Zink und Vitamin C gegen Erkältungen, Vitamin B für die Schönheit oder gleich die Pille mit allem von A bis Z, damit uns ja nichts fehlt. Die Regalreihen für Nahrungsergänzungsmittel in Supermärkten und Drogerien werden immer länger und das Angebot immer unübersichtlicher. Kein Wehwehchen, gegen das es nicht eine Tablette geben würde.
Der neueste Schrei: Vitaminwasser oder hochdosierte "Leistungsbringer" wie Berocca von Bayer, die ein "Performance-Plus für alle, die viel leisten" versprechen. In vielen Ländern wird die Bayer-Vitaminbrause derzeit als Mittel gegen den Kater am Morgen danach gepriesen. Und Kantinengängern, Burger-Fans und Gemüsemuffeln kann so eine Extraportion Vitamine doch nicht schaden – oder?
Sie kann. Und zwar sowohl der Gesundheit, als auch dem Portemonnaie, denn Nahrungsergänzungsmittel sind in Deutschland ein Millionenmarkt, der von Angst und Verunsicherung der Verbraucher profitiert.
Die Lüge vom Vitaminmangel
Die Mär vom Vitamin-Mangelland Deutschland ist nichts anderes als eben das. Allgegenwärtige Werbung und das riesige Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln erwecken den Eindruck, dass eine ausreichende Nährstoffzufuhr allein über die Ernährung nicht möglich wäre - zu Unrecht, stellt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) klar. Erst vor Kurzem wurde in der Fachpublikation „Ernährungs Umschau“ (59/2012) die Datenlage zur Vitaminversorgung in Deutschland veröffentlicht. Dabei zeigte die Auswertung repräsentativer Studien: Die überwiegende Zahl der Deutschen ist ausreichend mit Vitaminen versorgt.
Wissenswertes zu Vitaminen
Dabei handelt es sich um chemische Verbindungen, die unser Körper nicht oder nicht in ausreichendem Maße selbst herstellen kann, die aber für viele Abläufe im Körper lebenswichtig sind. Sie müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Einige Vitamine werden nicht direkt aus der Nahrung gezogen, sondern entstehen durch die Stoffwechselprozesse unserer natürlichen Darmbakterien (zum Beispiel Vitamin K). Zwar schwankt der Vitamingehalt der Nahrung, aber wer sich abwechslungsreich ernährt, erhält von allen Nährstoffen ausreichende Mengen.
Referenzwerte geben die Mengen an, die wir an Vitaminen zu uns nehmen sollten. Die angegeben Menge schützt nahezu alle gesunden, erwachsenen Personen vor mangelbedingten Gesundheitsschäden, sorgt für volle Leistungsfähigkeit und eine gewissen Körperreserve.
Mangelzustände an Vitaminen kommen heute in Deutschland nur selten vor. Dennoch sollten sie nicht unterschätzt werden. Bei ausgeprägten Mangelzuständen kann es zu schweren Krankheiten kommen. Ein Beispiel: Ein Mangel an Vitamin A kann zu Nachtblindheit und Hautschäden führen.
Vitamine werden aufgrund ihrer unterschiedlichen Löslichkeit unterteilt. Zu den fettlöslichen Vitaminen gehören die Vitamine A, D, E und K. Um sie aufnehmen zu können, muss die Nahrung auch Fett enthalten. Die restlichen sind wasserlöslich.
Mangelerkrankungen kommen hierzulande äußerst selten vor, und Studien haben bisher keinen Nachweis erbringen können, dass die Folgen von ungesunder Ernährung und Lebensweise sich durch Nahrungsergänzungsmittel ausgleichen lassen, betont die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Für Verunsicherung sorgen zudem zahlreiche Veröffentlichungen, mit denen Hersteller teurer Vitaminpräparate die Wirksamkeit zu untermauern versuchen. Diese entsprechen jedoch durch Ungenauigkeit, fehlende Angaben oder mangelhafte Vergleichbarkeit oft nicht den wissenschaftlichen Standards, die das International Committee of Medical Journal Editors herausgibt, wie Doktorandin Eva Bradac der Ludwig-Maximilians-Universität zu München bei der detaillierten Untersuchung der Veröffentlichungen zum Nahrungsergänzungsmittel Juiceplus herausfand. In den untersuchten Fällen bestanden außerdem viele direkte wirtschaftliche Verbindungen von Studienautoren mit der Herstellerfirma. So auch im Falle des eingangs erwähnten Präparats Berocca. Auf der Internetseite findet sich der Verweis auf eine Studie, die den leistungssteigernden Nutzen der hochdosierten Tablette untermauern soll. In der Autorenliste findet sich auch ein Mitglied von Bayer Consumer Care sowie der Hinweis, dass die Studie von Bayer finanziert wurde. Zudem weisen die Autoren selbst auf zahlreiche Einschränkungen für die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse hin. So wurde eine verbesserte Leistungsfähigkeit lediglich bei einigen Rechenaufgaben festgestellt - weitere Performance-Tests zeigten keine signifikanten Unterschiede in der Placebo-Gruppe und der, die Berocca einnahm. Zudem wurden die Ernährungsgewohnheiten und Blutlevel der relevanten Vitamine und Mineralstoffe der 215 männlichen Probanden vor Beginn der Untersuchung nicht gemessen. Auch die Wirkungsweisen der zahlreichen Inhaltsstoffe und die Stoffwechselvorgänge im Körper, die die angeblichen förderlichen Effekte hervorrufen, wurden nicht untersucht.
Nicht nur überflüssig, sondern gesundheitsschädlich
Den meisten Verbrauchern ist zudem nicht bewusst, dass Nahrungsergänzungsmittel kaum gesetzlichen Vorschriften unterliegen und sie im Gegensatz zu Medikamenten auch keine Testreihen zu Wirksam- oder Schädlichkeit durchlaufen müssen. Dar Risiko daran zeigt sich etwa im Beispiel der Juiceplus-Kapseln: sie enthalten Vitamin A in einer so hohen Dosierung, dass bei einem Arzneimittel bereits ein Warnhinweis für Raucher aufgrund des erhöhten Lungenkrebsrisikos angebracht werden müsste. Gerade der blühende Vertrieb über das Internet bietet Herstellern von allerlei Schlankheitspülverchen und Kräuterpillen aus dem Ausland ein Schlupfloch - Verbraucher sollten sich darüber bewusst werden, dass solche Produkte in Deutschland oftmals nicht verkehrsfähig und potentiell gefährlich sind.
Und so wächst der Markt mit den bunten Pillen immer weiter. Zu verlockend ist die Idee, weiter bequem Pizza, Pommes und Burger futtern zu können - und das, was fehlt, einfach in Pillenform hinterher zu werfen. „Wir nehmen Nahrungsergänzungsmittel meist zur Gewissensberuhigung. Aber Ernährungsfehler lassen sich nicht durch Pillen ausgleichen", sagt DGE-Präsident Helmut Heseker. Laut einer Forsa-Umfrage schluckt jeder dritte Deutsche Nahrungsergänzungsmittel. Der Markt ist einer Erhebung des Informationsdienstleisters IMS Health zufolge rund 900 Millionen Euro an Jahresumsatz schwer. Magnesium- und Kalziumpräparate generieren dabei am meisten Umsatz, auf Platz drei folgen Multivitamin-Präparate mit Mineralstoffen.
Die Deutschen geben also viel Geld aus für etwas, dessen Nutzen nicht nur unbestätigt ist, sondern das auch unserer Gesundheit schaden kann. Insbesondere "wenn hochdosierte Präparate über eine längere Zeit eingenommen und zusätzlich angereicherte Lebensmittel verzehrt werden", kann dies zu einem Gesundheitsrisiko werden, warnt Heseker. In Industrieländern wie Deutschland tragen auch vitaminisierte Getränke, Frühstücksflocken, Margarinen oder Bonbons zu einer zusätzlichen Vitaminzufuhr bei. Zudem werden häufig Multivitaminpräparate und mehrere unterschiedliche Produkte parallel eingenommen, zeigte eine Umfrage im Rahmen der bereits erwähnten Doktorarbeit von Bradac.
Die wichtigsten Antworten zu Nahrungsergänzungsmitteln
Im Gegensatz zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit nachgewiesener pharmakologischer Wirkung handelt es sich bei Nahrungsergänzungsmitteln (kurz: NEM) im Sinne des Gesetzes um Lebensmittel. Sie können eine breite Palette Stoffen enthalten, z.B. Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Ballaststoffe oder Kräuterextrakte. Sie werden als Tabletten, Pulver, Kapseln, Dragees oder Flüssigkeiten angeboten.
Derzeit gibt es keine verbindlichen Höchstmengen für die Inhaltsstoffe in NEM. Diese werden von Experten jedoch immer wieder gefordert. Es ist zumindest vorgesehen, auf europäischer Ebene Höchstmengen für Vitamine und essentielle Mineralien vorzuschreiben. NEM müssen derzeit nur einen Hinweis auf die empfohlene tägliche Verzehrmenge tragen sowie eine Warnung, dass diese Menge nicht überschritten werden darf.
Da NEM Lebensmittel sind, gelten die Bestimmungen des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches. Sie müssen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registriert sein, brauchen aber keine Zulassung. Das bedeutet, dass sie anders als Arzneimittel kein Verfahren durchlaufen, in dem die tatsächliche gesundheitliche Unbedenklichkeit nachgewiesen werden muss. Für die Sicherheit sind Hersteller, Importeur und Anbieter verantwortlich. Die Landesbehörden kontrollieren NEM, die im Handel angeboten werden, stichprobenartig auf ihre Übereinstimmung mit den Gesetzesvorschriften.
Generell bietet eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung dem gesunden Menschen alle essentiellen Nährstoffe. Eine einseitige oder mangelhafte Ernährung kann dazu führen, dass zu wenig Nährstoffe aufgenommen werden. So kann etwa bei alten oder chronisch kranken Menschen, Schwangeren und stillenden Frauen oder Menschen mit extremen Ernährungsformen ein erhöhter Bedarf an bestimmten Nährstoffen auftreten. Ob eine Nahrungsergänzung vorgenommen wird, sollte mit dem Arzt besprochen werden.
Inhaltsstoffe wie lebenswichtige Vitamine und Mineralstoffe, die sich in NEM finden, können auch in Arzneimitteln enthalten sein. Was ist also der Unterschied? Letztere unterliegen den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes und somit einer Zulassungspflicht. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Inhaltsstoffe müssen nachgewiesen werden. Nahrungsergänzungsmittel hingegen können auch in den Handel gelangen, wenn ihr ernährungsphysiologischer Wert fraglich ist (siehe Punkt 3).
Die Gefahr einer Überdosierung besteht vor allem bei fettlöslichen Vitaminen. Im Gegensatz zu wasserlöslichen Vitaminen werden sie bei einem Überangebot nur begrenzt ausgeschieden. Überdosierungen können zahlreiche gesundheitsschädliche Wirkungen nach sich ziehen, um nur einige Beispiele zu nennen:
Die Gefahren einer Einnahme von isoliertem Betacarotin, einer Vorstufe des Vitamin A, sind seit Langem bekannt. Bei starken Rauchern und Asbestarbeitern führte es zu einem Anstieg von Lungenkrebserkrankungen und Todesfällen durch Herzkreislauf-Krankheiten. Auch das als risikoarm geltende Vitamin C kann unerwünschte Nebenwirkungen haben: So warnen etwa Goodman & Gilman's in "The pharmaceutical basis of therapeutics" vor der Gefahr von Nierensteinen durch Überdosierung von Vitamin C. Bei Eisentabletten kann es in Extremfällen zu akuten Vergiftungserscheinungen kommen, die Nieren- und Leberschäden nach sich ziehen können. Eine langfristige Überversorgung mit Eisen steht nach derzeitigem Erkenntnisstand im Verdacht, das Risiko für Herz- und Krebserkrankungen zu erhöhen.
Zudem kann es bei Nahrungsergänzungsmitteln zu unerwünschten Wechselwirkungen mit Arzneimitteln oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln kommen, warnt das BfR. Daher sollten sie über längere Zeiträume nur in Absprache mit dem Arzt eingenommen werden. Bei bestimmten Arzneimitteln könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirkung abgeschwächt oder verstärkt wird.
Wann sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
In einigen Fällen kann eine Supplementierung, also eine künstliche Zuführung von Vitaminen und Mineralstoffen neben der Nahrung, sinnvoll sein. Ein Sonderfall ist etwa Vitamin D. Es ist das einzige Vitamin, das der Mensch nur zu 10 bis 20 Prozent aus der Nahrung bezieht – der Großteil wird mithilfe von Sonnenstrahlung selbst gebildet. Der Körper braucht es für Aufbau und Erhalt gesunder Knochen. Als Faustregel gibt die DGE aus, dass fünf bis 25 Minuten pro Tag mit unbedecktem Gesicht, Händen und Teilen der Arme und Beine genügen, um eine ausreichende Bildung von Vitamin D zu gewährleisten.
Im Winter reicht die schwache UV-Strahlung hierzu nicht aus – aber wer die Sommertage nutzt und sich viel im Freien aufhält, kann einen Speicher für die dunkle Jahreszeit anlegen und so auch ohne Präparate über den Winter kommen. Hingegen sind Personen, die sich nur selten in der Sonne aufhalten oder deren Haut dabei aus religiösen Gründen stets vollständig bedeckt ist, eine Risikogruppe - sie können Vitamin D nur unzureichend selbst bilden. Dann kann die Einnahme eines Vitamin-D-Präparats angezeigt sein. Dies sollte aber mit dem Arzt besprochen werden, da eine Überdosierung über längere Zeit unerwünschte Nebenwirkungen wie Nierensteine oder Nierenverkalkungen hervorrufen kann.
Auch Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Nährstoffbedarf. Sie sollten gegebenenfalls Eisen und Jod über zusätzliche Tabletten aufnehmen. Frauen, die schwanger werden wollen, sollten Folsäure supplementieren, um Fehlbildungen des Fötus zu verhindern, empfiehlt die DGE.
Generell gilt aber, dass Nahrungsergänzungen nur vorgenommen werden sollten, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt. Wer gesund ist und sich abwechslungsreich ernährt, ist mit allen wichtigen Nährstoffe in ausreichendem Maße versorgt. Außerdem liefern Obst und Gemüse noch viele weitere Stoffe wie Antioxidantien oder Ballaststoffe. Vitaminpillen sind hierfür kein Ersatz. Befürchtet man eine Mangelversorgung, sollte man mit seinem Arzt Rücksprache halten, anstatt sich selbst unkontrolliert freiverkäufliche Präparate zu verordnen.