Weltgesundheitsorganisation Wieso die WHO Softdrinks besteuern will

Schokolade, Bonbons, Cola: Die Gier nach Süßem wird uns zum Verhängnis. Immer mehr Menschen sind schon als Kinder zu dick. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt jetzt eine Sondersteuer auf Softdrinks. Warum eigentlich?

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Die WHO empfiehlt Sondersteuern auf zuckerhaltige Getränke Quelle: dpa

Zu viel Zucker macht krank: Die Zahl übergewichtiger oder gar fettleibiger Kinder in aller Welt ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Aus dicken Kindern werden oft dicke Erwachsene mit Krankheiten wie Diabetes und Karies. Das wiederum belastet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Gesundheitssysteme.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will im Kampf gegen Fettleibigkeit und den damit verbundenen Krankheiten nun beim Geldbeutel ansetzen: Die Gesundheitsexperten empfahlen anlässlich des Welt-Adipositas-Tages am Dienstag allen Regierungen, zuckerhaltige Getränke mit einer Sondersteuer zu belegen. Damit sie wirkt, sollte sie mindestens 20 Prozent betragen.

Bei der WHO ist man überzeugt, den Konsum durch diese Steuer zu bremsen - dadurch würden weniger Menschen an Übergewicht, Fettleibigkeit, Diabetes oder Karies leiden, so die Experten. Der Empfehlung ging eine Untersuchung von Steuerexperten voraus. Die Auswertung von Fallstudien aus mehreren Ländern zeigte, dass eine spürbare Zuckersteuer auf Softdrinks am besten hilft, die Quote übergewichtiger Menschen zu senken. Laut der Studie führte die zehnprozentige Steuer auf zuckrige Getränke, die die Regierung in Mexiko 2014 einführte, zu einer Minderung des Konsums um sechs Prozent.

Was ist Diabetes

Die Steuer sei besonders wirksam, wenn sie den Preis der Softdrinks um 20 Prozent und mehr anhebe. „Wenn Regierungen Produkte wie zuckerhaltige Getränke stärker besteuern, können sie Leiden reduzieren und Leben retten“, sagte Douglas Bettcher, Direktor der WHO-Abteilung für die Vorbeugung von nichtansteckenden Krankheiten. „Zudem können sie die Kosten für das Gesundheitswesen verringern und ihm zugleich mehr Geld zur Verfügung stellen.“

2015 waren nach WHO-Daten weltweit 42 Millionen Kinder unter fünf Jahren übergewichtig oder fettleibig. Dies entspreche einer Steigerung um elf Prozent innerhalb von 15 Jahren. Für Deutschland rechnet die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) mit 1,8 Millionen übergewichtigen oder fettleibigen Schulkindern bis zum Jahr 2025.

Die Zahl der Diabeteskranken sei von 108 Millionen im Jahr 1980 auf 422 Millionen im Jahr 2014 gestiegen. Allein in Deutschland wächst die Zahl der Erkrankungen laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft jährlich um 300.000. Das treibt die Kosten für das Gesundheitssystem in die Höhe: 35 Milliarden Euro fallen pro Jahr für Behandlung, Pflege, Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung von Diabetikern an – nur in Deutschland.

Was weltweit die höchsten Gesundheitskosten verursacht

Die WHO empfiehlt schon seit vergangenem Jahr, dass höchstens fünf Prozent der täglichen Kalorienzufuhr aus Zucker bestehen sollte. Das entspricht etwa 25 Gramm Zucker am Tag und ist mit einem Glas Cola schon ausgeschöpft. Auch das zeigt, warum die Gesundheitsexperten den Fokus auf Softdrinks richten: Mit ihnen hat man blitzschnell seine Extraportion Zucker schon ohne Nachtisch verputzt. Von dieser Maximalmenge sind die Deutschen weit entfernt. Sie essen im Schnitt 35 Kilogramm Zucker pro Jahr - das entspricht rund 96 Gramm täglich.

Doch warum ausgerechnet eine Sondersteuer auf Softdrinks – und nicht auf Schokoriegel, Fruchtgummi oder verzuckerte Frühstücksflocken? Das hat vielfältige Gründe. Der WHO-Verantwortliche für gesunde Ernährung, Francesco Branca, erklärt: "Wenn man etwas trinkt, ist die Hungerkontrolle inaktiv. Dadurch neigt man dazu, zu viele Kalorien zu sich zu nehmen."

Die größten Kalorienbomben
ColaDie Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor den Folgen übermäßigen Zuckerkonsums und empfiehlt etwa für einen gesunden Erwachsenen, die tägliche Zufuhr auf rund 25 Gramm zu beschränken. In einer 330 Milliliter Flasche Cola stecken immerhin neun Teelöffel Zucker, was in etwa 36 Gramm entspricht - das Limit wäre mit einer kleinen Flasche Coca-Cola also schon gesprengt. Ein Blick auf weitere Kalorienbomben: Quelle: REUTERS
Ketchupflaschen Quelle: dpa
Wurst Quelle: dpa
Gummibärchen Quelle: dpa/dpaweb
Gläser mit Saft Quelle: obs
Milch in einem Glas Quelle: dpa
Ein gefangener Fisch Quelle: dapd

Die Rolle von Softdrinks in der Diabetes-Entstehung

Ein weiteres Problem der süßen Getränke: Sie fördern die Gewöhnung an den Geschmacksreiz "süß". Das Phänomen gibt es auch bei Salz. Die Reizschwelle für die Geschmacksempfindung steigt nach und nach an. Wer also von Kindesbeinen an die Extraportion Zucker gewöhnt ist, braucht nach und nach stärkere süß-Reize, erklärt Karsten Müssig, stellvertretender Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ). Dadurch essen Menschen im Laufe des Lebens immer mehr Zucker.

Wieviel Zucker steckt in...

Für gesunde Menschen gibt es keine klare Zufuhrgrenze von Zucker, bei der man sagen könnte: "Ab hier macht er krank". Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Deutsche Diabetes Gesellschaft geben lediglich Richtlinien für Diabetes-Patienten aus. Ob der reichliche Genuss von zuckerhaltigen Lebensmitteln zu Diabetes führt, ist unter Forschern noch immer umstritten. Mediziner gehen aktuell davon aus, dass gesüßte Getränke das Risiko indirekt erhöhen, weil sie leicht zu Übergewicht führen. Die überschüssigen Kalorien werden an besonders ungünstigen Körperstellen, nämlich im Bauchbereich und in der Leber abgelagert. Dadurch wird die Insulinwirkung im Körper abgeschwächt - ein wichtiger Mechanismus bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes, erklärt Müssig.

Doch nicht nur die hohe Zufuhr von Kalorien durch Softdrinks ist problematisch. Zusätzlich enthalten sie meist sehr viel Fruktose, die eine besonders starke Süßkraft hat. Diese Zuckerart führt, wie Studien nahelegen, vermutlich auch direkt zu einer Insulinresistenz. "In experimentellen Ansätzen zeigte sich, dass eine kurzfristig hohe Fruktose-Belastung zu einer verminderten Wirkung des Insulins im menschlichen Körper führt", erläutert Müssig.

Die größten Ernährungsmythen
Verlängern Chili-Schoten das Leben? Quelle: REUTERS
Schokolade Quelle: dpa
Je mehr Vitamine desto besser Quelle: dpa
Brot macht dick und ist ungesundGerade für die Verfechter kohlehydratarmer Nahrung steckt der Teufel im Brot: Es mache dick und trage sogar Mitschuld an Diabetes. Das ist so allerdings nicht richtig: Gerade Vollkornbrot (echtes Vollkornbrot, kein mit Malz eingefärbtes Weißbrot) hat sehr viel Ballaststoffe. Die sind gesund und machen satt. Außerdem liefert es verschiedene Vitamine sowie Iod, Flur, Magnesium und Zink. Quelle: dpa
"Light", "Leicht" oder "Fettarm" - das ist gut für die schlanke LinieDie Lebensmittelindustrie hat den Trend zu bewusster Ernährung entdeckt und nutzt ihn mit Fitness- und Wellness-Begriffen gezielt aus. Doch die Verbraucherorganisation Foodwatch warnt: Oft werden so Lebensmittel beworben, die alles andere als kalorienarm sind. Der Verein hat das Nährwertprofil von sogenannten Fitness-Müslis, Wellness-Wasser oder Joghurt-Drinks überprüft und kam zu dem Ergebnis, dass die scheinbar "gesunden" Lebensmittel Softdrinks oder Fast-Food-Snacks beim Zucker-, Salz- oder Fettgehalt oftmals in nichts nachstehen. Bei fettarmen Produkten wird der Geschmacksmangel häufig durch zahlreiche andere Inhaltsstoffe, etwa Stärke und Zucker, ausgeglichen - der Kaloriengehalt unterscheidet sich kaum, ist manchmal durch den hohen Zuckergehalt sogar höher - und gesund ist das Light-Produkt noch lange nicht. Quelle: dpa
Kartoffeln machen dick Quelle: dpa
Öko-Lebensmittel sind gesünder Quelle: dpa

Das grundlegende Problem bleibt, dass die meisten Menschen sich einfach zu kalorienhaltig ernähren - sei es nun durch zu viel Zucker oder zu viel Fett. Kritik am WHO-Vorstoß der Zuckersteuer kommt von der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke, die es als reine "Symbolpolitik" sieht: „Eine Strafsteuer allein auf Softdrinks ist nicht geeignet, um ein komplexes gesellschaftliches Problem wie Übergewicht zu lösen.“ Auch Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) reagierte ablehnend: Eine Zuckersteuer ändere nichts, sagte er. Er begründete seine Aussage damit, Deutschland habe bereits bis Anfang der Neunzigerjahre eine Zuckersteuer gehabt, die aber nichts am Konsum geändert habe. Die Regierung arbeite stattdessen daran, den Gehalt von Zucker, Fett und Salz in Fertiglebensmitteln zu senken.

Unterstützung für den Vorstoß der WHO kommt von der Verbraucherorganisation Foodwatch: "Bundesernährungsminister Schmidt sollte endlich auf die WHO hören", erklärte Oliver Huizinga von Foodwatch in Berlin. Auch die Experten, die sich in der DANK zusammengeschlossen haben, fordern seit Langem eine Zuckersteuer und nennen zwei Beispiele für den möglichen Erfolg einer solchen Maßnahme: Zum einen die Tabaksteuererhöhungen in Deutschland. Durch sie konnte der Anteil der rauchenden Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren halbiert werden. Zum anderen die Einführung einer Steuer auf Alkopops. Die alkoholhaltigen Limo-Mischgetränke verschwanden nach der Einführung der Alkopop-Steuer nahezu vom Markt.

Allerdings: der gesamte Alkoholkonsum der Jugendlichen ging durch die Maßnahme nicht zurück - sie suchten sich einfach andere Getränke als Ausweichmöglichkeit. Und den rückläufigen Tabakkonsum unter Jugendlichen allein höheren Preisen zuzuschreiben, scheint zu kurz gedacht - gesundheitliche Aufklärung und der Imageverlust des Glimmstängels dürften ihr Übriges beigetragen haben. Ob eine Zuckersteuer auf Limo und Co. in Deutschland also der richtige Weg wäre, den ungesunden Lebenswandel vieler Menschen nachhaltig zu ändern, scheint zweifelhaft. Schließlich bieten Chips, Schweinshaxe und Bewegungsmangel noch genügend andere Möglichkeiten, die eigene Gesundheit zu ruinieren.

Mit Material von dpa


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