WirtschaftsWoche Online: Mister Eyal, haben Sie heute schon Facebook genutzt?
Nir Eyal: Ja, spätestens beim Frühstück bringe ich mich immer auf den neuesten Stand. Ich versuche, dort täglich etwas auf meiner Pinnwand zu teilen und diskutiere mit.
Da sind Sie nicht allein, was kürzlich ein perfides Experiment bewies.
Ja, Facebook ließ seine App angeblich absichtlich abstürzen. Das Netzwerk wollte testen, wie die Nutzer reagieren ...
... sie öffneten die App trotzdem weiter.
Genau. Obwohl sie erkannten, dass irgendetwas nicht stimmte. Selbst willkürliche, wiederkehrende Fehler konnten die Nutzer nicht abhalten.
So sieht die gewöhnliche Facebook-Nutzung aus
Bei 94 Prozent der Nutzer gehört der Besuch bei Facebook genauso zur Alltagsroutine, wie Zähne putzen.
Quelle: The Facebook Experiment: Does Social Media Affect the Quality of our Lives?
86 Prozent lesen ihren Facebook-Newsfeed oft oder sehr oft.
Mehr als drei Viertel der Nutzer verbringen 30 oder mehr Minuten pro Tag auf Facebook.
Bilder sagen mehr als Worte: Mehr als zwei Drittel posten Fotos von großartigen Dingen, die sie erlebt haben.
Mein Haus, mein Auto, mein Boot: 61 Prozent posten auf Facebook, was ihnen Gutes wiederfahren ist.
Überrascht Sie das?
Nein, im Gegenteil. Das ist eine deutliche Bestätigung dafür, wie stark Facebook die Gewohnheiten seiner Nutzer prägt – und das sind weltweit inzwischen immerhin 1,5 Milliarden Menschen. Offenbar sind sie dem Angebot gegenüber unglaublich loyal.
Man könnte auch sagen: Sie sind süchtig. Oder wie es in Ihrem Buch „Hooked“ heißt: „Die Technologien, die wir verwenden, sind zum Zwang geworden. Wir hängen am Haken.“ Was lässt uns anbeißen?
Dieser Prozess läuft in vier Phasen ab: Auslöser, Handlung, Belohnung, Investition. Zunächst müssen wir einen Antrieb haben, das Produkt zu nutzen. Das geht über äußere Auslöser wie etwa eine Schaltfläche, die uns sagt: „Hier klicken“, „Twittern“ oder „Jetzt kaufen“. So gewinnt das Produkt die Aufmerksamkeit der Nutzer. Es kommt dann bestenfalls zur Nutzung, und man erhält eine Gegenleistung ...
... die Belohnung für mein Handeln.
Ja, aber sie muss variabel sein. In den Fünfzigerjahren erforschte der Psychologe B. F. Skinner, wie sich Belohnungen auf das Verhalten auswirken. Er fand heraus, dass der Körper eine größere Menge des Botenstoffs Dopamin ausschüttet, wenn die Belohnung unterschiedlich ausfällt, je nach Ergebnis.
Und was hat das mit Produkten zu tun?
Um unsere Aufmerksamkeit konstant zu bekommen, müssen sie Neuigkeiten bieten oder uns überraschen. Das treibt unsere fieberhafte Suche nach Belohnungen an. Die Investition besteht darin, dass der Nutzer irgendetwas zurückgibt. Seine Zeit, Daten, Mühe oder Geld. Je häufiger wir diesen Prozess durchlaufen, desto enger wird die Bindung an das Produkt oder die Dienstleistung. So entstehen Gewohnheiten.
In Ihrem Buch gehen Sie besonders auf Auslöser wie Einsamkeit oder das Bedürfnis nach Interaktion ein. Warum?
Weil diese emotionalen Haken besonders effektiv sind – und wir uns nach Linderung sehnen.