Nicht minder irritierend wäre umgekehrt vermutlich ein Bier ganz ohne Schaum, das wohl älteste Lebensmittel mit weißer Haube. Selbst Brot, Waffeln, Kuchen und Pizza sind für Lebensmitteltechniker nichts weiter als erstarrter Schaum. Eiscreme etwa wäre ohne Luft steinhart. „Der Mensch hat im Laufe der Evolution eine Vorliebe für Schaum entwickelt. Er steht für Genuss“, sagt der Erlanger Schaumforscher Antonio Delgado. Schäume sind außerdem leicht und haben oft weniger Kalorien.
Diese Eigenschaften machen Schäume attraktiv für die Lebensmittelindustrie. Und erst in jüngster Zeit werden sie auch hier berechenbar. Kürzlich rief eine große deutsche Brauerei Delgado zur Hilfe. Auf dem Braukessel mit der Bierwürze türmte sich anderthalb Meter hoch der Schaum. Er stört, weil übelschmeckende Stoffe bei diesem Produktionsschritt nicht verdampfen können. „Im Extremfall muss die ganze Charge entsorgt werden, was Hunderttausende Euro kostet“, erklärt Delgado.
Er näherte sich dem Problem rechnerisch. Sein Ratschlag: Durch eine vier Grad höhere Temperatur im Kessel würden die Lamellen der Schaumblasen so dünn, dass fast alle zerplatzten. Es funktionierte, seitdem lief die Brauerei wieder reibungslos.
Ein Latte macchiato im Weltall
Heute stehen rund 20 Lebensmittelunternehmen, darunter Mars und Nestlé, bei Delgado auf der Kundenliste. Sie wollen ihre neuen Schaumkreationen – Desserts, Waffeln oder Kaffeegetränke – rechnerisch in den Griff bekommen, um dann schnell große Mengen erzeugen zu können. Denn Schaumiges boomt.
So lancierte der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé 2006 vier Kaffeeprodukte, die per Kapselmaschine Milch- oder Espressoschaum liefern. Heute sind es mehr als 50. Und Susanne Kulhanek, Forschungsmanagerin von Nescafé Dolce Gusto, sagt: „Die Pipeline mit neuen Produkten ist voll.“ Nestlé treibt seine Schaumschlägerei mittlerweile in ungeahnte Höhen. Selbst auf der Internationalen Raumstation lässt der Konzern testen, wie die luftige Masse unter Schwerelosigkeit entsteht. Künftig gibt’s dann womöglich Latte macchiato im Orbit.
Die Branche forscht auch deshalb so intensiv am Schaum, weil er intensiver als das pure Lebensmittel schmeckt. Aus jeder Pore können beim Kauen Aromen austreten. Deshalb dürfte das luftige Etwas Basis vieler Lightprodukte werden, erwartet Jörg Hinrichs, Lebensmitteltechnologe von der Universität Hohenheim: „Fettreduzierte Produkte enthalten oft viel Zucker, damit sie nach etwas schmecken. Bei Schaum erübrigt sich das.“ Luftige Streichkäse, Desserts und geschäumte Butter gibt es schon.
Um Diätprodukte ging es der japanischen Brauerei Kirin nicht, als sie im März 2012 ein Bier mit kühlem Eisschaum auf den Markt brachte. Minus fünf Grad hat die Krone des Getränks, das auch nach Deutschland exportiert wird. Die Produktentwickler hätten ein hippes Bier für junge Leute erfinden wollen und sich vom Eiskaffee der Kaffeekette Starbucks inspirieren lassen, erzählt Naoyuki Yasutake, Verkaufsmanager für Europa.
Zugleich aber erfüllt der Schaum noch einen ganz praktischen Zweck: „Viele junge Leute wollen nicht betrunken sein und trinken daher langsamer. Also muss das Bier länger kühl bleiben.“ Die luftige Eishaube reicht für eine halbe Stunde.