Transplantationen Wettlauf zum künstlichen Herzen

Deutsche und Franzosen entwickeln mit Hochdruck das erste voll implantierbare Kunstherz. Wer wird es als Erster erfolgreich vermarkten?

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Kunstherz

Es ist eine beeindruckende Zahl: Mehr als 30.000 Herzen hat Reiner Körfer operiert. Er gilt als Koryphäe, als einer der erfahrensten Herzchirurgen Deutschlands. Zu seinen Patienten zählten Prominente wie Udo Lindenberg und der ehemalige indonesische Staatschef Suharto. Die Herzklinik im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen, deren Ärztlicher Direktor er 25 Jahre lang war, hat er zu einem der führenden Zentren in Europa gemacht. Auch nach seiner Pensionierung kann der 72-Jährige mit dem verschmitzten Grinsen das Operieren nicht lassen und behandelt weiter an einem Klinikum in Duisburg.

Körfer hat vielen Menschen das Leben gerettet. Ohne Herz-OP wären sie verloren gewesen.

Doch da waren die anderen. Die zu schwach für eine OP waren. Die dringend ein Spenderorgan benötigten. „Sie schauten mich erwartungsvoll an“, erinnert sich Körfer, „und ich wusste, es gibt kein Herz für sie.“ Diese Menschen starben.

Reiner Körfer, 72, machte im Laufe von 25 Jahren Bad Oeynhausen zum führenden Herzzentrum Europas. Heute operiert er in Duisburg und entwickelt mit der von ihm gegründeten ReinHeart GmbH ein Kunstherz. Quelle: dpa

Körfer wollte sich damit nicht abfinden. Und begann einen Ersatz für das kranke Organ zu entwickeln – ein Kunstherz. 1995 tat er sich dazu mit Ingenieuren des Helmholtz-Instituts für Biomedizinische Technik der RWTH Aachen zusammen. Ist das System erst klein und zuverlässig genug, wären die Patienten nicht mehr auf ein Spenderherz angewiesen. Mittlerweile hat Körfer große Fortschritte erzielt. Die Maschine aus Kunststoff und Metall ist nur noch so groß wie zwei Fäuste. Zweimal im Monat operiert sein Team Kälber, in denen das Kunstherz zuverlässig arbeitet. Kommendes Jahr will es das Herz dem ersten Patienten einsetzen.

Aber Körfer hat einen Rivalen. In Frankreich. Der ihm einen Schritt voraus ist. Dieser Konkurrent ist Alain Carpentier. Dessen Team hat bereits am 18. Dezember im Pariser Krankenhaus Georges-Pompidou dem ersten Menschen weltweit ein voll implantierbares Herz eingepflanzt, einem schwerstkranken 75-Jährigen. Ihm ging es anfangs auch sehr gut, teilte die französische Firma Carmat mit, der von Carpentier gegründete Hersteller des Kunstherzens. Allerdings starb der Mann 74 Tage nach dem Eingriff – trotz des Kunstherzes aus Carpentiers Unternehmen.

Carpentier selbst ist ebenfalls ein bekannter Herzchirurg.1968 macht er sich einen Namen als Pionier bei der Entwicklung und Implantation künstlicher Herzklappen aus Schweineknorpel. Der Franzose verkauft seine Erfindung in die USA – und hat damit finanziell ausgesorgt. Seit 1988 tüftelt der heute 80-jährige, weißhaarige Herr mit den buschigen Augenbrauen ebenfalls an einem voll implantierbaren Kunstherz.

Trotzdem ist der Wettlauf zum Herz zwischen Deutschen und Franzosen noch nicht entschieden. Carpentiers System müsse noch mindestens zwei Testphasen mit weiteren Patienten bestehen, bevor es die Zulassung der europäischen Behörden erhalte, informierte Carmat Anfang Februar. Die Börse interpretierte das als schlechte Nachricht und schickte den Aktienkurs der Firma auf Talfahrt. Körfers Kunstherz auf der anderen Seite hat technische Vorteile: Es ist kleiner und wesentlich günstiger als das der Franzosen.

Tödlicher Engpass. Die Zahl der Organspender in Deutschland sinkt dramatisch

Beide Systeme werden sich aber erst noch im Dauereinsatz im Menschen bewähren müssen. Was eine Herausforderung ist. Denn das menschliche Herz leistet Enormes: Beim Erwachsenen schlägt es 70-mal pro Minute, rund 37 Millionen Mal im Jahr. Dabei pumpt es fünf Liter Blut pro Minute durch unseren Körper.

Und ein Vorbehalt wird wohl bleiben – das Herz ist das vielleicht mystischste Organ in unserem Körper, Symbol für Liebe und Leben. Sich vorzustellen, es durch eine kalte Maschine zu ersetzen, wird vielen nicht leichtfallen. Das Herz eines Fremden in sich zu tragen, empfinden manche Patienten aber auch als problematisch. Dagegen ist ein Kunstherz eine vergleichsweise unbelastete Sache.

Der Bedarf für ein Kunstherz ist jedenfalls immens. Vergangenes Jahr transplantierten Ärzte in Deutschland nur noch 313 Herzen. Gut dreimal so viele wären erforderlich gewesen. Seit den Skandalen um die Vergabe von Spenderorganen, sinkt die Bereitschaft, seinen Körper nach dem Tod der Medizin zur Verfügung zu stellen. Weltweit ist die Lage ähnlich dramatisch. Nach Schätzungen von Carmat könnten pro Jahr rund 100.000 Menschen Empfänger eines Kunstherzens sein – Tendenz steigend. Die tödliche Konsequenz des Mangels an Spenderorganen: Viele Patienten sterben auf der Warteliste.

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