Smarte Büromöbel Diese Innovationen halten Büroarbeiter fit

Apps und intelligente Stühle und sogar Tische könnten den Büroalltag durchaus gesünder machen. Wie sie funktionieren und was sie taugen.

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Fünf unauffällige Gymnastikübungen fürs Büro
Rücken-Übung: Der Kopfdreher (Lockerung & Mobilisierung von Hals und Nacken) Quelle: Presse
Rücken-Übung: Der Schwan (Lockerung & Mobilisierung von Hals und Nacken) Quelle: Presse
Rücken-Übung: Die Babyschaukel (Lockerung & Mobilisierung der Wirbelsäule) Quelle: Presse
Baum (Haltung und Balance) und Baum umarmen (Dehnung des Rückens) Quelle: Presse
Zurücklehnen (Entspannung) Quelle: Presse
Spazierengehen Quelle: dpa

Wie viele Stunden sitzen Sie jeden Tag am Schreibtisch? Wie oft stehen sie tatsächlich auf? Und sind Sie sicher, dass Ihr Schreibtischstuhl Ihre Bewegungen unterstützt? Oder fördert er gar Rückenschmerzen?

Büroarbeiter sind meist der Meinung, dass wenig Bewegung am Schreibtisch eben dazugehört zur Arbeit am Computer. Bewegungsfaul, werden sie deshalb von Medizinern häufig genannt. Dabei ist es vielen bewusst, dass sie etwas falsch machen: Laut einer Umfrage des Verbandes bso Büro-, Sitz- und Objektmöbel glauben wünscht sich jeder Fünfte eine Verbesserung der gesundheitlichen Aspekte seiner Büromöbel und laut einer TNS-Emnid-Umfrage wäre fast die Hälfte der Befragten von mehr Mobilität im Büro begeistert.

So bringen Sie mehr Bewegung in Ihren Büroalltag

Um genau solchen Wünschen nachzukommen, haben Unternehmen in den vergangenen Jahren fleißig getüftelt und einige interessante Innovationen auf den Markt gebracht. Besonders Stühle und Tische sollen den Bewegungsdrang von Büroarbeitern pushen und genau das ist es, was der Körper braucht, sagt auch Annica Lambertz: „Grundsätzlich ist ja jede Bewegung für den Körper besser als keine“, erklärt die Sportwissenschaftlerin des Dekra-Instituts für Arbeitsmedizin. „Gerade wenn man den ganzen Tag an den Bürostuhl gefesselt ist, neigt man dazu sich gar nicht zu bewegen – auch weil die normalen Stühle das überhaupt nicht hergeben.“

Bewegliches Sitzpolster

Deshalb lohnt sich der Blick auf die Innovationen, die der Markt mittlerweile so zu bieten hat. Eine davon: der Bürostuhl „ON“ von Wilkhahn. Für ihn entwickelten die Ingenieure in Eimbeckhausen bei Hannover die sogenannte „Trimension“ – eine von Wilkhahn patentierte Mechanik, durch die der Sitz sich dreidimensional bewegen lässt. Der Preis für das mechanische Hightech-Modell kann sich sehen lassen: unter 500 Euro ist er kaum zu bekommen.

Die Mechanik des Bürostuhls „ON“, entwickelt von Wilkhahn, ist unter dem Namen

Dafür bietet der Stuhl laut Hersteller aber einiges für die eigene Gesundheit: Sowohl Vorwärts-, Rückwärts- und Seitwärtsbewegungen als auch die Rotation des Beckens soll die „Trimension“ anregen. Das beuge Rückenschmerzen vor, rege den Stoffwechsel an und stimuliere Muskulatur und Gelenke, heißt es bei Wilkhahn.

Besonders die Kippung in der Hüfte und die regelmäßige Gewichtsverlagerung sind laut Lambertz dabei förderlich für die Gesundheit: „Letztendlich ist die Abwechslung gesund.“

Doch neue Mechanik ist längst nicht alles, was innovative Bürostühle heute können. Neue Modelle denken sogar mit.

Der „Smart Chair“ aus den Niederlanden

So zum Beispiel der „Axia Smart Chair“, der im niederländischen Zwolle entwickelt wurde. Er soll die Haltung seines Besitzers am Schreibtisch analysieren können.

Dabei helfen ihm Sensoren, die in der Sitzfläche integriert sind und die Gewichtsunterschiede erkennen. Dadurch weiß der Stuhl zum Beispiel, ob wir uns nur auf einer Seite abstützen oder einen krummen Rücken machen. Merkt der smarte Stuhl dadurch, dass sein man sich zu sehr hängen lässt oder gar schräg – sprich schlecht – sitzt, vibriert er.

Der „Axia Smart Chair“ lässt sich durch wenige Knopfdrücke bedienen und über Computer oder Smartphone verwalten. Quelle: PR Axia

Sportwissenschaftlerin Lambertz ist da gespaltener Meinung: „Es kann durchaus mal gut sein, sich auf eine Seite zu verlagern. Wenn man dauerhaft schräg sitzt, ist das natürlich wieder ungesund, aber eine kurzfristige Verlagerung macht den gesunden Wechsel verschiedener Positionen aus.“

Der Stuhl hat aber noch mehr zu bieten. Er vibriert nicht nur, er vergibt auch Punkte für die Sitzhaltung. Wer gerade sitzt, bekommt die volle Punktzahl. Wer sich krumm macht, entsprechend weniger. Weil der Stuhl die Daten über ein Cloud-System zusammenfasst, können Büroarbeiter am Ende eines Arbeitstages einen Blick darauf werfen, wie sie abgeschnitten haben. Was er kostet, teilt das niederländische Unternehmen nur bei konkreten Bestellanfragen mit.

Um das Bewusstsein zu schulen und um auf seine Haltung zu achten, könnte es hilfreich sein, sagt Lambertz. Ihrer Meinung nach kommt es aber mehr auf Bewegung als auf die Haltung im Büro an.

Alltagstipps für einen starken Rücken

Feedback vom klugen Stuhl

Gleich zu beidem soll eine Kommunikationsplattform motivieren, die speziell für Stühle entwickelt wurde. „Mit „eyeSeat“ werden die Stühle intelligent“, sagt Jochen Weidt von Projektplan Spirit of New Work. Das Unternehmen aus der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Bad Bergzabern konzentriert sich auf Büroausstattung und hat das Programm gemeinsam mit einer Softwarefirma entwickelt und patentieren lassen. Auch hierfür werden Sitzsensoren genutzt. „Wir wollen Sitzverhalten sichtbar machen“, beschreibt es Weidt.

Ein Entwurf der Software

Auch bei „eyeSeat“ gibt es eine PC-Auswertung und auch hier erkennt das Programm mithilfe der Sensoren, die den Gewichtsdruck messen, wie der Büroarbeiter auf dem Stuhl sitzt und kann ihn nach einer gewissen Zeit darauf aufmerksam machen, dass er einmal die Position ändern sollte, weil er beispielsweise lange die Rückenlehne nicht mehr berührt hat. „Lehn dich zurück!“ wäre dann etwa der entsprechende Hinweis von „eyeSeat“ an den Nutzer.

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Ebenfalls einen mit Sensoren ausgerüstet Stuhl – eigentlich eher ein Hocker – inklusive App galt es zuletzt auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo zu finanzieren. Auch der „Zami Life“ aus den Niederlanden kontrolliert das Sitzverhalten und schickt die Infos per App aufs Handy – so können Büroarbeiter sich selbst kontrollieren und sich in Bewegung setzen, wenn die App sie dazu animiert.

Die gibt einem dazu noch Tipps für einige Übungen. Die Kosten für dieses Exemplar sind aber wirklich nicht ohne: 749 Dollar bei Indiegogo, in den Läden später vermutlich sogar 1249 Dollar, heißt es beim Start-up.

Der intelligente Hocker des niederländischen Start-ups Zami wurde über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo finanziert. Quelle: Screenshot

„Ich glaube, dass es generell sinnvoll ist, wenn man Features hat, die einen daran erinnern, sich immer mal zu bewegen“, so Lambertz. Sie selbst schwört auf ihre Uhr, die piept, wenn sie eine Stunde ohne Bewegung gesessen hat und fordert sie auf, sich zu bewegen. „Das ermuntert einen dann, sich zu bewegen und wenn man grundsätzlich die Meldung vom Stuhl bekommt, sich einmal anders zu bewegen, kann das dazu beitragen, dass man generell mehr Abwechslung hat.“

Der fordernde, intelligente Schreibtisch


Noch etwas mehr als die richtige oder falsche Sitzhaltung meldet der deutsche Bürohocker der Firma ONGO an seinen Nutzer. Zum einen motiviert die gewölbte Standfläche von vornerein dazu „bewusster“ auf dem Hocker Platz zu nehmen. Zusammen mit der im Fuß integrierten Kugelbahn mit akustischer Rückmeldung animiert das zu mehr Bewegung und soll Rücken- und Haltemuskulatur kräftigen.

Zum anderen gibt es durch eine kostenlose App die Möglichkeit sich mit dem Apple Health zu verbinden und so Bewegungen zu tracken, Spiele zu spielen oder Kalorien zu zählen. „Jemand, der eine kleine Motivationsstütze oder eine kleine Erinnerung braucht, für den sind derartige Tracking-Ansätze durchaus sinnvoll“, sagt Lambertz. Und: „Das Spielerische ist wichtig, um erst einmal einen Anreiz zu bieten sich mehr zu bewegen“

Der smarte Hocker des Stuttgarter Büromöbelherstellers ONGO informiert den Nutzer über Bewegungsablauf und Kalorienverbrauch. Quelle: PR ONGO

Den Hocker aus Stuttgart gibt es auch im Vergleich zu den smarten Bürostühlen noch relativ „günstig“ – bedenkt man die inkludierte Hightech: Er ist in der „Classic“-Version ab 315 Euro zu haben.

Wer lieber auf seinem „normalen“ Schreibtischstuhl lümmelt und stattdessen eher mal aufstehen würde, für den haben Technik-Experten den schlauen Schreibtisch entwickelt. Dass man die Arbeitsfläche samt Computer hochfahren kann, ist mittlerweile ein alter Hut. Dass der Tisch einem aber sagt, wann man das machen sollte oder es sogar von ganz alleine tut, ist noch ziemlich revolutionär.

So hat das Start-up Tome zusammen mit dem US-amerikanischen Büromöbelhersteller Humanscale ein solches intelligentes Modell entwickelt. „OfficeIQ haben sie den schlauen Schreibtisch genannt, der ebenfalls mit Sensoren und dazugehöriger Software erkennt, wie oft und lange der Schreibtischnutzer sitzt oder steht.

Per App bekommt der Nutzer so Informationen zu seinem Bewegungsstatus und seinem Kalorienverbrauch und wird irgendwann aufgefordert mal wieder in den Steh-Modus zu wechseln, wenn er zu lange gesessen hat. Noch ist der „OfficeIQ“ nicht auf dem Markt. Humanscale hat ihn aber für Juni dieses Jahres angekündigt.

Sitzen im digitalen Zeitalter
The DrawArbeiten mit Tablets Quelle: Presse
The Multi-DeviceMultitasking Quelle: Presse
The TextKurznachrichten schreiben Quelle: Presse
The CocoonSich zurückziehen Quelle: Presse
The SwipeTouchscreens bedienen Quelle: Presse
The Smart LeanPrivatsphäre suchen Quelle: Presse
The TranceKonzentration am Bildschirm Quelle: Presse

Und hoch mit dir!

Viel direkter ist der „Stir Kinetic“ – ein Schreibtisch der vom US-Start-up StirWorks entwickelt wurde. Der entscheidet nämlich komplett selbst, wann es so weit ist und fragt gar nicht erst. Wer sich für den Schreibtisch entscheidet bekommt Arbeitsplatte, Mechanik, Sensoren und Touchdisplay zum Bedienen geliefert. Alles für einen Preis von rund 3000 Euro – gutes Mittelfeld bei anspruchsvollen Büromöbeln.

Der Nutzer kann mit einem kleinen Tippen auf einen Tablet-Bildschirm den Schreibtisch von selbst hochfahren, aber wenn er das lange nicht tut, macht der Schreibtisch es von selbst – ohne Vorwarnung. Dafür wechselt er ganz gemächlich die Höhe – quasi um den Büroarbeiter in seiner Aktivität nicht zu stören, verspricht StirWorks. So hoch, bis man perfekt vor dem Bildschirm steht. Genau das Richtige für bewegungsmüde Menschen, findet auch die Sportwissenschaftlerin: „Das ist ideal, weil man hier die direkte Aufforderung hat zwischen Stehen und Sitzen zu wechseln. Das hätte ich auch gerne“, so Lambertz.

Grundsätzlich sollten Büroarbeiter – egal für welche intelligenten oder klassischen Büromöbel man sich auch entscheidet – vor allem eines beachten: „Es wäre natürlich wünschenswerter, wenn man grundsätzlich deutlich mehr Bewegung hätte“, sagt Lambertz. „Es ist aber auf jeden Fall schon gesundheitsförderlicher, wenn man einfach zwischendurch einmal aufsteht und immer wieder kleine Gänge macht, als wenn man dauerhaft sitzen bleibt.“

Ob es nun also Uhr, smarter Schreibtisch, mitdenkender Bürostuhl oder der schmerzende Rücken ist, der einen darauf hinweist - Bewegung in jeglicher Form ist am Ende das, was den Büroarbeiter fit hält. Eines sollte aber jeder Technik-Zweifler bedenken: Die moderne Technik könnte einen darauf hinweisen, bevor es der schmerzende Rücken tut.

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