenannte Zytostatika, zum Einsatz. Sie können bösartige Tumoren zerstören oder zumindest ein weiteres Wachstum verhindern. Die Medikamente greifen in den Zell-Stoffwechsel ein. Weil sie aber nicht zwischen gesunden Zellen und Tumorgewebe unterscheiden können, kommt es zu Nebenwirkungen, etwa Haarausfall, Erbrechen, Immunschwäche. Weil sich das Normalgewebe aber schneller regeneriert, wirkt die Chemotherapie auf Krebszellen stärker.
Der Tumor wird vor, nach oder anstelle einer Entfernung mit energiereicher Strahlung beschossen. Die Bestrahlung kommt nur lokal zum Einsatz und kann das Wachstum des Tumors bremsen, indem die Tumorzellen zerstört werden.
Es handelt sich um einen jungen Therapieansatz, auch "targeted therapy" (zielgerichtete Therapie) genannt. Hierunter fällt die in der US-Studie erforschte Blockierung des Ral-Proteins. Spezifische Wirkstoffe sollen zielgenau die Krebszellen angreifen.
Hierbei werden Antihormone gegeben. Sie können vor allem Tumoren der Geschlechtsorgane und Brustkrebs im Wachstum stoppen oder verlangsamen.
Hierunter versteht man die Überwärmung des Körpers oder einzelner Körperteile. Dies kommt beispielsweise ergänzend zu einer Strahlentherapie zum Einsatz, und kann ihre Wirkung verstärken.
Wie weit sind Sie in der Entwicklung?
Wir wollen spätestens im ersten Vierteljahr 2017 mit Tests am Menschen beginnen. Das jetzt eingesammelte Geld soll auch dazu dienen, diese Versuchsreihen möglichst breit und umfassend anzulegen.
Und dann wollen Sie wie Merck aus Darmstadt Ende 2014 Ihr neues Krebs-Immuntherapeutikum für eine mehrstellige Milliarden-Summe an einen Pharmariesen verkaufen?
Schon jetzt ist die Resonanz aus der Pharma-Industrie sehr positiv. Aber noch stimmen unserer Vorstellungen mit den Angeboten nicht überein. Ich bin mir sicher, dass sich das ändert, wenn die Tests am Menschen unsere Tierversuche bestätigen und gute Ergebnisse bringen. Um dabei global agieren zu können, haben wir auch gerade in den USA in der Ostküsten-Biotech-Hochburg Cambridge eine Tochtergesellschaft eröffnet. Wir glauben, dass die RIG-I-Plattform immenses Potenzial hat, sogar weit über Krebserkrankungen hinaus. Und diesen Schatz wollen wir so schnell wie möglich heben.