Schneller schlau Verheerende Erdrutsche unter Wasser

Erdrutsche unter Wasser können verheerende Tsunamis auslösen. Selbst vermeintlich stabile Unterwasser-Hänge sind vor solchen Katastrophen nicht gefeit.

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In dieser Meeresregion kam es vor rund 30.000 Jahren zu einem mächtigen Unterwasser-Erdrutsch. (Foto: Jerzy Strzelecki/CC BY-SA 3.0 )

Berlin Wenn die Erde an den unterseeischen Kontinentalabhängen ins Rutschen gerät, sind die Folgen fast immer dramatisch. Einige der schlimmsten Tsunamis der Erdgeschichte lassen sich auf solche Hangrutschungen unter Wasser zurückführen – etwa die bis zu 20 Meter hohen Flutwellen, die vor gut 8000 Jahren an die Küsten Nordeuropas brandeten, als die Erde vor der norwegischen Küste ins Rutschen geriet.

Wissenschaftler bringen solche Erdrutsche mit instabilen Gashydraten im Meeresboden in Verbindung. Diese festen, eisartigen Verbindungen aus Wasser und Gasen halten die Hänge normalerweise wie Zement zusammen. Wird dieser Zement brüchig, weil sich die Gashydrate etwa durch steigende Wassertemperaturen auflösen, kann die Erde großflächig ins Rutschen geraten – mit entsprechend katastrophalen Folgen über Wasser. Soweit die Theorie.

Wissenschaftler des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel haben nun aber herausgearbeitet, dass die Abläufe im Boden um einiges komplexer sein dürften. Sie fanden Belege dafür, dass auch Böden mit stabilen Gashydranten den Halt verlieren können. „Unsere Daten zeigen, dass stabile Gashydrate indirekt das Sediment über ihnen destabilisieren können“, sagt Judith Elger vom Geomar, Erstautorin einer Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen ist.

Den Forschern war aufgefallen, dass viele unterseeische Rutschungen in vergleichsweise großer Wassertiefe begonnen hatten. Das passt nicht zum oben beschriebenen Szenario: Wenn steigende Wassertemperaturen allein für die Destabilisierung der Gashydrate verantwortlich wären, müssten die Erdrutsche nicht im Bereich des kalten Tiefenwassers, sondern eher in höheren Regionen der Kontinentalhänge ihren Ausgang nehmen.

Um diesem Widerspruch aufzulösen, nahmen Elger und Kollegen Daten aus einer Meeresregion nördlich von Spitzbergen genauer unter die Lupe. In diesem Gebiet kam es vor etwa 30.000 Jahren in 750 bis 2200 Metern Wassertiefe zu einem Erdrutsch, der heute als Hinlopen-Rutschung bekannt ist. Mit seismischen Daten über die Vorgänge im Meeresboden jener Region fütterten die Forscher ihre Computer, um das Ereignisse jener Tage möglichst genau nachzuvollziehen.

Heraus kam ein Szenario, das erklärt, wie Hänge trotz einer festen, undurchlässigen Gashydrat-Schicht ins Rutschen geraten können. Und zwar dann, wenn sich im Boden unter den Gashydraten im Laufe der Zeit freies Gas und Flüssigkeiten ansammeln. Dieses Gemisch übt auf die Hydratschicht zunehmend Druck aus, bis diese nicht mehr standhält – es bilden sich Risse, durch die das Gemisch schnell nach oben strömt. Trifft es oberhalb der Hydratschicht auf weniger stabiles Sediment, kann das den ganzen Hang in Bewegung setzen.

„Wir konnten zeigen, dass dieser Prozess im Fall der Hinlopen-Rutschung eine realistische Alternative zu anderen vermuteten Prozessen ist“, sagt Elger. Unklar ist allerdings noch, wie verbreitet das Phänomen tatsächlich ist. Weitere Untersuchungen sollen nun zeigen, ob auch an anderen historischen Rutschungen ähnliche Rissstrukturen im Meeresboden nachgewiesen werden können.

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