Was die Forscher versprechen, ist fantastisch: Künftig sollen Stammzellen fast jedes Leiden heilen. Die Zellen mit der ungeheuren Regenerationskraft sollen zum Jungbrunnen für altersschwache Herzen, Gehirne oder Gelenke werden. Kaum eine andere medizinische Methode weckt derzeit so viele Hoffnungen – gerade bei schwer kranken Menschen und Eltern behinderter Kindern.
Genau auf diese verzweifelte Patientengruppe hatte es die Düsseldorfer Firma XCell Center GmbH abgesehen. Sie hatte sich von 2007 bis 2010 in zwei katholischen Kliniken in Köln und Düsseldorf eingemietet. Für Zehntausende von Euro versprachen der Firmengründer Cornelis Kleinbloesem und sein Ärzteteam Heilung von zahlreichen schweren Krankheiten.
In einer Grauzone
Damit war der niederländische Geschäftsmann seiner Zeit weit voraus. Denn seriöse Forscher betonen auch heute noch, dass sich die meisten Stammzelltherapien in einem frühen experimentellen Stadium befinden – und damit Jahre von einer regulären Standardbehandlung entfernt sind.
Weil XCell aber in einer rechtlichen Grauzone agierte, konnten die Behörden das Unternehmen erst im Jahr 2010 schließen, als zwei Kinder schwere körperliche Schäden durch die Injektion von Stammzellen ins Gehirn davontrugen – und ein weiteres starb (die WirtschaftsWoche berichtete mehrfach).
Das Unheimliche daran: Während die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft nun gegen die behandelnde Ärztin Anklage erhoben hat (Aktenzeichen 4KLS 6/14), bleibt Ex-Chef Kleinbloesem unbehelligt. Noch bedenklicher: Er bietet die lebensgefährlichen Eingriffe am Gehirn weiterhin an.
Bei seiner zweiten Firma, der Cells4Health mit Hauptsitz im schweizerischen Zug, fährt der gelernte Pharmazeut unverdrossen dieselbe Masche.
Auf der Homepage offeriert er Stammzelltherapien, zu Preisen von 13.145 Euro fürs Knie bis zu 38.445 Euro am Rückenmark. Und auch die Behandlung von Hirnschäden steht wieder auf der Liste: 27.445 Euro kostet das Spritzen von Stammzellen ins Hirn.
Genau deswegen wurde XCell geschlossen und die Ärztin nun angeklagt. Als Behandlungsorte sind der Libanon, der Oman und Indien genannt. Auf Nachfrage der WirtschaftsWoche, warum er diese Therapie weiter anwendet, antwortete Kleinbloesem nicht.
Unerprobt, unzulässig, lebensgefährlich
Es scheint schier unmöglich, dem Mann das Handwerk zu legen. Auch im Fall XCell ist es für Staatsanwalt Christoph Kumpa schwierig, die Chefs – Kleinbloesem und seine leitenden Ärzte – auf die Anklagebank zu bekommen.
Denn anders als die nun angeklagte Chirurgin kann Kumpa die eigentlich Verantwortlichen der dubiosen Firma nicht direkt mit den fatalen Eingriffen in Zusammenhang bringen. Um sie ebenfalls dingfest zu machen, müssen die Strafverfolger sämtliche alten Patientenakten durchsehen. Nur wenn sie zeigen können, dass auch diese Herren die gefährlichen Behandlungen am Hirn durchführten oder sie deren Gefahren bei der Aufklärung der Patienten kleinredeten, können sie gegen sie Anklage erheben.
Es mangelt an Zeit
Kumpa hat aber ein Problem: Ihm fehlen Zeit und Fachkenntnis, um die Akten selbst durchzuarbeiten. Deshalb hat er die Ärztekammer Nordrhein um Hilfe gebeten. Die ließ sich vom Insolvenzverwalter der pleitegegangenen XCell die Akten aushändigen und lagerte sie ein.
Dirk Schulenburg, Justiziar der Ärztekammer, war damals selbst dabei und weiß: „Es geht um 13.000 Patientenakten.“ Weil die Kammer ein großes Interesse habe, den Fall aufzuklären, werde sie Amtshilfe leisten.
XCell-Gründer Kleinbloesem scheint es nicht zu scheren, dass die Therapien, die er anbietet, weder erprobt noch zugelassen, sondern mitunter lebensgefährlich sind. Es ist nun schon sein dritter Anlauf.
Schon vor seinem Ausflug nach Deutschland hatte er mit der damals in den Niederlanden beheimateten Cells4Health genau dasselbe Konzept verfolgt. Ein eigens verabschiedetes Gesetz vermasselte ihm damals allerdings das Geschäft in seinem Heimatland – bevor Menschen zu Schaden kamen.
Einziger Trost für die Menschen, denen XCell noch Geld schuldet: Wie der Anwalt eines Geschäftspartners bestätigt, kommt das noble Privatanwesen des Ex-Firmenchefs in Kürze unter den Hammer. Der Lebemann residierte im noblen Städtchen Meerbusch vor den Toren Düsseldorfs – ganz in der Nähe der Moderatorin Verona Pooth, womit er sich gerne brüstete.