Themenwoche Landwirtschaft Marktreife Mutanten

Befürworter und Gegner der Grünen Gentechnik liefern sich seit Jahrzehnten erbitterte Grabenkämpfe. Wissenschaftler und Unternehmen sind dagegen längst einen Schritt weiter: Sie entwickeln Alternativen. 

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Gentechnisch verändertes Gemüse: Weil Verbraucher solche Lebensmittel ablehnen, versuchen Forscher auf anderen Wegen, Mutationen zu erzeugen. Quelle: dpa

Berlin Für oder gegen gentechnisch veränderte Pflanzen? Für Züchtungsunternehmen, die die zukünftigen Pflanzensorten entwickeln, stellt sich diese Frage nicht. Denn selbst wenn sie keine Bedenken gegen gentechnisch veränderte Pflanzen (GVO = Gentechnisch veränderte Organismen) haben, müssen sie den Markt bedenken, auf dem sich neue Sorten behaupten müssen. Und europäische Verbraucher lehnen GVO nun mal ab, eine Marktrealität, an der kein Unternehmen vorbeientwickeln kann.

Die niedersächsische Bioplant setzt deshalb auf moderne, aber gentechnikfreie Zuchtmethode für ihre ganz speziellen Kartoffelknollen. Die sogenannte HAP-Kartoffel (für „High-Amylopektin“) enthält fast nur noch eine Stärke, eben das Amyolpektin. Die in normalen Knollen reichlich vorhandene Amylose-Stärke fehlt dagegen fast vollständig. Gut für die Stärke-Industrie, die bislang die unerwünschten Amylose in kostspieligen, weil energie- und wasserzehrende Arbeitsschritten entfernen muss.

Vergleichbares konnte vorher nur eine Kartoffelsorte leisten – die per Gentechnik entstandene Amflora von BASF. Die hatte nach 15 Jahre Streit zunächst zwar eine Zulassung zum EU-weiten Anbau bekommen, war im vergangenen Dezember jedoch aufgrund eines Verfahrensfehlers wieder gestoppt worden. Vergleichbare Querelen sind mit der gentechnikfreien HAP-Kartoffel nicht zu erwarten.

Doch der Verzicht auf Gentechnik hat auch seine Schattenseiten: Klassische Zuchttechniken sind von zufälligen Mutationen der Kulturpflanze abhängig und können sehr lange dauern. Und Knollen, die zufällig nur Amylopektin enthielten, hatten Kartoffelzüchter bislang noch nie entdeckt. Womit sollte Eckhard Tacke, Forschungsleiter von Bioplant, also eine Zucht starten?

Der Wissenschaftler rief seine ehemaligen Forscherkollegen Dirk Prüfer und Jost Muth zu Hilfe, mit denen er am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung gearbeitet hatte. „Wir fragten uns damals, ob es möglich ist, so eine Kartoffel per chemischer Mutagenese nachzubauen“, erzählt Prüfer vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME. Als Mutagenese bezeichnen Forscher die gezielte Erzeugung von Mutationen im Erbgut von Lebewesen.

Die Mutationen auslösende Chemikalie EMS (Ethylmethansulfonat) sollte ein Gen namens gbssI stilllegen, ohne das in der Kartoffelknolle keine Amylose entsteht. So der Plan. „Aber wir konnten uns kaum vorstellen, dass wir die Funktion des gbssI-Gens tatsächlich ausschalten könnten“, räumt Prüfer ein. Denn mit der EMS-Chemikalie lässt sich nicht auf ein bestimmtes Gen zielen. Es ist eher, als würde man mit verbundenen Augen 30.000 Gummibärchen in die Luft werfen und darauf hoffen, mit einem Schuss aus der Schrotflinte den einzigen roten Gummibär zu treffen.

Natürlich steigt die Wahrscheinlichkeit, je mehr Schrot, also chemisches Mutagen, man einsetzt. Doch dann werden zu viele Gene im Erbgut getroffen und die Pflanzen leiden oder entwickeln sich überhaupt nicht mehr, sagt Muth. Also blieb den Forschern nichts anderes übrig, als möglichst vielen Kartoffelsamen mit wohldosierten EMS-Dosen zu beschießen – denn statistisch mussten sie das gbssI-Gen ja irgendwann treffen.


Champagner nach 2748 Mutanten

Rund 15.000 Kartoffelsamen legten Muth und Prüfer in die EMS-Lösung und päppelten sie zu über 10.000 Pflanzen heran. Die Gewächshäuser des Fraunhofer-Instituts füllten sich mit Kartoffelpflanzen. Von jeder einzelnen stanzten die Forscher ein Stück Blatt heraus, extrahierten die DNA und sequenzierten das gbssI-Gen. Noch einige Jahre vorher wäre eine so aufwendige Suche zu einem praktikablen Preis gar nicht möglich gewesen. Erst die schnellen Roboter, die für die Human-Genom-Entschlüsselung entwickelt worden waren, gaben Muth und Prüfer die technischen Möglichkeiten für ihr Experiment.

Zwei Jahre lang sequenzierten die Forscher immer und immer wieder das gbssI-Gen tausender mutierter Kartoffelpflänzchen – eine echte Sisyphus-Arbeit. Bei Sequenz Nummer 1100 hatten sie schließlich Glück: Der Computer spuckte die erste mutierte gbssI-Sequenz aus, die ein Stilllegen des Gens versprach. Am Ende hatten sie unter 2748 Pflanzen 20 mit Mutationen im gbssI-Gen gefunden. Aber erst nachdem Muth, Prüfer und Tackes Bioplant-Züchter diese 20 mutierten Pflanzen in jahrelanger Kleinarbeit zu reinerbigen Kartoffelsorten herangezüchtet hatten, war der „Champagner-Moment“ da – sie hatten ohne gentechnische Veränderung eine Kartoffelsorte geschaffen, deren Knollen nun ausschließlich Amylopektin-Stärke enthalten.

Auch andere Pflanzen können Prüfer und Muth mit dieser Tilling (Targeting Induced Local Lesions in Genomes) genannten Technik gentechnikfrei züchten. Beispielsweise wollen sie Löwenzahn als Kautschuklieferanten in Deutschland etablieren. Die steigende Nachfrage nach Gummiprodukten aus Indien und China treibt den Preis für Kautschuk – ein Rohstoff, der bislang nur aus dem Gummibaum gewonnen werden kann.

Um Kautschuk „Made in Germany“ möglich zu machen, nutzen die Forscher im Labor zunächst durchaus gentechnische Methoden: „Wir haben am Russischen Löwenzahn eine gentechnische Veränderung gemacht, wodurch sich der Kautschuk besser aus der Pflanze extrahieren lässt“, sagt Prüfer. Doch das sei nur ein Test im Labor gewesen. „Jetzt wissen wir dank Gentechnik, dass die Veränderung des Gens den gewünschten Effekt hat. Und können jetzt versuchen, die gleiche Eigenschaft mit Tilling herbeizuführen.“

Seit Oktober letzten Jahres baut der Reifenhersteller Continental gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut in Münster eine Pilotanlage. Dort sollen die neuen Löwenzahnsorten angebaut werden, um genug Kautschuk für die nötigen Tests zu gewinnen. Am Ende könnte aus einem Unkraut eine neue lukrative, gentechnikfreie und damit auch EU-marktfähige Nutzpflanze werden.


Segen der Gentech-Gegner

Wichtig für die Vermarktung: Auch Gentechnik-Gegner haben ihre Zustimmung zu Tilling-Pflanzen signalisiert. Tilling sei eine „akzeptable Züchtungsmethode“, weil sie innerhalb der „normalen Bandbreite“ der Eigenschaften einer Pflanze bleibe, sagt etwa Christoph Then vom gentechnikkritischen Verein Testbiotech.

Jost Muth freut diese Akzeptanz, doch als „Konkurrenzprodukt zur Gentechnik“ sei Tilling nicht konzipiert worden. Und Kollegen Prüfer ergänzt: „Es gibt Merkmale, die man nicht ohne Gentechnik herbeizüchten kann.“ Tilling kann nur Gene verändern, die es in der Pflanze bereits gibt. Ein neues Gen, das zum Beispiel eine Kälte- oder gar Pestizidresistenz vermittelt, kann nur über Gentechnik in das Erbgut eingeführt werden.

„Aber wenn man eine Pflanzeneigenschaft anstatt per Gentechnik auch per Tilling züchten kann, dann sollte man das machen“, so Prüfer. Allerdings braucht Tilling Zeit. Insgesamt 6 Jahre bastelten Muth, Prüfer und Tacke, um am Ende eine Hochleistungskartoffelsorte mit der gewünschten Mutation in Händen halten zu können.

Inzwischen vermehrt Europlant, eine Schwesterfirma der Bioplant innerhalb der Böhm-Nordkartoffel-Gruppe, diese Amylopektin-Kartoffel auf Feldern deutscher Vertragslandwirte. Das dauert, da die Vermehrungsrate (zehn Knollen pro Pflanze) anders als bei Getreide beschränkt ist.

Dafür benötigt die neue Knolle, anders als eine gentechnisch veränderte Sorten, aber keine spezielle Zulassung über die EFSA (European Food and Safety Authority). Denn beim Tilling handelt es sich nicht um eine gentechnische Veränderung, sondern bestenfalls um einen Evolutions-Turbo. „Wir erzeugen chemisch eine Mutation, wie sie in der Natur auch vorkommen könnte“, sagt Prüfer. „Wir beschleunig den natürlichen Vorgang nur ein wenig.“

In unserer Themenwoche Landwirtschaft bereits erschienen:
Beerenhunger. Wie Landwirte den Hunger auf die Trendzutat Holunder stillen.

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