IT Future of Medicine
Sind Wettervorhersagen heute zuverlässiger als die Erprobung von Arzneimitteln? Der Erbgutforscher Hans Lehrach ist davon überzeugt. Fassungslos beobachtet er, nach welch veralteten Methoden Medikamente heute noch immer entwickelt und verschrieben werden. Hunderten oder gar Tausenden Patienten eine Substanz zu verabreichen und dann zu schauen, ob sie wirkt, „sei wie ein Crashtest mit menschlichen Dummies“, sagt Lehrach.
Sein Hauptkritikpunkt: Die Vorstellung, dass alle Menschen medizinisch gesehen gleich sind – und also auch alle Pillen bei allen Patienten gleich wirken –, habe sich als Trugschluss erwiesen. Auf diese Weise ließen sich eben nur Medikamente entwickeln, die bestenfalls bei 20 bis 28 Prozent der Menschen helfen, sagt der am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem forschende Österreicher: „72 Prozent der Patienten schaden sie, und zudem kosten sie viel Geld.“
Sein Projekt IT Future of Medicine – bei dem 77 Forschergruppen aus ganz Europa involviert sind – könnte eine weit effektivere Alternative hervorbringen: Aus einer Unzahl von Informationen aus dem Körper wollen die Wissenschaftler mithilfe von Computerprogrammen errechnen, welches Medikament dem Patienten am besten hilft. Genauso wie heutige Wetterberichte auf unzähligen Messdaten aus der ganzen Welt und dem Weltall beruhten. „Was wir entwickeln“, sagt Lehrach, „ist ein am Computer simulierter, virtueller Crashtest für jeden Patienten.“
Die Forscher wollen dazu von jedem Kranken Zigtausende Daten erheben, etwa seine genetische Konstitution sowie die seines Tumors, falls es sich um einen Krebspatienten handelt. Zugleich erfassen sie die Aktivität der Gene und deren Veränderung als Reaktion auf verabreichte Medikamente. Eine Software wird die Ergebnisse auswerten. Da die Analyse des kompletten Genoms heute nicht mehr viele Millionen, sondern weit unter 1000 Euro kostet, sind solche IT-gestützten Analysen inzwischen durchaus bezahlbar.
Damit erste Kranke möglichst bald von der Forschung profitieren, hat Lehrach in seiner Abteilung das Unternehmen Alacris Theranostics mitgegründet. Dessen Ziel: Anhand eines virtuellen Patientenmodells wollen die Alacris-Pioniere genau vorhersagen, welche Kombination an Krebstherapien einem Kranken am meisten hilft.