"Wenn die Betroffenen zu uns kommen, dann haben sie die klassische Schulmedizin schon durch", sagt Kusatz. Geschichten wie Julia Winter sie schildert, kennt er zu genüge. Er selbst setzt auf einen psychotherapeutischen Ansatz und praktiziert vor allem Musik- kombiniert mit Verhaltens- und Entspannungstherapie. Für Michael Bergmann, Geschäftsführer der Deutschen Tinnitus Liga, ist der Fall das der einzig richtige Weg. Er sagt: "Es gibt keine Pille gegen den Tinnitus." Ohne einen psychotherapeutischen Ansatz geht es in bestimmten Fällen also nicht. Das hat inzwischen auch die Schulmedizin erkannt und Umschulungen für Hals-Nasen-Ohrenärzte im Angebot. Martin Kusatz bietet entsprechende Kurse an.
Genau das war ein Prozess des Umdenkens: Lange ging die Medizin davon aus, dass der Tinnitus im Innenohr entsteht. Eine gesteigerte Aktivität der dort sitzenden Haarzellen werde über den Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet, wo sie zu einer Tonwahrnehmung führe. Daher trennten Chirurgen in einigen schweren Fällen sogar den Hörnerv. Die Patienten waren danach auf der betreffenden Seite taub - doch der Tinnitus blieb.
Nicht immer ist der Ton wie bei Julia Winter ein Piepen. Einige Patienten hören auch ein Zischen, Rauschen, Knacken oder Klopfen. "Das sind körpereigene Geräusche", erklärt Martin Kusatz. "Die hat jeder Mensch, nur hört sie nicht jeder." Tinnitus-Patienten haben sich ganz einfach auf diese Geräusche konzentriert, beziehungsweise konditioniert. Sie hören genau hin und nehmen daher einen inneren Ton wahr, der für andere verborgen bleibt. Daher ist ein Tinnitus auch keine Krankheit, sondern ein Symptom.
Bei einigen mögen die Methoden der Allgemeinmedizin anschlagen. Nämlich immer dann, wenn wirklich eine körperliche Störung der Fall ist. Häufig ist das jedoch nicht der Fall, wie bei Julia Winter. Daher wühlte sie sich selbst durch entsprechende Literatur und fand eigene Lösungen. "Ich habe angefangen, leise Musik zum Einschlafen zu hören und das Fenster über Nacht offen zu lassen", sagt sie. So habe sie mit den Jahren gelernt mit dem Tinnitus umzugehen. "Nur in ganz ruhigen Räumen werde ich wahnsinnig", sagt sie.
So unterschiedlich reagieren wir auf Stress
Stressforscher schätzen, dass Stressanfälligkeit zu 30 Prozent genetisch bedingt ist.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Frauen, die während der Schwangerschaft hohe Cortisolwerte aufweisen, bekommen stressanfälligere Babys.
Traumatische Erlebnisse in den ersten sieben Lebensjahren, der Zeit der Entwicklung der Identität, können lebenslänglich stressanfälliger machen.
Erfolgsorientierte, ehrgeizige, sehr engagierte, ungeduldige und unruhige Menschen sind besonders stressanfällig.
Feindseligkeit, Zynismus, Wut, Reizbarkeit und Misstrauen erhöhen das Infarktrisiko um 250 Prozent. Humor hingegen zieht dem Stress den Stachel. Eine Studie an 300 Harvard-Absolventen zeigte: Menschen mit ausgeprägtem Sinn für Humor bewältigen Stress besser.
Der wichtigste Faktor, der über Stressanfälligkeit bestimmt, ist die Kontrolle über das eigene Tun. Je mehr man den Entscheidungen anderer ausgeliefert ist, desto höher das Infarktrisiko.
Wer für seine Arbeit Anerkennung in Form von Lob oder einem angemessenen Gehalt bekommt, verfügt über eine bessere Stressresistenz.
Wer eine gute Stellung in der Gesellschaft hat, verfügt auch über einen Panzer gegen Stress. Das ist auch bei Pavianen zu beobachten: Gerät das Leittier durch einen Konkurrenten in eine Stresssituation, schnellt der Cortisolspiegel hoch, normalisiert sich aber rasch wieder. Bei den Rangniedrigeren ist der Cortisolspiegel ständig erhöht.
Einer der stärksten Stresskiller ist das Gebet. Studien belegen: Der Glaube an eine höhere Macht, die das Schicksal zum Guten wenden wird, beugt vielen Krankheiten vor.
Außengeräusche, auf die sich das Gehirn konzentrieren kann und so vom Tinnitus ablenken, helfen also beim Umgang mit dem Fiepen im Kopf. Bestätigt wird diese Theorie nicht nur durch positive Therapieerfahrungen sondern auch durch Tatsachen. 40 Prozent der Schwerhörigen in Deutschland leiden an einem Tinnitus, da Außengeräusche nicht von den Tönen des Körpers ablenken.
Was Julia Winter in Eigentherapie geschafft hat, bieten Profis wie Dr. Martin Kusatz im Tinnitus Therapie Zentrum an. Kusatz selbst kommt aus der Schmerztherapie und hat schon Anfang der 90er Jahre die Zusammenhänge zwischen Phantomschmerz- und Tinnituspatienten hinsichtlich der Behandlung erkannt. Eigentlich sei der Tinnitus sogar genau wie ein Phantomschmerz. Bevor Gliedmaßen amputiert werden, erleiden die Patienten oft starke Schmerzen an genau diesen Körperteilen. Über eine längere Zeit werden aus dieser Region des Körpers also Signale an das Gehirn gesendet. So lernt es, dass dort Schmerzen vorhanden sein müssten - auch wenn das Bein oder der Arm längst nicht mehr vorhanden sind. Der Kopf muss mit der Zeit lernen, dass die Signale, die er erhält, nicht der Realität entsprechen.