Was in den USA klappt, muss auch in Europa funktionieren. So sahen es viele Energieexperten, Ökonomen und Unternehmen beim Thema Schiefergas. Sie hatten vor allem die massiv gesunkenen Gaspreise im Hinterkopf, die in Übersee zu einem Industrieboom und zehntausenden neuen Arbeitsplätzen geführt haben.
Auch in den USA selbst waren die Vertreter der Energiewirtschaft euphorisch. Als die Unternehmensberatung KPMG im Jahr 2010 eine Umfrage zur Bedeutung der Schiefergasvorkommen unter Managern in Energieunternehmen machte, bezeichneten rund 80 Prozent sie als "Game Changer" - also als Revolution für ihr Geschäft.
Umweltschützer und andere Kritiker der umstrittenen Frackingtechnologie - die mit hohem Wasseraufwand und gesundheitsschädlichen Chemikalien das Erdgas aus dem Schiefergestein fördert - warnten wiederum vor einer Wiederholung des Booms in Europa. Sie hielten die Schiefer-Euphorie in den USA wie auch die Vorkommen für überschätzt.
Mehrere Untersuchungen und Studien, die verschiedene Behörden und Analysten in den vergangenen Tagen in den USA und Europa herausgaben, geben den Zweiflern jetzt anscheinend Recht. Die ersten Zahlen kommen vom US-Beratungsunternehmen IHS Herold. Dessen Analysten haben sich die Investitionen von ausländischen Kapitalgebern angesehen, die in Projekte zur Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein flossen. 2013 waren das nur noch 3,4 Milliarden Dollar, während es 2012 noch sieben Milliarden waren. 2011 flossen noch rund 30 Milliarden Dollar aus dem Ausland in die Energieprojekte in den USA.
Und noch eine weitere Zahl beunruhigt: Insgesamt gaben 80 der größten Energieunternehmen in USA - auch das geht aus Zahlen von IHS hervor, die das Wall Street Journal zitiert - im vergangenen Jahr 51 Milliarden Dollar mehr aus, als sie einnahmen. Der US-Energieboom scheint sich also gerade als großes Verlustgeschäft und nicht als Heilsbringer zu entpuppen.
Doch die Gründe haben wenig mit abnehmenden Ressourcen zu tun, sondern sind eher Verwerfungen auf dem Energiemarkt geschuldet. Denn während Unternehmen bei der Ölförderung in den USA wegen des hohen Weltmarktpreises für den Rohstoff immer noch Millionen verdienen, sieht es im Gasgeschäft schon länger düster aus.
Unternehmen wählen das kleinere Übel
Der Grund sind die ins bodenlose gefallenen Preise. Brachten 1000 Kubikfuß Erdgas (was rund 28 Kubikmetern entspricht) im Jahr 2008 noch fast 11 Dollar ein, waren es 2013 im Schnitt nur noch 3,7 Dollar. Da die Förderung von Erdgas aus Schiefergestein aufwendiger ist als aus konventionellen Quellen, lohnt es sich für die Unternehmen auf den weniger ergiebigen Feldern kaum noch, den Rohstoff an die Oberfläche zu holen.
Warum dennoch immer neue Bohrtürme in den Himmel über Pennsylvania, Ohio oder Texas wachsen, hat mit den speziellen Vorgaben zur Landnutzung in den USA zu tun: Wer in Amerika Land über einem Gas- oder Ölfeld pachtet, muss es nach einer bestimmten Zeit auch erschließen. Wenn das Land über mehrere Jahre still liegt, verlieren die Unternehmen die Pacht. Die Unternehmen wählen hier meist das kleinere Übel und schreiben Verluste bei der Förderung in der Hoffnung auf bessere Zeiten.
Die Unternehmen bohren Gasfelder an, nur um die Rechte an dem Land zu halten. Die Folge dieser Taktik war ein Überangebot an Erdgas und ein dramatischer Preiseinbruch. Der führte Schiefergasunternehmen wie Chesapeake - nach eigener Aussage der größte Erdgasförderer in den USA - an den Rand der Pleite. Die mehrere Millionen Dollar teuren Bohrungen spielten schlicht ihr Geld nicht mehr ein. Unternehmen wie ExxonMobil und Shell, die eher spät in die Schiefergasförderung einstiegen, verloren in den vergangenen Jahren deshalb viele Milliarden Dollar.
Unkonventionelle Gasvorkommen
Schiefergas lagert in dichten Tonsteinschichten, in denen es sich auch gebildet hat. In Norddeutschland liegen diese in Tiefen von etwa 1000-25000 Metern. Schiefergas wird in Deutschland bisher nicht gefördert. Um es zu fördern, bedarf es der Hydraulic Fracturing Methode - also Fracking.
Kohleflözgas bezeichnet Erdgas, das in den Kohleschichten entstanden und enthalten ist. Diese Vorkommen befinden sich hierzulande in den Tiefen ab etwa 1000 Metern. Aus internationaler Erfahrung lässt sich eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ableiten, bei der Gewinnung von Kohlflözgas auf Fracking verzichten zu können.
Tight Gas befindet sich in besonders dichten Sand- oder Kalksteinschichten in Tiefen unterhalb von 3500 Metern. Die Gesteinsschichten zeichnen sich durch eine extrem verringerte Durchlässigkeit aus. Anders als bei Schiefer- oder Kohlflözgas befindet sich das Erdgas hier in Speichergesteinen, und nicht dort, wo das Gas entstanden ist. Tight Gas wird in Niedersachsen seit den 1990er Jahren gefördert, besitzt mit rund drei Prozent aber nur einen geringen Anteil am Gesamtfördervolumen. Tight Gas lässt sich nur durch Fracking fördern. Aufgrund der vielen Erfahrungen der Fachleute, wird Tight Gas heute kaum noch als "unkonventionell" bezeichnet.
Dass nun die Investitionen in das Verlustgeschäft einbrechen, ist also kein Wunder. Die Förderung hat das allerdings noch nicht eingeschränkt: Laut den neuesten Zahlen der US-Energiebehörde EIA holten Öl- und Gasunternehmen in diesem Januar mehr Rohstoffe aus dem Boden als vor 12 Monaten (hier als PDF).
Eine Korrektur des Marktes, die Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht bringt und die Gasförderung wieder rentabler macht, ist also vorerst nicht abzusehen. Viele Produzenten hoffen deshalb, dass die USA in einigen Jahren ihr Schiefergas über Flüssiggas-Terminals ins Ausland exportiert. Erst dann könnten die Preise wieder anziehen.
Dass der Erdgasmarkt in den USA derzeit in einer desolaten Verfassung ist, ruft auch in Europa zunehmend Skepsis hervor. Vor allem, weil die Schiefergasförderung hier noch ganz am Anfang steht.
Vorkommen in Europa
Größere Vorkommen an Schiefergas werden vor allem in Osteuropa und in Großbritannien vermutet. Bisher scheiterten Unternehmen wie ExxonMobil oder Chevron aber an den geologischen Gegebenheiten in Polen und der Ukraine. Ob es für die Förderer in Großbritannien besser läuft, werden die nächsten Monate zeigen. Derzeit starten Energieunternehmen auf der Insel zahlreiche Projekte, um die Vorkommen zu erkunden. Die Politik verspricht sich einiges von den Schätzen im Boden.
In Deutschland und Frankreich dagegen ist das Fracking politisch nicht erwünscht. Nicht einmal Erkundungsbohrungen finden im größeren Stil statt. Ob die Vorkommen - in Deutschland würden sie theoretisch rund zehn Jahre eine Vollversorgung mit Erdgas ermöglichen - wirtschaftlich abzubauen sind, weiß derzeit niemand.
Diese Unsicherheit spiegelt sich auch in den Vorhersagen der Experten wieder. Gerade hat der Öl- und Gasgigant BP seinen jährlichen Energiereport vorgestellt. Demnach wird Schiefergas in naher Zukunft keinen signifikanten Anteil am Erdgasmarkt erreichen. Rund sechs Prozent des Erdgases, das die Verbraucher auf dem Kontinent nutzen, könnte 2035 aus Schiefergestein kommen.
Auch die EU-Kommission geht eher von moderaten Zahlen aus. Rund 10 Prozent des Erdgases könnten 2035 mit der Fracking-Technologie gewonnen werden, glaubt man in Brüssel.
Das Potenzial für mehr wäre allerdings vorhanden. Zwar hat die EU gerade erst ihre Schätzungen für die Schiefergasvorkommen nach unten korrigiert. 2011 glaubten die Experten noch an Reserven in Höhe von 15,8 Billionen Kubikmetern. Jetzt sollen in Europa nur noch rund 13,3 Billionen Kubikmeter förderfähiges Schiefergas lagern. Aber selbst diese Menge würde genügen, um die EU mehr als zwanzig Jahre lang mit Erdgas zu versorgen.