Stigma HIV-positiv „Die mit der dreckigen Krankheit“

Krank, verteufelt, verurteilt: HIV-Infizierte leben in vielen Teilen der Welt gefährlich. Doch mittlerweile wollen sich viele von ihnen die Ausgrenzung nicht mehr bieten lassen, sie treten die Flucht nach vorne an.

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Demonstranten protestieren am Rande der Welt-Aids-Konferenz in Melbourne gegen die Ausgrenzung von Aids-Kranken. Quelle: dpa

Melbourne Der Philippiner Owie Franco war als Wanderarbeiter in Saudi-Arabien. Er fällt aus allen Wolken, als er bei der obligatorischen Gesundheitsprüfung von seinem HIV-Status erfährt und ohne Zahlung seines ausstehenden Lohns nach Hause abgeschoben wird.

Der Amerikaner Robert Suttle war sechs Monate im Gefängnis und hat in seinen Identitätspapieren „Sexualverbrecher“ stehen. Er hat niemanden missbraucht, aber ein Freund hat ihn nach einer Beziehung angezeigt, weil er seinen HIV-Status verschwiegen hatte. Eine HIV-positive Frau in Namibia verzweifelt nach einer Zwangssterilisierung, weil sie ohne Kinder haben zu können von ihrer Familie und im Dorf gemieden wird.

Auf der Welt-Aids-Konferenz in Melbourne sind Horrorgeschichten über Stigma, Ausgrenzung und Gewalt an der Tagesordnung. Forscher, die das Virus inzwischen mit Medikamenten unter Kontrolle haben, widmen sich immer stärker den gesellschaftlichen Hürden, die den Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids erschweren. Die Botschaft: Ohne Änderung von Gesetzen und Einstellungen wird der Kampf keinen Erfolg haben.

Kriminalisierung und Stigma der Infektion führen dazu, dass Menschen Tests vermeiden oder die Behandlung aufgeben und das Virus damit weitertragen. „Vor der Verabschiedung der Anti-Schwulen-Gesetze im Januar hatten wir jeden Tag 60 Patienten in einer Klinik, jetzt sind es noch 10“, sagt der Sozialarbeiter Ifeanyi Orazulike aus Nigeria.

Zu der gesellschaftlichen Verteufelung kommen unter anderem Einreiseverbote, die in vielen Ländern existieren, Zwangstests oder Zwangssterilisierungen etwa für Sexarbeiter. „In vielen Ländern sind Gesetze, die eigentlich für Gerechtigkeit sorgen sollen, dazu da, Leute als Kriminelle abzustempeln und damit wegzutreiben von Programmen, die ihr Leben retten können“, sagt der pensionierte australische Richter Michael Kirby. „Die Polizei schlägt und misshandelt oft die, die eigentlich Schutz brauchen. Damit wird HIV in die dunkelsten Ecken der Gesellschaft verbannt, und viele Leute trauen sich von dort nicht in die Öffentlichkeit.“

Die, die in Melbourne das Mikrofon ergreifen, haben die Flucht nach vorne angetreten. Wie die kanadische Indianerin Doris Peltier. Als sie aidskrank in ihr indianisches Heimatdorf zurückkehrt, hört sie Geflüster im Supermarkt: „Das ist die mit der dreckigen Krankheit.“ Sie bekommt keine Wohnung, das Krankenhaus verweigert ihr ein Bett. Die 57-Jährige kämpft jetzt mit einer Organisation für die Rechte indigener Menschen mit HIV.

Nach der Gefängnisstrafe wegen Verschweigens des HIV-Status schreit Robert Suttle seine Geschichte nun in alle Welt hinaus und kämpft mit Anwälten für eine Änderung der Gesetze. Denn er habe für Schutzmaßnahmen gesorgt und seinen damaligen Freund nicht angesteckt, so sein Argument. Auch Owie Franco fordert seine Menschenrechte inzwischen auch lautstark ein. Zehntausende in der Welt trauen sich das noch nicht.

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