Es ist nur schwer nachvollziehbar, was wir Menschen auf der Erde mit einem Sturm zu tun haben sollen, der mindestens 47,1 Millionen Kilometer von unserem Planeten entfernt durch den Kosmos rauscht. Doch das Weltraumwetter - insbesondere die Sonnenstürme - betreffen unser Leben unmittelbar. Denn die elektronisch geladenen Partikel, die mit dem Sturm in unsere Umlaufbahn geraten, können den Satellitenfunk und damit unsere kompletten modernen Kommunikationswege lahmlegen.
Kein Wunder also, dass der Bedarf an Wissenschaftlern, die sich mit den Phänomenen des Weltraumwetters auskennen, in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist. Eine, die seit über zehn Jahren in diesem Feld forscht, ist Alexi Glover. Die studierte Physikerin arbeitet bei der ESA (European Space Agency) vor den Toren der spanischen Hauptstadt Madrid. Seit kurzem gehört sie dem internationalen Team des "Space Situation Awareness"-Programms an und ist hier quasi als Wetterfrosch angestellt. "Seit Mitte der 90er Jahre ist der Begriff Weltraumwetter überhaupt erst gebräuchlich", sagt sie. "Seit den Anfängen unserer Arbeit hat das Interesse an den Stürmen im All stark zugenommen."
Der Grund dafür ist so logisch wie beängstigend: Unsere Gesellschaft hat sich im Zuge der technischen Entwicklungen immer mehr von Telekommunikations- und GPS-Satelliten im Weltraum abhängig gemacht. Seit der russische Satellit Sputnik 1 im Jahr 1957 ins All geschossen wurde, haben tausende Nachfolger ihren Weg in das Sonnensystem gefunden. Und mit der verstärkten Nutzung dieser Technologie ist das All zu einem entscheidenden Bestandteil unserer Infrastruktur geworden.
Sonnenstürme können Kommunikation zum erliegen bringen
Die Satelliten stellen dafür die Basis: vor allem das Fernsehen und präzise Navigation wären ohne die Helfer in der Erdumlaufbahn nicht möglich. Auch die digitale Kommunikation über das Internet wäre von einem heftigen Sonnensturm betroffen - mit Auswirkungen für Bereiche von der Börse bis zur alltäglichen Bürokommunikation. All dies kommt heute ohne das konstante Senden von Informationen nicht mehr aus.
Fallen Satelliten aus, sind die Folgen für uns Erdbewohner also verheerend. Die Sorge ist groß, ein Sonnensturm könne wichtige Satelliten beschädigen. Passiert ist das bereits 1989, als ein Sonnensturm in der kanadischen Provinz Québec zu einem Stromausfall führte, von dem ganze sechs Millionen Menschen in der Region um Montreal betroffen waren. Der bisher heftigste Sonnensturm seit Beginn der Aufzeichnungen wurde in der Nacht vom 1. auf den 2. September 1859 registriert. Das gerade neu installierte weltweite Telegrafennetz soll dabei stark beschädigt worden sein.
Seit dem Siegeszug des stationären wie mobilen Internets hat sich die Abhängigkeit von Satelliten konsequent verstärkt. Und damit auch der Bedarf an sicheren Analysen darüber, was im All eigentlich passiert. Damit zurück zu Alexi Glover vor den Toren von Madrid.
Noch viel Forschung nötig
"Ich habe mich in meiner Arbeit vor allem auf die Forschung an koronalen Massenauswürfen konzentriert", sagt Glover. Als so einen Gasauswurf bezeichnet die Forschung Sonneneruptionen, bei denen Plasma explosionsartig ausgestoßen wird. Dabei geraten geladene Partikel in das Magnetfeld der Sonne. Die Stellen, an denen das Plasma austritt, werden Sonnenflecken genannt. "Ich wollte mehr darüber wissen, was die Eruptionen verursacht und ob wir vorhersagen können, wann sie auftauchen", sagt die Physikerin.
Bisher haben die Wissenschaftler bereits herausgefunden, dass die Sonne in zyklischen Abständen besonders aktiv ist. Alle elf Jahre werden Sonnenstürme heftiger, und seit geraumer Zeit nimmt die Aktivität der Sonne wieder zu. Besonders für 2013 werden heftige Sonnenstürme vorhergesagt. Vor allem Mitte des Jahres rechnen die Forscher mit einem Maximum an Sonnenaktivität.
Wenn es heftig wird
Eigentlich sind Sonnenwinde ganz normal. Doch manchmal schießen große Gasblasen aus der Sonnenoberfläche hervor und rasen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 2000 Kilometern pro Sekunde durch den interplanetarischen Raum. Bei derart gigantischen Sonnenstürme werden riesige Mengen von Materie freigesetzt. Und diese Materie kann die Magnetosphäre stören.
Die Magnetosphäre der Erde befindet sich etwa 50.000 Kilometer von der Erde entfernt und legt sich wie ein Schutz vor Sonnenstürmen um den Planeten. "Wenn ein Partikelsturm die Grenze der Magnetosphäre erreicht, kann das unter bestimmten Umständen magnetische Reaktionen zur Folge haben und einen sogenannten Geomagnetischen Sturm hervorrufen", sagt Alexi Glover. "Ein konstanter Wind im interplanetaren Raum ist ganz normal, aber heftige Stürmen bergen das Potential zu großen Störungen."
Sonnenstürme rufen aber auch ein gigantisches Naturschauspiel hervor. Spektakuläre Nordlichter zeichnen sich dann als grüne, rote, gelbe und violette Bänder am Nachthimmel ab. Sind die Stürme besonders stark, ist das Naturphänomen nicht nur nördlich des Polarkreises, sondern sogar in Deutschland zu beobachten. Hervorgerufen werden sie durch die an den Feldlinien entlangströmenden geladenen Teilchen und die Verformung der Magnetosphäre während eines Sonnensturms.
Absackende Satelliten
Negativ betroffen ist vor allem der Funkverkehr von diesen hochenergetischen Teilchen der Sonne, die binnen Minuten ihren Weg zur Erde finden. So kann es zum Beispiel passieren, dass sich die Erdatmosphäre stark aufheizt und ausdehnt, wodurch die Satelliten aus ihrer Laufbahnen geraten. Oder von der Sonne losgelöste geladene Strahlenblitze rasen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch das All und erreichen ebenfalls schon nach wenigen Minuten die Erde, was die Telekommunikation weiter stören kann.
Einer der betroffenen Sektoren ist die Luftfahrt. Kostspielig wird es hier, wenn aufgrund der Weltraumwetterlage die Kommunikationsmöglichkeit der Flugzeugpiloten in den Polarregionen abbricht. Nicht selten kommt es vor, dass die Verantwortlichen ob des Risikos zur Sicherheit eine längere Route wählen, was bei etwa 11.000 Passagierflüge pro Jahr entsprechende Kosten verursacht. Ohne das Frühwarnsystem könnten die Piloten von der Kommunikation mit dem Bodenpersonal abgeschnitten oder der Radar gestört werden - mit fatalen Folgen. Ein Frühwarnsystem ist entsprechend wichtig. Und genau hier kommen Alexi Glover und die anderen Wissenschaftler ins Spiel.
Um das Wetter im All möglichst genau vorherzusagen, greifen mehrere Forschungsaspekte ineinander. "Wir müssen ein sehr großes Gebiet beobachten", sagt Alexi Glover. Um dem Herr zu werden, wird mit verschiedenen Teleskopen und Spektrometern, die UV-Aufnahmen der Sonne machen, die Oberfläche des glühenden Balls nach Veränderungen durchforstet. Kurz vor einer Eruption bauen sich unter der feurigen Oberfläche der Sonne sehr starke magnetische Strahlungen auf. "Diese lassen sich anhand von UV-Aufnahmen erkennen", sagt Glover.
Wichtige Frühwarnsysteme
Besonders hilfreich sind die Ergebnisse, die die gemeinsame Esa- und Nasa-Raumsonde Soho (Solar and Heliospheric Observatory) liefert. Die Mission ist bereits seit 1995 im All unterwegs und erforscht mit zahlreichen Experimenten die Sonne. Dafür befindet sie sich in einem sogenannten Halo-Orbit, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. In dieser Position hat die Sonde aufgrund der Gravitationskraft der Erde die gleiche Umlaufzeit um die Sonne wie unser Planet. Außerdem befindet sich Soho von der Erde aus gesehen immer zur Sonne gewandt, so dass weder der Planet noch der Mond den Blick der Messgeräte auf die Sonne stören können.
Neue Mission im Sommer
Noch in diesem Jahr soll eine weitere ESA-Mission mit dem Namen "Swarm" starten. Diese verfolgt einen ganz anderen Ansatz. "Aufgabe der Mission ist es, das Erdmagnetfeld und seine Entwicklung mit einer bisher nicht erreichten Gründlichkeit zu untersuchen", sagt Glover. Dadurch wollen die Wissenschaftler ein besseres Verständnis für die Vorgänge im Erdinneren gewinnen. Dafür werden gleich drei Körper ins All geschickt. Zunächst werden zwei nebeneinander herfliegende Satelliten auf einer Höhe von 450 Kilometern ausgesetzt und anschließend ein weiterer einzelner Satellit auf eine Höhe von 530 km befördert.
Von dieser Konstellation versprechen sich die Wissenschaftler nicht nur präzise und hochauflösende Messungen der Stärke, Ausrichtung und Schwankungen des Erdmagnetfelds, also einen einzigartigen Einblick in die Zusammensetzung und die Prozesse im Inneren der Erde. Zusätzlich ermöglicht die Mission Analysen des Einflusses der Sonne auf das System Erde, worunter auch die Sonnenstürme fallen.
Sorge um Curiosity
"Das Interesse an unseren Vorhersagen über das Weltraumwetter ist innerhalb des letzten Jahrzehnts in diversen Bereichen extrem gestiegen", sagt Glover. Auch die großen Raumfahrtbehörden würden sich immer wieder an das Team in Spanien wenden, um sich das aktuelle Weltraumwetter vorhersagen zu lassen.
Erst vor wenigen Tagen reagierte die Nasa auf eine angesagte Eruption aus dem All und fuhr die Aktivität des berühmten Mars-Rovers "Curiosity" herunter. Die Sorge war groß, dass die elektromagnetischen Teilchen die Bordelektronik des Weltraum-Roboters stören könnten. Zwar war nur ein mittelschwerer Sturm angekündigt worden, doch die Nasa wollte offensichtlich kein Risiko für die 2,5 Milliarden Dollar schwere Mission eingehen. 2003 wurde das "Martian Radiation Experiment" an Bord der Mars-Sonde "Odyssey" durch einen Sonnensturm beschädigt. Bei dem Gerät handelte es sich um ein geladenes Partikelspektrometer, mit dem die Atmosphäre des Mars auf radioaktive Stoffe überprüft wurde. Nach dem Sonnensturm konnte das Gerät nicht mehr verwendet werden.
Im Fall von Curiosity ging es glimpflich über die Bühne. Zwar konnten einige kleinere Sonnenflecken festgestellt werden, doch zu einem heftigen Sturm kam es nicht. Curiosity konnte seine Arbeit wieder aufnehmen.