Tumorbiologe „Bei einer Million Tests immer noch 10.000 falsche Befunde“

Wird ein Krebstest bald einfach per Blutentnahme möglich sein? Quelle: imago images

Klaus Pantel gilt als einer der führenden deutschen Tumorbiologen. Im Interview spricht er über die Chancen eines Krebs-Bluttests und warum Deutschlands Forscher auf dem Gebiet gut sind, aber andere das Geld verdienen.

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Klaus Pantel ist Gründer und Direktor des Instituts für Tumorbiologie des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf.

WirtschaftsWoche: Herr Pantel, Mediziner träumen von der „flüssigen Biopsie“, um Krebs frühzeitig zu diagnostizieren. Wie nah ist die Forschung daran, diesen Traum zu erfüllen?
Klaus Pantel: Nun, wir haben in den letzten Jahren erhebliche technische Fortschritte gemacht. Wir können heutzutage Tumorzellen oder Tumorzellprodukte im Blut auch in winzig kleiner Anzahl und Menge erkennen. Dadurch können wir schon kleine Tumore im Menschen finden, die man mit den üblichen bildgebenden Verfahren des Radiologen erst sehr viel später erkennt.

Welche Methoden muss man bei der flüssigen Biopsie unterscheiden?
Es lassen sich die sogenannten zirkulierenden Tumorzellen selbst im Blut nachweisen. Damit haben wir uns in Hamburg sehr intensiv beschäftigt. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, die Erbsubstanz, die von den Tumorzellen abgegeben wird, im Blut als freie zirkulierende DNA aufzuspüren. Und es gibt die Möglichkeit, andere Bestandteile der Tumorzellen wie die RNA oder MicroRNA oder Eiweiße im Blut zu identifizieren.

Ein Problem dieser Nachweise ist aber noch, dass man anhand der gefundenen Moleküle und Zellen zwar den Tumor, aber nicht seinen Ort im Körper bestimmen kann. Wie weit sind die Wissenschaftler dort gekommen?
In der Tat wäre es nach einem positiven Bluttest enorm aufwändig, den ganzen Körper zu untersuchen. Das ist wegen der Kosten auch ein Horrorszenario für die Krankenkassen. Auf einer „Liquid-Biopsy“-Konferenz der American Association for Cancer Research im Januar in den USA habe ich ermutigende Ergebnisse gesehen, zum Beispiel durch die Analyse von Veränderungen der DNA und die Zuordnung von MicroRNA zu bestimmten Tumoren. Vielleicht muss man die Ansätze kombinieren und mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Dann könnte das aus meiner Sicht in den nächsten paar Jahren eventuell Realität werden.

Und wie sieht es mit der Unterscheidung von gutartigen und bösartigen Tumoren aus?
Sehr gute Frage. Wir haben ja sehr viele gutartige Tumoren und Läsionen in unserem Körper, gerade wenn man älter wird, da hat man eine gewisse Akkumulation. Daher sind bei der jetzigen Forschung ganz große Kontrollgruppen wichtig, um herauszufinden, ob ein Bluttest wirklich funktioniert, zumal es auch andere Krankheiten gibt, besonders im Alter, die ein ähnliches Profil im Blut verursachen wie Krebs.

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Der japanische Elektronikkonzern Toshiba hat mit dem japanischen Nationalen Krebsforschungszentrum und der Medizin-Hochschule Tokio einen Bluttest für 13 Krebsarten entwickelt, der zu 99 Prozent genau für Gesunde und Erkrankte sein soll. Wie beurteilen Sie diese Aussage?
Keine Frage, das ist sicherlich schon ein guter Erfolg. Man muss natürlich immer genau hingucken, welche der wissenschaftlichen Parameter mit 99 Prozent gemeint sind. Wir Wissenschaftler benutzen zum Beispiel die sogenannte Spezifität, die sagt, wie viele richtige Befunde ich bekomme, und die sogenannte Sensitivität, also wie empfindlich der Test ist. In den Pressemitteilungen ist aber häufig nur von „Genauigkeit“ die Rede. Ein Prozent Fehlerquote klingt da gut, aber bei einer Million Tests sind das immer noch 10.000 falsche Befunde.

Das ist sicher ein berechtigter Hinweis. Andererseits haben die heutigen Befunde von einem Arzt, der Krebs in einer Computertomographie entdeckt, vermutlich eine mindestens ebenso hohe Fehlerquote, oder?
Natürlich gibt es auch in anderen medizinischen Untersuchungen Ungenauigkeiten. Wir können mit 99 Prozent Genauigkeit leben, wenn es eine Folgeuntersuchung gibt, die dann den möglichen Fehler klärt. Der Patient und Arzt müssen immer wissen, was als nächstes kommt.

Kommen wir zu Deutschland. Wie weit sind unsere Forscher auf diesem Gebiet?
Deutschland steht sehr, sehr gut da, insbesondere im Bereich der zirkulierenden Tumorzellen von Prostata- und Brustkrebs im Blut. Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat ein führendes Studien-Netzwerk mit 40 verschiedenen Kliniken etabliert. Im Ranking der Zeitschrift „Nature“ für die 200 besten Krebszentren ist die Charité in Berlin in Europa die Nummer drei und das UKE die Nummer vier. Und gerade haben wir am UKE das europaweite „Netzwerk für flüssige Biopsie“ gegründet.

Im vergangenen Jahr behauptete das Start-up Heiscreen aus Heidelberg, es hätte einen funktionierenden Bluttest für Brustkrebs entwickelt, aber das stimmte nicht. Welche Folgen hatte dieser Skandal für die Forschung an der flüssigen Biopsie in Deutschland?
In Deutschland gab es dadurch sicherlich einen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der flüssigen Biopsie. Interessanterweise hat dieser Vorfall in Heidelberg jedoch kaum Wellen in Richtung des Auslandes geschlagen, auf keinem internationalen Kongress bin ich von meinen ausländischen Kollegen danach gefragt worden.

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In Deutschland gibt es kaum Privatunternehmen, die an Bluttests arbeiten, obwohl dies ein potenziell gigantischer Markt ist. Woran liegt das?
Ich höre von deutschen und ausländischen Kollegen, dass es in Deutschland sehr, sehr schwer ist, am Anfang Geld für ein sogenanntes Spin-off zu bekommen, also das Startkapital für eine kleine Firma, die einen Test aus der akademischen Forschung weiterentwickeln will. In den USA scheint es viel einfacher zu sein, die Forschung mit der Industrie zu verbinden und Risikokapital für die Umsetzung guter Wissenschaftsergebnisse in Produkte für die Praxis zu erhalten.

Das heißt, in Deutschland ist die akademische Forschung auf diesem Gebiet Spitze, aber das Geld verdienen am Ende andere?
Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen zu Bluttests auf Biomarker von Krebs wird auf 40.000 geschätzt. Wenn man sich überlegt, dass die Universitäten letztendlich von öffentlichen Geldern leben, dann sollte man dieses geistige Eigentum sichern und verwerten. Wir Professoren sollten nicht nur lehren und forschen, sondern auch helfen, dass aus unseren Erkenntnissen und Publikationen Produkte für die Patienten entstehen können.

Das führt uns zu der Frage: Wie lange dauert es nach Ihrer Einschätzung noch, bis es einen ausreichend überzeugenden Bluttest für Krebs gibt?
Wenn ich in die Zukunft sehen könnte, würde ich natürlich ganz andere Dinge mit dieser Fähigkeit machen (lacht). Spaß beiseite. Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir in den nächsten fünf Jahren den einen oder anderen verlässlichen Test bekommen werden. Und wenn diese Prognose nur für eine oder zwei Krebsarten, die häufig sind, zutrifft, dann wäre das auch schon ein Riesenerfolg.

Diese Prognose haben Sie in dieser Form bereits 2016 getroffen. Sind wir einem Bluttest für Krebs also gar nicht nähergekommen?
Damals haben wir noch gedacht, für einen Bluttest würde es reichen, wenn man Mutationen der zirkulierenden DNA mit genügend hoher Sensitivität nachweist. Da sind weltweit viele Millionen Dollar hineingeflossen. Aber dann mussten wir feststellen, dass solche Veränderungen auch bei gesunden Zellen, die im Blut schwimmen, vorkommen. Das war ein Rückschlag. Deswegen schauen wir jetzt zum Beispiel auf kleine biochemische Veränderungen der DNA, die Methylierung, oder auf die MicroRNA im Blut, um festzustellen, ob sie von einer Tumorzelle kommen oder nicht. Manchmal machen wir zwei Schritte vor und dann wieder einen zurück. Trotzdem bleibe ich optimistisch.

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