Zukunftsmärkte Europa sucht die Supertechnik

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Personalisierte Medizin

Ein Arzt drückt ein Stethoskop auf einen Monitor Illustration Quelle: Illustration: Roland Warzecha

IT Future of Medicine

Sind Wettervorhersagen heute zuverlässiger als die Erprobung von Arzneimitteln? Der Erbgutforscher Hans Lehrach ist davon überzeugt. Fassungslos beobachtet er, nach welch veralteten Methoden Medikamente heute noch immer entwickelt und verschrieben werden. Hunderten oder gar Tausenden Patienten eine Substanz zu verabreichen und dann zu schauen, ob sie wirkt, „sei wie ein Crashtest mit menschlichen Dummies“, sagt Lehrach.

Sein Hauptkritikpunkt: Die Vorstellung, dass alle Menschen medizinisch gesehen gleich sind – und also auch alle Pillen bei allen Patienten gleich wirken –, habe sich als Trugschluss erwiesen. Auf diese Weise ließen sich eben nur Medikamente entwickeln, die bestenfalls bei 20 bis 28 Prozent der Menschen helfen, sagt der am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem forschende Österreicher: „72 Prozent der Patienten schaden sie, und zudem kosten sie viel Geld.“

Sein Projekt IT Future of Medicine – bei dem 77 Forschergruppen aus ganz Europa involviert sind – könnte eine weit effektivere Alternative hervorbringen: Aus einer Unzahl von Informationen aus dem Körper wollen die Wissenschaftler mithilfe von Computerprogrammen errechnen, welches Medikament dem Patienten am besten hilft. Genauso wie heutige Wetterberichte auf unzähligen Messdaten aus der ganzen Welt und dem Weltall beruhten. „Was wir entwickeln“, sagt Lehrach, „ist ein am Computer simulierter, virtueller Crashtest für jeden Patienten.“

Die am häufigsten falsch behandelten Krankheiten
Platz 10: Uterus myomatosusKnapp zwei Drittel aller Fehler, die von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer anerkannt wurden, ereigneten sich in Krankenhäusern. Auf Platz 10 der dort am häufigsten fehlbehandelten Krankheiten ist Uterus mymatosus. Dahinter verbergen sich Myome der Gebärmutter, die am häufigsten gutartigen Tumore bei Frauen. 21 Mal behandelten Krankenhaus-Ärzte diese Krankheit vergangenes Jahr falsch.Woran die zahlreichen Fehler in Krankenhäusern liegen, hat die WirtschaftsWoche bereits im April analysiert. Quelle: Fotolia
Platz 9: Gallenstein23 Mal wurden in Krankenhäusern Gallensteine, also Cholelithiasis, falsch behandelt. Quelle: Fotolia
Platz 8: Oberflächliche VerletzungenWunden und Schrammen wurden in deutschen Krankenhäusern 26 mal falsch behandelt – womit sie auf Platz 8 landen. Bei Fehlbehandlungen in Arztpraxen erreichen oberflächliche Verletzungen Platz 10. Niedergelassene Ärzte behandelten sie nur zehn Mal falsch. Quelle: REUTERS
Platz 7: HandfrakturKnochenbrüche an der Hand behandelten Krankenhausärzte vergangenes Jahr 30 Mal falsch. Damit erreichen Handfrakturen Platz 7. Bei Fehlbehandlungen durch niedergelassene Ärzte erreichen Handfrakturen Platz 8. Sie behandelten diese Knochenbrüche zwölf Mal falsch. Quelle: dapd
Platz 6: Schulter- und OberarmfrakturNur einmal mehr fuschten Krankenhaus-Ärzte bei Brüchen an Schulter und Oberarm: Hier gab es 31 Fehlbehandlungen. Bei niedergelassenen Ärzten kommen  Fuschereien in diesem Bereich gar nicht in den Top 10 vor. Quelle: Fotolia
Platz 5: Unterschenkel- und SprunggelenkfrakturGanze 21 Mal häufiger wurden Brüche an Unterschenkel- und Sprunggelenken falsch therapiert. Hier gab es in deutschen Krankenhäusern 52 Fehlbehandlungen. In Praxen gab es bei Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen sogar mit 15 Fällen die zweithäufigsten Fehlbehandlungen. Quelle: dpa-tmn
Platz 4: OberschenkelfrakturMit 63 Fuschereien in Krankenhäusern landen Oberschenkelfrakturen auf Platz 4. In niedergelassenen Praxen kommen Oberschenkelfrakturen nicht in den Top 10 der Fehlbehandlungen vor. Quelle: dpa

Die Forscher wollen dazu von jedem Kranken Zigtausende Daten erheben, etwa seine genetische Konstitution sowie die seines Tumors, falls es sich um einen Krebspatienten handelt. Zugleich erfassen sie die Aktivität der Gene und deren Veränderung als Reaktion auf verabreichte Medikamente. Eine Software wird die Ergebnisse auswerten. Da die Analyse des kompletten Genoms heute nicht mehr viele Millionen, sondern weit unter 1000 Euro kostet, sind solche IT-gestützten Analysen inzwischen durchaus bezahlbar.

Damit erste Kranke möglichst bald von der Forschung profitieren, hat Lehrach in seiner Abteilung das Unternehmen Alacris Theranostics mitgegründet. Dessen Ziel: Anhand eines virtuellen Patientenmodells wollen die Alacris-Pioniere genau vorhersagen, welche Kombination an Krebstherapien einem Kranken am meisten hilft.

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