Unterirdische Atomenergie Mini-Kraftwerke sind die neue Zukunft?

Die Katastrophe von Fukushima hat die Risiken der Kernenergie drastisch vor Augen geführt. Aber an ihrem Nutzen ist nicht zu rütteln. Unterirdische Meiler im Miniformat könnten der Industrie eine neue Zukunft sichern.

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Das Atomkraftwerk Gundremmingen. Die Miniatomkraftwerke sind so groß wie ein paar Sattelanhänger und lassen sich deutlich kostengünstiger bauen als die bisherigen Riesenatomkraftwerke. Quelle: dpa

Paris Sind kleine unterirdische Atomkraftwerke die neue Zukunft der Kernenergie-Industrie? Der designierte Chef der Nuclear Energy Agency NEA in Paris, William Magwood, hält es für möglich, dass solche Minimeiler eine neue Phase für diesen Energiesektor einläuten könnten, der seit der Atomkatastrophe von Fukushima mit doppeltem Misstrauen beäugt wird.

Die aus Modulen bestehenden Anlagen könnten etwa so groß wie ein paar Sattelanhänger sein und sich deutlich kostengünstiger bauen lassen als die bisherigen Riesenatomkraftwerke. Die einzelnen in Fabriken produzierten Teile würden sich leicht per Eisenbahn oder Lastwagen transportieren und damit überall zusammensetzen lassen. Magwood zufolge peilen die USA für die zweite Hälfte 2014 einen ersten Vertrag zum Bau einer dieser winzigen Anlagen an, die nach amerikanischen Vorstellungen eines Tages die Kohlekraftwerke im Land ablösen sollen.

Das Energieministerium hat 450 Millionen Dollar (326 Millionen Euro) in mehrjährige Anstrengungen gesteckt, Unternehmen davon zu überzeugen, dass die Technologie profitabel entwickelt werden könnte. Aber Firmen sind auf Distanz zu dem Projekt gegangen, unter anderem mit dem Hinweis auf die Finanzierung und Regulierungsfragen. Es würden mindestens sechs weitere Jahre vergehen, bis ein Minimeiler gebaut werden könnte.

„Alles, was sich um Atomkraft dreht, dauert eine Weile, und das ist angemessen...“, sagte Magwood in einem Interview kurz vor der Einführung in sein neues Amt. „Wir haben keine (dieser Anlagen) gebaut, daher wissen wir nicht, ob sie finanziell erfolgreich sein werden.“

Microsoft-Gründer Bill Gates gehört zu den begeisterten Unterstützern mikronuklearer Technologien. Nach seiner Überzeugung könnten sie helfen, die Armen der Welt mit bezahlbarer Elektrizität zu versorgen und den Klimawandel zu bekämpfen. Aber einer der besonders vielversprechenden Entwickler beim Projekt des Energieministeriums, das Unternehmen Babcock & Wilcox, hat kürzlich mitgeteilt, dass er seine Ausgaben zurückschrauben will. Zur Begründung wurde angeführt, dass „bedeutende zusätzliche Investoren“ benötigt würden.

Zudem könnten Sicherheitsbedenken drei Jahre nach dem Unglück im japanischen Kernkraftanlage Fukushima auch jene zögern lassen, die nach neuen Energiequellen hungern. In den USA etwa steht die noch unerprobte Technologie im Wettbewerb mit einem Schiefergas-Boom, der den Markt auf den Kopf gestellt hat.

Ein Reaktor in voller Größe kostet zwischen sechs und acht Milliarden Dollar (4,3 und 5,8 Milliarden Euro). Es dauert Jahre, ihn zu bauen und Jahrzehnte, so viel herauszuwirtschaften, dass die Ausgaben wettgemacht sind. Ein solcher Meiler kann genügend Strom für mehr als 700 000 US-Haushalte produzieren, mehr als zehn Mal so viel wie eine der kleinen Anlagen.


Die Technologie ist bereits vorhanden

„Ein kleiner Reaktor...kann für einen Bruchteil der Kosten gebaut werden“, beschreibt Magwood den Vorteil der Mini-Ausgaben. Er spricht in diesem Zusammenhang von Aufwendungen in Höhe mehrerer zehn Millionen Dollar. Die kleinen Anlagen würden möglicherweise auch über einige Sicherheitsvorrichtungen verfügen, die ein Betreiben auch in der Nähe von Bevölkerungszentren „realisierbar“ machen würden.

Gates hat in die Firma TerraPower investiert. Das ist eines der wenigen US-Unternehmen, die bei der Entwicklung der Mini-Reaktorvariante weiter im Spiel sind. Angedacht sind auch Versionen, die theoretisch sogar in einen Schiffcontainer passen und praktisch ihre eigenen Abfälle aufzehren könnten. Derzeit geht es aber anscheinend um ein Modell, das den Brennstoff in separaten Modulen versiegelt, die dann nach dem Verbrauchen entfernt werden.

Im Kern ist die Technologie bereits vorhanden. Die Modul-Reaktoren würden nämlich jenen nachempfunden, mit deren Hilfe die Atom-U-Boote der USA angetrieben werden, ohne das hochangereicherte Uran.

Japans Kernkraftwerke sind seit dem 11. März 2011 stillgelegt, als ein Erdbeben und Tsunami die Anlage in Fukushima beschädigten, was dann zur Schmelze in drei Reaktoren führte. Häuser in einem Umkreis von 20 Kilometern mussten evakuiert werden, 100 000 Einwohner waren davon betroffen. Weltweit wurde neu über die Kernenergie nachgedacht. Deutschland gab dann seinen Ausstieg bis 2022 bekannt. Andere Staaten, so Italien, Malaysia und die Philippinen, ließen Neubaupläne fallen.

Frankreichs 58 Atommeiler decken ungefähr Dreiviertel des Energiebedarfs des Staates ab, das ist so viel wie in keinem anderen Land der Welt. Gegenwärtig gibt es keine Pläne für den Bau von Modul-Versionen, wie Pierre-Frauck Chevet von der französischen Behörde für nukleare Sicherheit sagt. Die auf Kernenergie-Technik spezialisierte Firma Areva und die regierungseigene Gesellschaft EDF haben sich zwar zögernd einem Entwicklungskonsortium angeschlossen, aber Areva spricht von einem „sehr begrenzten Markt“ - vor allem, weil die Entwicklungskosten und Regulierungshürden die Frage der Rentabilität unbeantwortet ließen.

Und das mag eines der Probleme dabei sein, die Theorie zur Wirklichkeit zu machen. Staaten, die am besten in der Lage wären, Geld in die neue Technologie zu investieren, haben weniger Anreize, das auch zu tun. Sowohl Frankreich als auch die USA werden wahrscheinlich die Lebensspanne ihrer alternden Kernkraftwerke ausdehnen, auf 60 oder gar 80 Jahre.

„Die Tatsache, dass sie alt sind, heißt nicht zwangsläufig, dass sie nicht sicher sind“, sagt Magwood. Es sei wie bei einem Auto, so der designierte Leiter der NEA, einer Einrichtung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung(OECD). „Du kannst viele der Teile in einem Fahrzeug austauschen, um es so lange am Laufen zu halten, wie du willst.“

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