Jüngst hatte ich das Vergnügen, Schülern einer Mittelstufenklasse ein bisschen Berufsberatung in Sachen "irgendwas mit Medien" zu geben. In solchen Fällen dränge ich das Gespräch gerne in die Richtung "Technik früher und heute". Denn dann kann ich immer einen meiner Lieblingsklassiker unterbringen: das Wort Wählscheibe. Sie sollten dann mal die leeren Gesichter der Teenager sehen. Erst, wenn man dazu die typisch kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger macht und danach "takatakatakatak" sagt, scheint wenigstens einem Teil der Leute zu dämmern: Ja, in irgendeinem Schwarzweißfilm war mal sowas.
Die Ausgestorbenen
Das Wort Wählscheibe ist tot. Stattdessen heißt es jetzt Tasten, Zahlenfeld und wenn es hoch kommt Knöpfe.
Auch andere Worte haben es nicht geschafft – schlicht, weil wir sie nicht mehr brauchen:
Ich hatte auf meinem Rucksack vor einiger Zeit einen Ansteck-Button. In der Berliner S-Bahn sprachen mich ein paar Jugendliche an: "Das sieht irgendwie gut designt aus. Was ist das denn?" Ich sag: "Das ist doch ein Fernseh-Testbild." Schon wieder diese leeren Teenagergesichter. Wenn man dann Sätze anfangen muss mit "früher, da gab es noch...", dann fühlt man sich selbst mit Ende 30 alt.
Das Testbild ist ersatzlos aus unserem Alltagssprachgebrauch verschwunden. Tot.
Die Videothek zuckt noch, wird aber nicht mehr lange machen. Selbst in der mittleren Großstadt Bielefeld hat gerade dieser Tage die allerletzte Videothek für immer geschlossen. Die junge Schwester Mediathek hat es noch von der Stadtbücherei ins Internet geschafft. Aber für die Videothek kommt jede Hilfe zu spät.
Der Walkman ist auch hinüber. Sony hat es nicht geschafft, den Inbegriff mobiler Unterhaltungselektronik zu verteidigen. Früher war der Walkman wie Nutella und UHU Gattungsname. Googelt man heute nach Walkman, dann erscheinen lauter Bilder von Kassettenabspielgeräten aus den Achtzigerjahren. Heute sagt keiner mehr Walkman. Selbst echte Sony-Walkmans nennt man doch mp3-Player. Was für ein Niedergang.
Die Untoten
Es gibt aber Begriffe, die sich kurioserweise gehalten haben, obwohl sie ihrer Bedeutung nach keine Berechtigung mehr haben.
Junge Leute fragen sich, warum man auflegt, wenn man ein Handygespräch beendet. Für sie sind Mobiltelefone der Standard, Festnetztelefone die Ausnahme. Und bei Letzteren stellt man das Mobilteil nach dem Gespräch in die Ladestation zurück. Dass man einen Hörer auf eine Gabel auflegt, um damit die Verbindung mechanisch zu unterbrechen, das gibt es höchstens noch in Büros. Dennoch nennt man den Druck auf die rote Beenden-Taste des Smartphones auflegen. Denn wie sollte man es sonst nennen? Gespräch beenden oder roten Knopf drücken? Viel zu lang. Auflegen: Passt dem Sinn nach null, ist aber kurz und unverwechselbar. Die Überlebensgarantie für das hübsche Wort auflegen.
Der Zigarettenanzünder ist ein echter Überlebensakrobat. Kein Mensch nutzt doch den Zigarettenanzünder zum Zigarettenanzünden. Selbst Raucher greifen doch zum Gasfeuerzeug. Trotzdem lebt der Zigarettenanzünder. Und zwar als Stromanschluss für Navis und Smartphoneladegeräte. Suchen Sie bei Amazon mal nach dem Begriff Zigarettenanzünder. Sie müssen gut hingucken, um zwischen den ganzen USB-Adaptern, Innenbeleuchtungen, Freisprecheinrichtungen, Kaffeezubereitern und Haartrocknern fürs Auto noch Geräte zu finden, mit denen man eine Zigarette anzünden kann. Aber der Begriff bleibt. Statt Autosteckdose. So wie das Handschuhfach das Handschuhfach bleibt. Auch, wenn wir doch alle mit nackten Händen lenken statt mit eleganten Autohandschuhen wie damals.
Recycling für die Zukunft
Was tun Sie, wenn Sie bei iTunes oder Netflix oder Amazon Video einen Film gucken und jemand neben Ihnen auf der Couch quatscht rein? Sie spulen zurück. Ganz ohne Band, das sich spulen ließe. Das Gleiche bei Musik aus dem Netz. Musikkassette und VHS leben in unseren Köpfen weiter. Und weil wir spulen praktisch exklusiv in der Unterhaltungselektronik verwenden, hält es sich dort wacker. Aber Achtung, es droht die Übermannung durch zurück-/vorgehen und -springen.
Übrigens: Auch Profis sind Nostalgiker. Die gute alte MAZ, die magnetische Aufzeichnung von Fernsehbeiträgen, hält mir ihrem Namen immer noch her. Obwohl längst ganz ohne Magnetbänder von Festplatte gesendet wird. Eigentlich müsste man in der Regie rufen: "Vom Server ab!" Aber das wird noch Generationen dauern.
Als wir in den Wintern der Achtziger mit der Familie einkaufen fuhren, ist mein Vater meist schon ins Auto eingestiegen, während meine Mutter noch dabei war, sich die Stiefel überzuziehen. Er wollte eben schon mal den Dieselmotor vorglühen. Sonst sprang der Wagen nicht an. Das dauerte dann schon mal eine gefühlte Minute. An klirrend kalten Tagen musste auch zweimal vorgeglüht werden.
Heute erledigt das Auto das so schnell und mitunter schon beim Einstiegen, so dass der Vorglüh-Vorgang nicht mehr der Rede wert ist. Keiner glüht heute mehr bewusst vor. In dem Sinne.
Aber das Wort Vorglühen lebt weiter: sich vor der eigentlichen Party preiswert warm saufen, um beim Ausgehen geringere Verbrauchswerte zu haben.
Diese deutschen Begriffe gibt es in anderen Sprachen
"Bessermachen" - den "Drang, sich in anderer Leute Arbeit einzumischen", kennt die dänische Sprache aus dem Deutschen. Sollte es uns zu denken geben, dass "besserwisser" außerdem im Finnischen, Norwegischen, und Schwedischen bekannt ist?
Wer in Ungarn zum Friseur geht, kann sich eine "dajer" oder "dauer" machen lassen. In Deutschland geht das auch - hier ist das Wort allerdings noch etwas länger: "Dauerwelle".
"forell" (Forelle) und "heeringas" (Heering) kann man gut mit "till" (Dill) essen. Dazu gibt es ein Glas "vein" (Wein). Wo? In Estland.
In Tschechien ruft man den "hausmajstr", wenn etwas im Wohnhaus "kaput" ist. Der bringt meistens "verkcajk" (Werkzeug), wie einen "šroubovák" (Schraubenzieher) mit.
"Kohlrabi" ist das afghanische Wort für - Kohlrabi.
Wer in Polen zu viel "likier" (Likör) in der "knajpa" (Kneipe) getrunken hat, sollte seinen "rausz" (Rausch) ausschlafen und am nächsten morgen vielleicht einen "rolmops" (Rollmops) essen.
Wer kennt das nicht? Stau auf der "otoban". Ist nicht gern gesehen, weder in Deutschland (wo es "Autobahn" heißt), noch in der Türkei.
Ja, genau, wie sie denken. Das Wort kommt vom Investigativ-Journalisten Günter Wallraff und bedeutet im schwedischen: "unter falscher Identität recherchieren". Nach Feierabend kann der Undercover-Journalist in Schweden dann die "bratwurst" (Bratwurst) genießen - oder ein "schnitzel" (Schnitzel).
Den abstrakten deutschen "Zeitgeist" gibt es nicht nur im Englischen, sondern auch im Spanischen und im Portugiesischen: "zeitgeist".
Ja, genau. Das ist japanisch für "Baumkuchen" (baumukūhen). Außerdem in Japan verbreitet: Ursprünglich aus dem Deutschen stammende Begriffe zum Thema Sexualität. Beispiele: オルガスムス (orugasumusu) - "Orgasmus", オナニー (onanī) - "Onanie", ラーゲ (rāge) – "Lage" im Sinne von "Sexstellung", ザーメン (zāmen) – "Samen", "Same", "Sperma".
Ich kenne kein Wort, was sich so raffiniert durchgemogelt hat. Teens und Twens, die sich heute vor dem Ausgehen mit billigen Wodka-Mischgetränken aus dem eigenen Kühlschrank auf Pegel pushen, ahnen ja nicht einmal, dass sie diese Idee vom Vorglühen Rudolf Diesel zu verdanken haben. Ich bin mir sicher: Selbst, wenn der Diesel irgendwann vom Elektroauto abgelöst wird: Generationen werden weiter beim Vorglühen ihren Spaß haben. Nicht selten auch im Auto.
Benzin-Nostalgiker hingegen haben Pech: Der Choke ist schon tot.
Die neuen Aufsteiger
Apropos Elektroauto: Die Zapfsäule wird sterben. Statt zu tanken werden wir laden. Und Tankstellen mit Zapfsäulen werden zu Ladestellen mit Ladesäulen. Ladestellen! Und aus Tank&Rast wird Lad&Rast.
Zylinder, Auspuff, Zündung. Wir werden all diese Worte nicht mehr brauchen. Aber wir brauchen neue: Wie sagen wir dann statt Gas geben? Strom geben?
Ganz aktuell brauchen wir übrigens dringend ein neues Wort: Wie sollen wir diese skateboardgroßen elektrischen Rollbretter mit zwei Rädern nennen, die sich durch Körpergewichtsverlagerung steuern lassen? Obwohl es die Dinger längst im Handel gibt, herrscht Namens-Chaos: Smartboard (obwohl schon vergeben als Markenname für eine elektronische Tafel im Unterricht), Hoverboard (geklaut bei Zurück in die Zukunft und völliger Quatsch, weil das Board nicht schwebt), Mini-Segways, Segboards, Self-Balancing-Scooter, zweirädrige Balance-Boards? Weil ihre Akkus so gerne mal anfangen zu brennen und man damit kinderleicht schlimm stürzen kann, schlagen Leute bei einer Internet-Umfrage vor: Explodaboards oder Deathboards.
Aber da ist noch alles drin. Für jeden von uns die Chance, mit einer Idee sich selber ein Denkmal zu setzen. Es sei denn, die seltsamen Geräte verschwinden bald wieder vom Markt. Dann heißt es ganz klassisch weiterhin: zu Fuß gehen.