Stammzellen Wie Forscher Organe züchten wollen

Seite 2/5

Körper als Bioreaktor

Tissue-Engineering-Chef Hilfiker Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Die größten Erfolge haben derzeit Forschergruppen, die den menschlichen Körper selbst als Bioreaktor nutzen, wie auch bei dem Vater des Bad Homburger Bräutigams Tektas. Seine Bauchdecke war durch mehrere Darmoperationen so schwer beschädigt, dass sie mit den üblichen synthetischen Netzen, wie sie bei überschaubaren Nabel- oder Leistenbrüchen eingesetzt werden, nicht zu stabilisieren war. Da kam sein Arzt Strey auf die Idee, die speziell aufbereitete Schweinehaut namens Strattice des US-Unternehmens KCI Lifecell zu verwenden.

Bislang kommt Strattice vor allem bei Brustkrebspatientinnen zum Einsatz, deren Busen nach der Entfernung des Tumors wieder aufgebaut werden soll. Dazu wird die Schweinehaut mit einer rabiaten Waschprozedur von jeglichen Zellen befreit, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Auch ein noch in der Schweineschwarte steckender, störender Zucker namens Alphagalaktose wird biochemisch abgelöst. Auch auf ihn würde der Körper mit Abstoßung reagieren.

Der derartig traktierte Schweinehautlappen ist anschließend ungesund kalkweiß. Er besteht fast nur noch aus Kollagen, dem Bindegewebsprotein, das Knorpel und Knochen aufbaut. Er ist zugleich elastisch und stabil. Damit gibt ein 15 mal 15 Zentimeter großes Reparaturstück einer restaurierten Bauchdecke Halt. Der Hauptvorteil aber ist: Alle Hohlräume für Adern sind noch vorhanden. Damit weist das Implantat den körpereigenen Stammzellen, die vom Körper zur Reparatur der Wunde entsandt werden, den Weg und gibt ihnen eine klare Form vor.

Abstoßungsreaktion gilt es zu verhindern

Strey war dennoch skeptisch – zum einen wegen der notwendigen siebenstündigen Operation. Zudem fürchtete er, dass sein Patient wegen seines Glaubens mit der Herkunft des Ersatzgewebes Probleme hätte. Doch der gab ihm zu verstehen: Solange er das Schwein nicht esse, sei es in Ordnung. Tatsächlich ist im Islam die medizinische Nutzung von Schweineprodukten legitim, von der Gelatine-Kapsel rund um Medikamente bis zum Bauchersatz.

Als Strey immer noch zögerte, drängte Tektas ihn, es doch zu versuchen. Schließlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als auf der Hochzeit seine Sohnes fit zu sein. Der Eingriff gelang. Und der Erfolg war so groß, dass die Bauchdecke auch anderthalb Jahre später keine Probleme bereitet. Inzwischen hat Strey die Operation fünf weitere Male durchgeführt. Er sagt: „So können wir Menschen helfen, die sonst ans Bett gefesselt sind oder sich kaum bewegen können.“

Was im Bauchraum gute Erfolge zeigt, funktioniert an anderer Stelle im Körper nicht ganz so optimal, etwa im Herzen. Auch dort werden zum Beispiel defekte Herzklappen durch menschliche Spenderklappen ersetzt. In diesem Fall wird das Gewebe aber mithilfe von Chemikalien regelrecht abgetötet, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Das hat gravierende Nachteile: Die Klappen erstarren nach und nach und funktionieren dann nicht mehr. Außerdem lagern sich Fett- und Kalkreste auf ihnen ab, die tödliche Infarkte auslösen können.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%