Dieser Tage tragen wir wieder T-Shirt und Pullover im fliegenden Wechsel. Das unbeständige Wetter schlägt vielen Menschen nicht nur auf die Stimmung, sondern macht sich auch gesundheitlich bemerkbar. Sie fühlen sich abgeschlagen, bekommen Kopfweh oder sind leicht reizbar. Alles nur Einbildung? Mitnichten. Jeder zweite Deutsche leidet, wenn das Wetter Kapriolen schlägt, wie eine Studie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in Zusammenarbeit mit dem Institut für Demoskopie Allensbach zeigt. Aber warum?
Wichtiger Unterschied
Hier muss man grundsätzlich zwischen "wetterfühligen" und "wetterempfindlichen" Personen unterscheiden. Erstere sind gesund und reagieren auf Wetterumschwünge vor allem emotional. Die Auswirkungen von Schmuddelwetter oder einem kräftigen Hoch in Frühling auf die Laune kennt jeder. Auch Schlafstörungen gehen häufig mit einem Wetterumschwung einher. Dadurch sind die Menschen müde, leicht reizbar und haben Konzentrationsschwierigkeiten, erläutert Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Menschen mit chronischen Grunderkrankungen wie Asthma, Rheuma oder Arthrose werden hingegen als wetterempfindlich bezeichnet; ihre Symptome wie Gelenkschmerzen oder Atemprobleme werden durch das Wetter verschlimmert, besonders bei herannahenden Tiefdruckgebieten mit niedrigeren Temperaturen.
Die Probleme durch Wetterfühligkeit sind auch durchaus ein wirtschaftlicher Faktor: 32 Prozent der Wetterfühligen gaben in der Münchner Untersuchung an, dass es ihnen im vergangenen Jahr schon einmal so schlecht ging, dass sie nicht zur Arbeit gehen konnten. Jeder Fünfte sagte, dass dies schon mehrfach vorgekommen sei. Im Durchschnitt berichteten die Befragten von 10 Tagen, die sie durch das Wetter bedingt nicht arbeitsfähig waren.
Genau quantifizierbar sind die wirtschaftlichen Auswirkungen von Wetterfühligkeit aber nicht, da es sich nicht um eine eigenständige Krankheit handelt. Die Symptome wie Migräne können zwar zu vorübergehender Arbeitsunfähigkeit führen, doch "niemand wird wegen Wetterfühligkeit eine Kur verordnet bekommen oder krankgeschrieben", sagt Ursula Marschall, Leitende Medizinerin bei der Krankenkasse Barmer GEK.
Zwei komplexe Systeme
Studien belegen, dass mit extremen Wetterlagen eine signifikante Zunahme von Beschwerden wie Kopfschmerzen, Migräne, Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen, Gereiztheit, Schwindelgefühl und Konzentrationsstörungen einhergeht. Körperlich messbar ist etwa eine Veränderung des Blutdrucks. Dies ist aber nicht krankhaft, sondern eine Anpassungsreaktion die automatisch in unserem Körper stattfindet - und das ist lebenswichtig.
Damit alle unsere Organe optimal funktionieren, muss die Körperkerntemperatur möglichst konstant bei 37 Grad Celsius gehalten werden. Abweichungen nach oben oder unten haben unmittelbare Auswirkungen auf Wohlbefinden und Gesundheit. Sie können mitunter lebensbedrohlich werden, man denke etwa an hohes Fieber, Hitzschlag oder Erfrierungen.
Ob die Anpassungen des Körpers unbewusst stattfinden oder zu Wetterfühligkeit führen, hängt sowohl von der Stärke des Wettereinflusses als auch vom Gesundheits- und Trainingszustand des Betroffenen ab. Einen einzigen, bestimmenden Wetterfaktor gibt es dabei nicht. Es handelt sich vielmehr um ein komplexes Zusammenspiel mit dem ebenfalls komplizierten System unseres Körpers.
"Je intensiver der Wetterwechsel, umso gravierender die Symptome"
Am besten erforscht sind die thermischen Bedingungen. Ändern sich die Temperaturen, greift der Körper ein. Bei zu geringer Körpertemperatur kann eine Erhöhung der Muskelaktivität, etwa durch Kältezittern, für Wärmeproduktion sorgen. Durch eine Verengung der Blutgefäße wird die Durchblutung von Händen und Füßen eingeschränkt, um so die Betriebstemperatur für die lebenswichtigen Organe im Körperinnern sichern. Bei Hitze hingegen werden die Gefäße weitgestellt und die Verdunstung von Schweiß über Haut und Schleimhäute angeregt, um Kühlung zu erlangen.
Plötzlicher Stress
Das erklärt, warum plötzliche und drastische Wetteränderungen unseren Körper besonders stressen. Denn sie verlangen eine schnelle Anpassung unseres Körpers. Das ist Schwerstarbeit. Bei großer Hitze arbeitet das Kreislaufsystem auf Hochtouren, um den Körper herunterzukühlen. Fällt die Temperatur dann plötzlich wieder stark ab, kann das belastend sein. "Je intensiver der Wetterwechsel, umso gravierender treten auch die Symptome auf", erläutert Ingo Froböse. "So mancher Organismus ist dann überfordert". Die Folge: der Kreislauf spielt verrückt, uns wird schwindelig.
Auch die Auswirkungen von Luftdruckschwankungen wurden untersucht, wie sie etwa bei einer stürmischen Wetterlage verstärkt auftreten. In verschiedenen Studien zeigte sich, dass sie einen Einfluss auf die Herzfrequenz, den Blutdruck, die Konzentrationsfähigkeit und das Kurzzeitgedächtnis haben. Dies kann zu Beschwerden wie Kopfschmerzen, allgemeinem Unwohlsein bis hin zum Herzinfarkt führen.
"Ein Herzinfarkt wird mit Sicherheit niemals nur durch Luftdruckveränderungen ausgelöst", betont Ursula Marschall. Ein junger gesunder Mensch ohne Vorerkrankungen muss veränderten Luftdruck nicht fürchten. Aber bei einem Patienten mit Risikofaktoren wie entsprechender Vorschädigung des Herzens, verkalkten Adern und Stress kann der veränderte Sauerstoffdruck durchaus ein letztes Mosaikteilchen für die Auslösung eines Herzinfarkts sein, sagt Marschall.
Wir sind verweichlicht
Wie empfindlich wir auf das Wetter reagieren, hängt maßgeblich vom Gesundheitszustand und der Anpassungsfähigkeit des Organismus ab. Gegen Wetterfühligkeit ist man nicht machtlos. Im Gegenteil. Nach Meinung von Ärzten ist sie ein hausgemachtes Problem. Heiz- und Klimaanlagen in Wohnungen, Büros und Autos verweichlichen uns regelrecht. Am schlimmsten seien da die Amerikaner, erzählt Ingo Froböse, die machten schon die Heizung im Auto an, bevor sie das Haus verlassen. "Man muss die Wetterreize auch mal spüren und sich nicht nur aus dem Fenster ansehen."
Die "Annehmlichkeiten der Zivilisation" nehmen unserem Körper die Übungsmöglichkeiten für die Reaktion auf Wärme und Kälte, bei der die Blutgefäße weit und eng gestellt werden müssen, erklärt auch Ursula Marschall. "Der Körper muss mit ganz anderen Bedingungen klarkommen als früher, als das Leben noch überwiegend draußen stattfand." Sie rät daher, Klimatisierung auch mal zu meiden und sich durch Bewegung an der frischen Luft einem "Gefäßtraining" zu unterziehen.
Was Sie gegen Wetterfühligkeit tun können? Hier die wichtigsten Tipps:
Tipps gegen Wetterfühligkeit
Als ganzjährige Präventionsmaßnahme gegen Kreislaufprobleme bieten sich Wechselduschen, Kneippanwendungen und Saunagänge an. Das trainiert Kreislauf und Gefäße. "Saunieren ist ein höchst intensiver Reiz", erklärt Froböse. Empfindliche Personen oder Menschen mit Vorerkrankungen des Atmungs- oder Herz-Kreislauf-Systems sollten Saunabesuche daher zuvor mit ihrem Arzt besprechen. Nach dem Duschen heißt es Zähne zusammen beißen, die Brause auf kalt stellen und die Beine abduschen. Das erfrischt nicht nur und macht morgens wach, es hilft dem Körper auch, das Öffnen und Schließen der Blutgefäße zu trainieren.
Regelmäßige Aufenthalte im Freien sind empfehlenswert, denn frische Luft kurbelt die Sauerstoffversorgung an. Das entwöhnt den Körper außerdem von Klima- und Heizungsanlagen und hilft ihm, sich wieder an Temperaturveränderungen zu gewöhnen.
Eine stressige Situation lässt sich besser wegstecken, wenn man entspannt und ausgeglichen ist. Auch Wetterwechsel sind Stress, daher können Entspannungsübungen und Yoga gegen Wetterfühligkeit helfen. Ausreichend Schlaf ist wichtig für die körperliche und psychische Erholung und damit für das Wohlbefinden. Wir fühlen uns besser, wenn wir mehrere Stunden in Ruhe verbracht haben. Durchwachte Nächte sind ein Stressfaktor, und das reduziert auch die körperliche Belastbarkeit.
Besonders bei hohen Temperaturen ist es wichtig, ausreichend zu trinken. Dabei sollte man vor allem zu Wasser greifen. Wer draußen Schwerstarbeit leistet wie Bauarbeiter oder Hochleistungssportler, sollte auf natriumarmes Wasser achten, um den Salzhaushalt des Körpers nicht aus der Balance zu bringen. Das gilt aber nicht für den normalen Büromenschen, der "draußen 20 Minuten spazieren geht", so Marschall. Wer kein Durstgefühl empfindet (vor allem Kinder und ältere Menschen), kann sich an der Farbe des Urins orientieren - ist er dunkelgelb, muss mehr getrunken werden.
Wer nicht gerne trinkt, sollte auf die Auswahl flüssigkeitshaltiger Lebensmittel achten. Marschall empfiehlt hier etwa Wassermelone, Suppe, Salat oder Joghurt. "Regionales und saisonales Obst enthält viel Vitamin C, da tut man auch dem Immunsystem etwas Gutes". Fettes und schweres Essen belastet den Körper nur zusätzlich.
Bewegung und Sport fordern den Körper heraus. Schon tägliches Spazierengehen hilft, um den Körper auf die natürlichen Temperaturschwankungen einzustellen. Dabei heißt die Devise: Raus aus dem Fitnessstudio, auch im Winter. Wichtig: Nach den individuellen Möglichkeiten und Kräften agieren. "Es ist all das gut, wobei man sich auch gut fühlt", sagt Marschall. Wer sich beim Spazierengehen unterfordert fühlt, kann auch Joggen - dabei sollte man auf seinen Körper hören und nicht als Untrainierter sofort in der größten Mittagshitze losziehen. Es gilt, die eigenen Grenzen kennenzulernen und sich in ihnen zu bewegen.
Bisher liegen keine wissenschaftlichen Daten vor, dass einzelne homöopathische Präparate die Wetterfühligkeit herabsetzen. Marschall sagt dazu: "Es ist ganz wichtig, dass man das Thema Wetterfühligkeit immer nur als ein Mosaiksteinchen in einem großen Bild von vielen Faktoren sieht". Man könne daher nicht erwarten, dass ein Präparat gleich alle Facetten beeinflusst. "Die Homöopathie kann bei einigen Patienten hilfreich und unterstützend sein", ergänzt Marschall. Nicht unterschätzen sollte man psychologische Effekte. Durch das Gefühl, selber etwas dazu beizutragen, dass es einem besser geht - etwa durch Ernährung, Schlaf oder Sport - könne es sein, dass zusätzliche Mittel gar nicht mehr nötig sind.