Futur ICT
Warum kommt es ständig zu Staus? Unter welchen Bedingungen stürzen autoritäre Regimes? Und wo drohen die nächsten Banken zu kollabieren? Zu vielen Fragen unserer Zeit gibt es nicht enden wollende Analysen, Aufsätze – und Projektionen. Doch allzu oft sind die Prognosen nicht mehr als ein vager Blick in die Kristallkugel.
Das will Dirk Helbing ändern. Der Risikoforscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) will alle öffentlich verfügbaren Informationen in einem gigantischen elektronischen Gehirn verknüpfen: Twitter-Nachrichten, Verkehrsinformationen, Finanztransaktionen, Zeitungsnachrichten – sämtliche öffentlich verfügbaren Daten über Menschen, Natur und Technologie sollen zusammenfließen. In diesem Daten-Kaffeesatz will Helbing mithilfe von Algorithmen und einem Supercomputer Muster identifizieren, die auf künftige Entwicklungen schließen lassen.
Zum Beispiel: Welche Kombination aus steigenden Lebensmittelpreisen, unzufriedenen Twitter-Nutzern und Nachrichten über niedergeschlagene Aufstände kann zum Sturz eines Regimes führen?
Die Welt werde „immer komplexer“, findet Helbing. So komplex, dass unsere Gehirne nicht mehr in der Lage seien, die Zusammenhänge zu begreifen. Dadurch unterschätzen Menschen globale Kettenreaktionen – die Folgen der US-Immobilienblase etwa, die eine weltweite Finanzkrise befeuerte. Computer sollen nun helfen, diese Zusammenhänge früher zu erkennen.
FuturICT heißt das gewaltige Projekt, für das der ETH-Forscher Informatiker, Ökonomen und Soziologen von 84 akademischen Institutionen aus 25 Ländern gewonnen hat. Verarbeiten will er die Daten in sechs der größten Rechenzentren Europas. Schafft es Helbing mit seinem Team auf das Siegertreppchen des Technologie-Wettbewerbs der EU, will er nicht nur das Geschehen auf der Welt simulieren: Die entstehenden Datenberge sollen auch der Allgemeinheit offenstehen. Jeder, der wolle, könne sie nutzen und eigene Dienste darauf aufbauen. Denn Helbings Ziel ist es auch, eine Art Wikipedia für Daten zu schaffen.