Wenn Ashish Kumar darüber spricht, wie das Fliegen in zehn Jahren aussehen wird, dann verliert er kein Wort über Flughäfen, Sicherheitskontrollen oder Boarding-Prozeduren. In der Vision des Luftfahrtunternehmers wird es viele Tausend kleine Flugplätze geben, von denen Regionalflieger abheben, für Passagiere so bequem wie Privatjets. „Die Passagiere rollen mit einem selbstfahrenden Auto direkt ans Flugfeld“, sagt Kumar. „Sie steigen ins Flugzeug und Minuten später hebt es ab.“
Neuer Pioniergeist: Elektroflieger und Überschalljets
- Autonome Drohne für Frachtflüge
- Fliegt über dem Meer, landet im Wasser
- Senkt Kosten für Luftfracht auf die Hälfte
- Fliegt mehr als doppelt so schnell wie der Schall
- Schafft London–New York in 3 Stunden und 15 Minuten
- Ticketpreise wie in der klassischen Businessclass
- Elektrojet für 10 bis 20 Passagiere
- Fliegt regionale Strecken bis zu 1300 km
- Fliegt besonders leise und preiswert
Im April stellte Kumar, Gründer des US-Start-ups Zunum Aero, das Konzept für seinen Jet vor, der die Vision vom Alltagsflieger für alle möglich machen soll. Zunum ist das Maya-Wort für Kolibri, und wie der Vogel soll der neue Flieger klein genug sein, um auf Sportflugplätzen landen zu können, leise genug, um keine Anwohner zu stören, und vor allem so effizient, dass Flüge billiger werden als Zugtickets. Möglich machen soll all das ein radikaler Wechsel des Antriebs: Statt Kerosin treibt Strom den Zunum an.
Flugzeuge mit Batterieantrieb galten bis vor Kurzem als ferne Vision, ähnlich wie das viel beschworene fliegende Auto. Doch im Vorfeld der anlaufenden International Paris Air Show, eines der beiden größten Treffen der Branche, liegt ein neuer Pioniergeist in der Luft. Die Euphorie erinnert an die Gründerzeit vor 120 Jahren, als mutige Ingenieure das Flugzeug selbst erfanden.
Die neuen Brüder Wright des 21. Jahrhunderts sind Start-ups mit straffen Zeitplänen und Millionenbudgets. Zunum etwa sammelte gerade Geld vom Luftfahrtriesen Boeing ein, um seinen Elektrojet zu entwickeln. Die Ingenieure von Boom Technology aus den USA wollen eine neue Concorde bauen, einen Überschalljet, preiswerter und sicherer als das Original. Und das Start-up Natilus arbeitet an computergesteuerten Frachtdrohnen, die ohne Pilot um die Welt jetten. Gehen die Pläne auf, so stehen der Branche radikale Umbrüche bevor.
Die Luftfahrt könnte sich mit neuer Technik zu einem der saubersten Verkehrsmittel wandeln, zumindest auf der Kurzstrecke. Auf der Langstrecke würden die neuen Flieger die Welt ein beträchtliches Stück zusammenrücken lassen – für Londoner läge New York dann nur noch drei Stunden entfernt. Und globale Logistikketten würden noch enger miteinander verknüpft, Lufttransporte würden preiswerter. Aber wie weit sind die neuen Superjets tatsächlich schon gediehen, wann heben sie wirklich ab?
Für Zunum-Gründer Kumar ist 2019 das Jahr der Wahrheit. Dann soll ein Prototyp seines Elektrojets starten, angetrieben mit dem Strom aus Tausenden Lithium-Ionen-Akkus. Den Antriebsstrang und das Design des Fliegers hat sein Team schon entwickelt. Ist der Testflieger erst einmal in der Luft, wollen die Ingenieure vier Jahre später das fertige Produkt auf den Markt bringen.
Kumar hat seinem Team ambitionierte Ziele gesetzt: Der erste Zunum-Jet soll 10 bis 20 Passagiere bis zu 1300 Kilometer weit transportieren. Komplett elektrisch, räumt er ein, werde das zumindest anfangs nicht klappen, dafür speichern die Akkus noch zu wenig Strom. Darum wird der Jet zunächst einen Generator und Treibstoff an Bord haben, um Strom für einen Teil des Flugs unterwegs zu produzieren. In den 2030ern, sagt Kumar, könnten neue Akkus größere Regionalflieger mit 50 Sitzen möglich machen, die keinen Generator mehr an Bord bräuchten.
Alles in allem soll der Jet schon in der ersten Generation mehr als 70 Prozent weniger Sprit verbrauchen als herkömmliche Modelle. Und 80 Prozent leiser sein. Deshalb soll der Elektroflieger auf kleinen Flugplätzen starten können, die heute nur von Freizeitfliegern genutzt werden. 2500 solcher Landebahnen gebe es in Europa, sagt Kumar. Ein neuer Markt könnte sich auftun: Regionalflüge, etwa von Backnang bei Stuttgart nach Greifswald an der Ostsee. Solche Reisen könnten per Elektrojet ohne nerviges Umsteigen bis zu fünf Mal schneller werden als mit anderen Verkehrsmitteln, sagt Kumar – zu einem Drittel des heutigen Preises.
Tagestrip über den Großen Teich
Bis dahin steht aber noch eine Menge Entwicklungsarbeit an. „Elektroflugzeuge haben in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung genommen“, sagt Arne Seitz, Experte für Antriebssysteme beim Forschungsinstitut Bauhaus Luftfahrt in Taufkirchen bei München. „Aber technologisch müssen noch einige Herausforderungen gemeistert werden.“ Ingenieure müssten das Flugzeug, seine Aerodynamik und Bauform, neu erfinden, um den kommerziellen Einsatz tatsächlich zu ermöglichen.
Solch ein völlig neues Flugzeug entwickeln die Ingenieure von Boom Technology in Denver, Colorado. Der Passagierjet, spitz wie ein Speer, soll auf bis zu 2335 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Bei dem Tempo ist die Strecke London–New York, heute ein knapp achtstündiger Flug, in drei Stunden und 15 Minuten zu schaffen. Schnell genug für einen Tagestrip über den Großen Teich. Für die 55 Passagiere wird es ein spektakuläres Erlebnis: Auf mehr als 18.000 Meter Höhe soll der Jet steigen, wo der Himmel fast schwarz ist und der Blick über ganze Länder hinweg reicht.
Das hat es schon einmal gegeben – mit dem Überschalljet Concorde. Doch die Technik hat sich für die Fluggesellschaften nicht gerechnet, ein fataler Absturz im Jahr 2000 in Paris beendete das Programm. Diesmal glauben die Gründer, Technologien gefunden zu haben, die Fertigungskosten senken, den Lärm dämpfen und den Spritverbrauch drosseln. Sicherer sollen die schnellen Flieger auch sein. Die Ticketpreise sollen auf das heutige Businessclass-Niveau sinken – für den Transatlantikflug hin und zurück also auf etwa 5000 Dollar.
Virgin Galactic, das Raumfahrt-Start-up des Milliardärs Richard Branson, hat schon zehn Flieger für je 200 Millionen Dollar reserviert. Analysten von Boyd Group International sehen einen Markt für 1300 Überschalljets binnen zehn Jahren.
In Richmond, Kalifornien, arbeitet das Start-up Natilus daran, auch die Frachtketten enger miteinander zu verzahnen. Die Gründer entwickeln eine Drohne, groß wie eine Boeing 777, die 90 Tonnen Fracht transportieren soll. „Autonome Drohnen können einen substanziellen Teil der Luftfracht übernehmen“, sagt Aleksey Matyushev, CEO von Natilus. Statt elf Stunden sollen diese Drohnen von Los Angeles nach Shanghai zwar 30 Stunden brauchen. Dafür aber wird der Flug nur halb so viel kosten, weil das Schleichtempo weniger Sprit erfordert und kein Pilot bezahlt werden muss. Der autonome Billigflieger soll nur über dem Meer fliegen, sechs Kilometer hoch, weit unterhalb der Passagierjets, und auf dem Wasser vor großen Häfen landen. Und weil der Roboterjet über dem Meer fliegt, hoffen die Gründer, weniger Sicherheitsregeln befolgen zu müssen. Der Flieger soll nicht 250 Millionen Dollar kosten, wie eine Boeing, sondern 20 Millionen.
Diesen Sommer will das Team einen neun Meter großen Prototyp starten. Ab 2019 soll eine Drohne, die 18 Tonnen wuchtet, von Los Angeles nach Hawaii pendeln. Verderbliche Güter und Luftpost hätten einen neuen Billigflieger. Selbst Regisseure im nahe gelegenen Hollywood hätten sich keine bessere Szenerie für einen Science-Fiction-Film ausdenken können.