Vorsorge-Untersuchungen Das lukrative Geschäft mit der Angst vor Krankheiten

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PSA-Test und Lungen-Screening

Was an den Krebs-Mythen dran ist
Die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen hat sich laut eines Expertenberichts seit 1970 fast verdoppelt Quelle: dpa
Krebs ist ansteckendDieses Vorurteil hält sich standhaft. Dabei ist wissenschaftlich eindeutig nachgewiesen, dass Krebs weder über den normalen Umgang mit Patienten noch über die Pflege, nicht einmal über Sex, übertragen werden kann. Denn Patienten scheiden die Krebszellen nicht aus. Kommt ein Mensch versehentlich mit Tumorgewebe direkt in Berührung, erkennt das Immunsystem die fremden Körperzellen und eliminiert sie. Derzeit geht die Wissenschaft davon aus, dass dieser Schutzmechanismus sogar funktioniert, wenn man eine Bluttransfusion mit dem Blut eines Krebskranken verabreicht bekommt.Quelle: Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums Quelle: dpa/dpaweb
Abtreibung löst Brustkrebs ausDieses Gerücht ist eine echte Belastung für alle Frauen, die sich im Laufe ihres Lebens einmal gegen ein Kind entscheiden mussten. Ausgangspunkt ist eine Studie aus den USA, die weltweit in den Medien zitiert wurde. Diese legte nahe, dass Abtreibungen das Risiko für ein Mammakarzinom erhöhe. Kritiker bemängelten, dass mit der Studie keine Krebshäufung unter betroffenen Frauen nachgewiesen werden konnte. Auch ließe sich gar nicht ablesen, dass Abtreibung und Brustkrebs ursächlich etwas miteinander zu tun hätten. Mittlerweile wurden fundierte Studien durchgeführt, die zeigen, dass Schwangerschaftsabbrüche und auch ungewollte Fehlgeburten als Risiko für Brustkrebs relativ sicher ausgeschlossen werden können. Quelle: dpa
Zu enge BHs verursachen BrustkrebsAuch diesen Mythos schürte ein Buch aus den USA. Darin hieß es, dass das Abklemmen der Lymphbahnen dazu führe, dass der Stoffwechsel nicht gut funktioniere und Schadstoffe nicht abwandern könnten. Ein Beweis oder eine wissenschaftliche Quelle für diese Behauptung konnten die Autoren jedoch nicht liefern. Inzwischen ist klar: Das Tragen von Büstenhaltern beeinflusst das Brustkrebsrisiko nicht, egal ob zu eng oder gut passend, mit Bügel oder ohne. Quelle: dpa
Viele Lebensmittel sind für Krebspatienten giftigSo viele Ratschläge Freunde und Bekannte auch auf den Lippen haben, eine sogenannte "Krebsdiät" gibt es nicht. Häufig wird vor Kartoffeln, Tomaten oder Schweinefleisch gewarnt, die angeblich giftig für Krebspatienten seien. Tatsächlich enthalten die Nachtschattengewächse Kartoffeln und Tomaten in ihren grünen Pflanzenteilen das schwach giftige Solanin. Krebs fördert dieser Stoff jedoch nicht. Das Gerücht, Schweinefleisch sei schädlich, scheint eher einen weltanschaulichen oder religiösen Hintergrund zu haben. Wissenschaftliche Belege, dass das Fleisch ungesund ist, gibt es jedenfalls nicht. Quelle: dpa
Krebsrisiko steigt nach einer SterilisationFührt eine Durchtrennung der Eileiter oder Samenstränge zur Empfängnisverhütung zu Krebs? Hierauf ist die Antwort nicht so eindeutig zu geben. Bei Frauen konnte die Vermutung, eine Unterbindung der Eileiter führe zu Eierstockkrebs, bislang nicht durch Studien belegt werden. Bei Männern sieht die Sache etwas anders aus: Jahrelang galt eine Vasektomie als ungefährlich. Das Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken, scheint tatsächlich nicht anzusteigen. Bei Prostatakrebs hingegen sehen die Wissenschaftler noch offene Fragen. Eine US-Studie die im Journal of Clinical Oncology veröffentlicht wurde und 50.000 Männer über einen Zeitraum von 24 Jahren beobachtete, wies auf einen leichten Anstieg aggressiver Prostatakarzinome nach einer Vasektomie hin. Der Mechanismus dahinter ist aber noch unklar. Quelle: dpa
Übergewicht macht krebskrankEs gibt Studien, die sich mit der Frage beschäftigt haben, ob es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Körpergewicht und Brustkrebs gibt. Und tatsächlich müssen Frauen, die nach den Wechseljahren deutlich übergewichtig sind, mit einer höheren Erkrankungswahrscheinlichkeit leben. Für jüngere Frauen wurde dieser Zusammenhang bisher nicht bestätigt. Laut dem Krebsinformationsdienst laufen hierzu aktuell noch weitere Studien. Quelle: dpa

Mediziner und Fachjournalisten der Seite IGeL-Monitor haben sich die kostenpflichtigen Leistungen zusammengefasst und bewertet, welche Untersuchungen nötig sind und von welchen sie eher abraten würden. Einige Beispiele:

Der PSA-Test

Der sogenannte PSA-Test zur Erkennung von Prostata-Krebs etwa ist unter Fachleuten besonders umstritten. PSA steht für Prostata-spezifisches Antigen, ein Eiweißstoff, der in der Prostata gebildet wird. Er wird bei der Ejakulation dem Sperma beigemischt. Der Test misst die Menge des PSA im Blut. Ist er erhöht, könnte das ein Indiz für Prostata-Krebs sein. Die Kasse übernimmt die Untersuchung nur, wenn ein konkreter Krebsverdacht besteht. Als IGeL-Leistung kostet die Blutanalyse inklusive Beratung zwischen 28 und 45 Euro.

„Der Test ist zur Früherkennung eigentlich kaum geeignet, da die Werte sehr wenig aussagekräftig sind“, sagt Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes in Heidelberg. So können zum Beispiel Harnwegsinfektionen, eine Entzündung der Prostata, sportliche Betätigungen (Druck auf der Prostata), Prostatahyperplasie oder eben auch Prostata-Krebs Grund für den Ausschlag auf der Skala sein. „Um näheres herauszufinden, sind für die Patienten belastende und für die Kassen kostspielige Folgeuntersuchungen nötig“, so Weg-Remers.

Selbst wenn der Patient mit einer Krebsdiagnose konfrontiert wird, scheint die Vorsorge kaum sinnvoll. Denn der Prostata-Krebs ist ein sehr langsam wachsender Krebs. „Häufig treten bei den Patienten erst nach Jahren oder auch gar keine Beschwerden auf“, sagt Weg-Remers. Gerade bei Patienten mit einer Lebenserwartung von unter zehn Jahren fragt es sich, ob Folgebehandlungen, wie eine Operation oder eine Strahlentherapie, zu empfehlen sind.

Dabei belasten die Folgeuntersuchungen bei gesunden Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur die Kassen. Sie können auch ein Risiko für den Patienten darstellen.

Lungen-Screening

So zum Beispiel auch beim Lungenscreening, also einer Computer-Tomographie der Lunge. Während einige Radiologen davor warnen, einen eventuellen Tumor der Strahlung auszusetzen, verkaufen andere das CT als Lebenszeit spendende Maßnahme. Viele empfehlen vor allem Rauchern sogar schon ab 40 Jahren eine regelmäßige Vorsorge. Dabei werden je nach Praxis etwa 140 Euro für das CT fällig. Wird der Radiologe fündig, müssen sich die Patienten im Anschluss einer kleinen Operation unterziehen, damit eine Gewebeprobe aus der Lunge entnommen werden kann.

Dabei ist – so zynisch es klingt – bisher gar nicht belegt, dass der frühzeitige Befund „Lungenkrebs“ die Lebenswahrscheinlichkeit des Patienten tatsächlich erhöht. Eventuell muss er nur länger mit der Krebsdiagnose leben, bemängeln Experten. „Wir empfehlen den Patienten daher ein Lungenscreening im Rahmen von Studien durchführen zu lassen“, sagt Susanne Weg-Remers. So könnten die Ergebnisse in die Forschung einfließen und Aufschluss darüber geben, wie sinnvoll so eine Vorsorge wirklich ist.

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